Die Wettbewerbskommission (Weko) hat in der Schweiz den Auftrag, den Wettbewerb zu schützen. Sie bezeichnet dies selbst als «wichtigste ordnungspolitische Aufgabe in einer Marktwirtschaft» und befasst sich als unabhängige Bundesbehörde unter anderem mit der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen.
Besonders im Agrar- und Lebensmittelbereich bestehe hier dringender Handlungsbedarf, findet der Verein Faire Märkte Schweiz (FMS) und erinnert daran, Coop und Migros (inklusive Denner) hätten einen Marktanteil von knapp 80 Prozent. Doch die Weko sei für die herrschenden Missstände weder ausreichend ausgestattet noch angemessen aktiv.
Aufbau einer «Gegenmacht»
Während das Kartellrecht den Wettbewerb schützt, ermöglicht das Landwirtschaftsgesetz auf verschiedene Weise die Organisation von Produzenten für eine bessere Verhandlungsposition. So sieht es jedenfalls der Bundesrat, der an die Möglichkeit für das Festlegen von Richtpreisen, die gemeinsame Vermarktung (Verbände, Labels, Genossenschaften) oder Standardverträge (durch Branchenorganisationen) erinnert.
Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger überzeugt das nicht. Er verlangt in einer Motion eine Anpassung des Landwirtschaftsgesetzes, die dank neuen Kooperationsmöglichkeiten den Aufbau einer Gegenmacht zur konzentrierten Abnehmerseite erlauben soll. Er sieht dafür etwa Potenzial bei Milch und Fleisch, aber auch im Getreidemarkt. Der Nationalrat hat dem Vorstoss bereits zugestimmt, nun ist die Kleine Kammer am Zug.
«Druck aufrechterhalten»
FMS macht sich für eine Reform der Weko stark. Eine solche ist derzeit laufend, im letzten Jahr hat der Bundesrat die allgemeine Stossrichtung bekanntgegeben: Er will die Unabhängigkeit der Weko stärken, sie professionalisieren und die Verfahren beschleunigen. Bis Mitte 2025 soll die Vorlage für die Vernehmlassung vorliegen.
Kürzlich hat die zuständige Kommission des Nationalrats (WAK-N) mit der Annahme einer Motion nachgedoppelt, um «den Druck für eine rasche Umsetzung der Reform aufrechtzuerhalten.» Die Motion schlägt vor, sich allenfalls von den Strukturen in Österreich inspirieren zu lassen. An diesem Nachbarland orientiert sich auch FMS.
In Österreich ist seit drei Jahren ein Fairness-Büro tätig, erläutert der Verein, das «bereits aktiv und erfolgreich gegen Missbräuche» vorgehe. Es sei eine unabhängige Stelle, die Bäuer(innen) und Lebensmittelproduzenten anonym und kostenlos Hilfe anbiete. So ähnlich funktioniert die Meldestelle von FMS. Nach eigenen Angaben prüft das Fairness-Büro nach der Analyse eingegangener Beschwerdefälle das weitere Vorgehen, etwa ein Mediationsgespräch oder eine Anzeige bei der Bundeswettbewerbsbehörde.
Neues Instrument einführen
Nach Meinung von FMS müsste die hiesige Weko ähnlich aktiv sein wie das österreichische Fairness-Büro. «Heute sind die Eintrittsschwellen bei den offiziellen Anlaufstellen wie Weko oder Preisüberwacher für einzelne Marktakteure zu hoch», kritisiert der Verein. Aus diesem Grund würden zahlreiche Akteure die FMS-Meldestelle nutzen. FMS hält die Einführung einer Sektoruntersuchung für hilfreich, wie sie Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger in einer Motion fordert.
Die Wettbewerbsbehörden in der EU verfügten mit diesem Instrument bereits über ein effektives Mittel, um strukturelle Probleme zu untersuchen, argumentiert er. «Die Sektoruntersuchung würde es der Weko ermöglichen, Märkte auch präventiv zu analysieren, auch ohne hinreichende Verdachtsmomente.» Marktzutrittsschranken, Informationsasymmetrien oder Wettbewerbsverzerrungen liessen sich so beseitigen, sagt der Motionär. Denn bisher werde die Weko generell nur bei konkretem Verdacht aktiv.
Der Bundesrat räumt zwar ein, dass die Einführung einer wettbewerbsrechtlichen Sektoruntersuchung der Weko neue, möglicherweise weitreichende Kompetenzen und Interventionsmöglichkeiten gäbe. Er lehnt sie aber ab, da sie zu neuen administrativen Belastungen für Unternehmen führen könne. Das befürchtet auch der Wirtschaftsdachverband Economie Suisse. Bis Ende 2025 soll aber ein Bericht zu den Vor- und Nachteilen von wettbewerbsrechtlichen Sektoruntersuchungen vorliegen, so die Ankündigung des Bundesrats.
Der Schweizer Bauernverband findet eine Reform der Weko unnötig. Zwar stimme man nicht immer mit den Entscheiden dieser Behörde überein, das Problem liege aber im Kartellgesetz. «Daher sollte man das Gesetz überarbeiten, nicht die Behörde.»
«Die Schwellen sind heute zu hoch.»
Faire Märkte Schweiz fordert eine Vereinfachung.
Missbrauch von Marktmacht?
