Die einen wollen freier produzieren, andere das Ernährungssystem transformieren – die Forderungen an die künftige AP 2030+ kommen aus allen Nischen und Winkeln des politischen Spielfelds. Nun meldet sich auch die Berglandwirtschaft zu Wort, und zwar mit der Stimme von Ernst Wandfluh. Der SVP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes ist selbst Bergbauer im Berner Oberland und hat in einer Motion festgehalten, was er beobachtet: Der Strukturwandel hin zu flächenmässig grösseren Betrieben laufe teilweise dem Ziel, die Verbuschung aufzuhalten, entgegen.
Wo Maschinen nicht viel bringen
Bewirtschaften Bergbauern plötzlich mehr Fläche, um so mehr Einkommen generieren zu können, steigt der Arbeitsaufwand oft derart stark, dass sich die Betriebsleiter auf die guten Flächen konzentrieren müssen. Die Pflege von unzugänglichen Stücken kommt zu kurz. Dabei wäre des Bauern Hand gerade hier gefragt: Verbuschung und unkontrollierte Verwaldung haben zur Folge, dass seltene Tier- und Pflanzenarten verschwinden und das Landschaftsökosystem anfälliger für Störungen wie Waldbrände, Erosion oder Hochwasser wird. Das Einkommen der Bergbauern könne oft nicht durch maschinengetriebene Effizienzsteigerung verbessert werden, gibt Ernst Wandfluh zu bedenken. Gerade die Offenhaltung der Landschaft sei zu einem grossen Teil immer noch anstrengende Handarbeit – die wegen der klimabedingt längeren Vegetationsperiode sogar noch mehr geworden sei. Er nennt ein Beispiel: «Der modernste Forstmulcher hilft nichts, wenn man damit gar nicht erst hinkommt.»
Einen Grund für diese problematische Entwicklung sieht Wandfluh in der starken Koppelung der Direktzahlungen an die Fläche. «Aus diesem Grund ist es notwendig, die Instrumente der Agrarpolitik so auszugestalten, dass Leistungen und Produktion durch Familienbetriebe stärker berücksichtigt werden und nicht der reine Flächenbezug im Vordergrund steht», heisst es dazu in der Motion. Eine Forderung, die breit abgestützt scheint: Zu den Mitunterzeichnern gehören neben SVP-Ratskolleg(innen) wie Mike Egger oder Katja Riem auch die Grüne Christine Badertscher, der Sozialdemokrat Candan Hasan und Priska Wismer-Felder von der Mitte.
Degressivität wird Thema
Ernst Wandfluh regt an, bei den Direktzahlungen wieder stärker «weg von der Fläche» zu kommen. «Grössere Betriebe haben ihre Berechtigung», sagt er. «Aber es muss ein gesundes Wachstum sein.» Analog zur Lösung bei den Sömmerungsbeiträgen kann er sich einen Beitrag pro gemolkenes Tier vorstellen. «Wir brauchen im Berggebiet mehr Tiere», sagt er, auch im Hinblick auf die Situation in der Alpwirtschaft, wo das Milchvieh zusehends rar werde, was wiederum den Fortbestand der Alpkäserei infrage stelle.
Auch bringt Wandfluh die Wiedereinführung der Degressivität ins Spiel: Den vollen Betrag an Direktzahlungen gäbe dabei es nur bis zu einer bestimmten Fläche, für weitere Flächen würden die Beiträge stufenweise abgesenkt.
Unterstützung erhält Wandfluh mit der Motion weit über die eigenen Kreise hinaus. Degressivität sei «genau der richtige Ansatz», sagt Kilian Baumann von der Kleinbauern-Vereinigung – und droht sogar mit dem Referendum für den Fall, dass dieser Ansatz nicht «in dieser oder einer ähnlichen Form» berücksichtigt werde. Zurückhaltender gibt sich SBV-Direktor Martin Rufer. Der SBV teile das Anliegen, die flächendeckende Bewirtschaftung sicherzustellen, sagt er. Dabei sei die Wiedereinführung einer degressiven Komponente bei den Direktzahlungen sicher zu prüfen.
Für die SBV-Junglandwirtekommission (Jula) ist die Fläche «grundsätzlich eine geeignete Berechnungsgrundlage für die Direktzahlungen», wie Vizepräsidentin Leana Waber ausführt. Der Ansatz, Leistungen und Produktion der Familienbetriebe stärker zu berücksichtigen, sei aber zu begrüssen. «Dadurch könnten Fehlanreize eliminiert werden», sagt Waber. Degressivität sei eine Option, müsse sich aber nicht unbedingt auf die Fläche beziehen. «Die Jula hat sich immer für eine Obergrenze der Direktzahlungen pro Standardarbeitskraft (SAK) eingesetzt», gibt sie zu bedenken.
Das richtige Mittel?
Bleibt die Frage, ob ein Systemwechsel die Verbuschung tatsächlich aufhalten würde. «Es gibt auch kleine Betriebe, die dafür keine Zeit haben», gibt etwa die Aargauer SP-Agrarpolitikerin Colette Basler zu bedenken. Die Grösse sei nicht der einzige Faktor. In eine ähnliche Richtung denkt Hans Bieri von der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL), die das heutige Direktzahlungssystem seit Jahren kritisiert. «Die Motion Wandfluh greift ein wichtiges Problem auf: Die Abgeltung von allein schon topografisch bedingter beschwerlicher Arbeit im Berggebiet», sagt er. Dabei gehe es aber eigentlich um die separate Abgeltung einer besonderen Leistung, und das sei gar nicht der ursprüngliche Zweck der Direktzahlungen. «Direktzahlungen sollen die WTO-bedingten Preisreduktionen ausgleichen, nicht mehr», sagt er. Sie seien deshalb wie früher nach Fläche, Tierzahl und neu auch nach Standardarbeitskraft auszurichten.
Dass der Viehbestand wieder massgeblich für Direktzahlungen sein soll, stösst aber nicht überall auf Gegenliebe. «Das hatten wir früher, und es hat nicht funktioniert», sagt dazu Kilian Baumann. Die Beiträge hätten massive Marktverzerrungen und Umweltprobleme verursacht, ruft der Grünen-Nationalrat in Erinnerung. Sinnvoller sei allenfalls eine Erhöhung des Weidebeitrags für Milchkühe im Berggebiet.
«Per se keine Verbesserung»
Entsprechende Lösungen seien sicher zu prüfen, sagt Leana Waber. Die Jula plädiere dafür, bei der AP 30+ neu zu denken. Vorbehalte hat aber auch sie: Eine Anknüpfung an den Viehbestand stelle für eher extensiv bewirtschaftete Flächen in anspruchsvollen Lagen per se auch keine Verbesserung dar.
Einigkeit herrscht darüber, dass ein wie auch immer gearteter Systemwechsel keinen administrativen Mehraufwand mit sich bringt. «Wir müssen aufpassen, dass wir das Direktzahlungssystem nicht noch komplizierter machen», sagt Martin Rufer. Einfache Bewertungsgrundlagen seien eine zwingende Voraussetzung, betont auch Leana Waber. «Eine mehrheitsfähige Beurteilungsgrundlage zu finden, ist sicher herausfordernd, wäre aber durchaus machbar.» Auch Ernst Wandfluh will eine Lösung mit einem einfachen System: «Das ist für mich zentral», betont er.
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