Seit 2022 enthält das Kartellgesetz neue Bestimmungen. Ein Merkblatt der Weko erläutert, was darunter zu verstehen ist:
Relative Marktmacht: liegt vor, wenn Nachfrager oder Anbieter mangels angemessener Alternativen von einem Unternehmen abhängig sind. Das ist an sich zulässig.
Missbrauch relativer Marktmacht: Illegal ist, wenn relativ marktmächtige Akteure ihre Position missbrauchen. Das sei etwa der Fall, wenn Geschäftsbeziehungen verweigert oder Handelspartner bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen diskriminiert werden. Ein weiteres Beispiel sind zusätzliche Leistungen seitens der Handelspartner als Bedingung für das Weiterführen oder Aufnehmen von Geschäftsbeziehungen.
Es sei der konkrete Einzelfall zu würdigen, schreibt die Weko. «Dabei prüfen die Wettbewerbsbehörden auch, ob sachliche Gründe für das Verhalten vorliegen.» Die Weko bezeichnet sich als Anlaufstelle für Fragen, Anregungen und Meldungen zu relativer Marktmacht. Aber sie sichert den Anzeigenden keine Anonymität zu. Ein Beschuldigter könne seine gesetzlichen Verteidigungsrechte nur wahrnehmen, wenn er sich zum konkreten Sachverhalt äussern könne, so die Begründung. Das Nicht-Offenlegen des Anzeigenden könne zur Nichteröffnung oder der Einstellung des Verfahrens führen.
Wie die Weko arbeitet
Was man gemeinhin als «Weko» bezeichnet, ist eine Behörde aus zwei Teilen:
Sekretariat: 70 Personen (Jurist(innen) und Ökonomen) arbeiten vollamtlich an kartellrechtlichen Verfahren, bereiten Entscheidungen der Weko vor und fungieren als Ansprechstelle in wettbewerbsrechtlichen Fragen.
Wettbewerbskommission (Weko): Besteht aus 12 vom Bundesreat gewählten Mitgliedern. Dazu gehören Rechts- und Ökonomieprofessor(innen), aber auch Verbände wie Economiesuisse, die Fédération Romande des Consommateurs FRC oder der Gewerbeverband. Mit Direktor Martin Rufer ist auch der Schweizer Bauernverband vertreten. Die Kommission kommt alle 2–4 Wochen zusammen und trifft die Entscheidungen auf Antrag des Sekretariats, die vor Gericht weitergezogen werden können.
Das Sekretariat der Weko arbeitet in den Bereichen Bau, Dienstleistungen, Infrastruktur und Produktemärkte, die Landwirtschaft wird letzterem zugeordnet.
«Funktioniert gut»
Im Schnitt schliesst die Weko Verfahren in drei Jahren ab, erklärte Präsidentin Laura Melusine Baudenbacher vor der Ständeratskommission. Sie nahm 2023 Stellung zur Revision des Kartellrechts, der die Weko grundsätzlich zustimme. Hingegen lehne man verschiedene, weitergehende Motionen ab. «Das bestehende System funktioniert gut, das wird vom Bundesverwaltungsgericht und vom Bundesgericht immer wieder bestätigt», so Baudenbacher. Im Folgenden drei Beispiele für Verfahren bzw. Entscheide der Weko mit Landwirtschaftsbezug.
Traktor-Ersatzteile: Die Weko bekämpft Gebietsabschottungen und Preisbindungen. In diesem Rahmen ist sie 2023 gegen einen Hersteller von Traktor-Ersatzteilen vorgegangen, der den Import günstiger Produkte zum Nachteil von Schweizer Landwirten verhindert hatte. Dieses Beispiel führt die Behörde selbst gerne ins Feld, um ihre Leistungen zu zeigen.
Koordination von Werbeaktionen: Ein Abstimmen langfristig geplanter Werbeaktionen sollte im Detailhandel Food Waste verhindern, indem nicht mehrere Händler dasselbe Produkt gleichzeitig bewerben. Das Sekretariat der Weko war in diesem Fall beratend aktiv und kam zu 2024 zu dem Schluss, dass eine spürbare Food-Waste-Reduktion durch diese Massnahme «unklar» sei. Daher könne man das Vorhaben nicht rechtfertigen und es stelle mutmasslich eine unzulässige Mengen- und Preisabrede dar.
Abbruch Produktebezug: Als Teil einer Marktbeobachtung hat das Weko-Sekretariat 2024 geprüft, ob der Bezugsabbruch einer «Lebensmittelproduzentin» von einer «Verarbeiterin landwirtschaftlicher Produkte» ein Missbrauch relativer Marktmacht war. Der Abbruch sei aber bereits fünf Jahre vorher angekündigt worden, «das gab der Verarbeiterin genügend Zeit, ihr Geschäftsmodell den neuen Gegebenheiten anzupassen», findet das Sekretariat. Ausserdem gebe es mehrere sachliche Gründe (z. B. Kosteneinsparungen, Vereinfachung von Prozessen und Logistik, tiefere Preise) für den Bezugsabbruch und der Wettbewerb werde auch dann noch spielen, wenn die Produkte künftig von einem anderen Verarbeiter geliefert werden.
Zahlreiche Stellungnahmen
Im vergangenen Jahr hat die Weko laut Jahresbericht eine Untersuchung eröffnet und deren sieben abgeschlossen. Es gab 48 Marktbeobachtungen und 11 Vorabklärungen. Viele Ressourcen werden in Stellungnahmen zu Gesetzes- und Verordnungsentwürfen investiert, so die Weko. Sie hat 2024 338 Stellungnahmen verfasst.