Wohin soll die AP 30+ die Schweizer Landwirtschaft dereinst führen? Christof Dietler, Geschäftsführer der IGAS, geht es insbesondere darum, dass gerade im Umgang mit gesellschaftspolitischen Fragen etwas neu gedacht werden sollte. Im Interview erklärt er, warum Bauernhöfe KMU sind.
Sie thematisieren bei der IGAS die Wertschätzung sehr stark. Wann fühlt sich ein Bauer oder eine Bäuerin denn eigentlich wertgeschätzt und kommt die fehlende Wertschätzung aktuell eher von aussen – aus Politik, Handel und Gesellschaft – oder haben wir auch ein hausgemachtes Problem in der Landwirtschaft selbst?
Christof Dietler: Wir thematisieren Wertschätzung so stark, weil sie essenziell ist. Wertschätzung ist zudem ein Faktor, den alle zwischen Feld und Teller aus eigener Kraft positiv beeinflussen können. Die Freude am Beruf und an der Betriebsführung steigt mit der Wertschätzung, das heisst, mit dem motivierenden Feedback von Markteilnehmern, Berufskollegen etc. und lohnender Entschädigung. Um auf ihre konkrete Frage einzugehen – ja jede Branche hat auch ein hausgemachtes Problem, wenn sie ein gefühltes oder objektives Wertschätzungsdefizit hat. Die Wertschätzung kommt nur von aussen, wenn sie innen auch gelebt wird. Ich nenne ein Beispiel. Wie gehen wir, bäuerliche Organisationen, Branchen etc., mit anderen Meinungen, Konzepten um? Und logisch – gute Preise sind eine sehr gerne gesehene Form der Wertschätzung.
Also Selbstbewusstsein statt Subventionen?
Wieso soll die Bezahlung von bestellten Leistungen der Gesellschaft auf das Selbstbewusstsein der Erbringer dieser Leistungen drücken? Wir haben uns ja genau daher unter anderem für ein Direktzahlungssystem entschieden, das stark auf Leistungen fusst. Wie die Leistungen bestellt werden, mit teils sturen Vorgaben oder mit Zielen, kann das Selbstbewusstsein der Bäuerinnen und Bauern verändern. Ob Qualitätsvorgaben des Handels diktiert oder zusammen mit den Gemüse- oder Obstproduzenten erarbeitet werden, macht einen Unterschied. Oder näher bei der Politik: Produktion und Ökologie sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Diese beiden Seiten zusammenzuhalten – macht das nicht die Berufe in Feld und Stall spannend? Was spricht dagegen, mit Freude und Stolz mehr Ökologie, Qualität und Tierwohl anzubieten? Und darauf zu vertrauen, dass die KMU sehr wohl selbst entscheiden, wie sie das mit ihren Erlösen aus dem Verkauf von Produkten oder der Ertragssicherheit verbinden.
Was ist die IGAS?
Die IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) ist ein Verein, der Organisationen der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zusammenbringt. Ziel sei es, den Dialog zu fördern und gemeinsame Interessen zu vertreten sowie gute Rahmenbedingungen für die gesamte agrarische und ernährungswirtschaftliche Wertschöpfungskette in der Schweiz zu schaffen. Die IGAS plädiert für eine liberale Agrarpolitik und betont die Bedeutung internationaler Vernetzung, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zur Europäischen Union. Zudem unterstützt sie den Dialog über Markt- und Nachhaltigkeitsdefizite sowie das Verhältnis zu europäischen Nachbarn. Einsitz im Vorstand nehmen: Otmar Hofer (Präsident), Adrian Aebi (Direktor Schweizer Hagel), Hans Aschwanden (Präsident Formarte), Urs Brändli (Präsident Bio Suisse), Christophe Eggenschwiler (Geschäftsführer IP-Suisse), Roger Wehrli (Direktor Chocosuisse), Mathias Gerber (Präsident Mutterkuh Schweiz), Daniel Imhof (Head of Agricultural Affairs Nestlé), Jürg Maurer (Stv. Leiter Direktion Wirtschaftspolitik Migros), Albert Meier (Bereichsleiter Politik, Ökostrom Schweiz), Marc Muntwyler (Leiter Nachhaltigkeit/Wirtschaftspolitik Coop), Meinrad Pfister (Suisseporcs) und Christian Sohm (Direktor Swisscofel), Susanne Staub (Kf), Daniel Weilenmann (Emmi Schweiz AG). Geschäftsführer ist Christof Dietler.
Sie sagen, Bauern seien Unternehmer. Warum wird das oft nicht so gesehen?
Bäuerinnen und Bauern sind, sofern sich einen Betrieb eigenverantwortlich führen, per Definition Unternehmerinnen und Unternehmer. Niemand muss bauern. Daher forcieren wir das KMU-Bild. Auch, weil KMU ein gutes Image haben, das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft sind, und weil man mit ihnen auf Augenhöhe spricht. KUM sehen die unternehmerischen Freiheiten, die sich ihnen bieten. Sie lassen sich nicht von der Politik gängeln, schon gar nicht von Verbänden. Wenn alle Politiker und ihnen nahestehende Verbände Landwirtschaftsbetriebe als eigenverantwortliche KMU verstehen würden, gäbe es sicher weniger Vorstösse im Parlament, weniger Mikromanagement, etwas mehr Freiheit.
Fehlt es an Stolz oder an echten wirtschaftlichen Spielräumen – oder sind die Bauern eher Angestellte, also vielmehr Lohnempfänger denn Unternehmer?
Reduzieren wir mal und wagen wir die Behauptung: Ohne Markt- und Kundenorientierung – auch in der Agrarpolitik – wird es nichts mit Wertschätzung. Unternehmen wissen mit Markt- und Preisschwankungen umzugehen. Sie sollen aber darauf vertrauen können, dass sie von guten Marktsituationen profitieren können, um Risiken in schlechteren Jahren zu tragen. Hier gibt es noch viel zu tun, auch vom Handel. Allerdings: Der momentan wahrnehmbare Impuls aus der Politik, in Margen, Preise, Angebotsgestaltung einzugreifen ist keine Wertschätzung. Das sind die falschen Rezepte. Hände weg davon: Das ist KMU-Respekt!
Reicht Wertschätzung durch nette Worte, oder zählt am Ende doch nur der Preis? Welche Verantwortung trägt der Handel und welche die Bauern selbst?
Klar, geht es stark um Preise. Es geht aber nie nur darum. Verhandeln auf Augenhöhe heisst, dass es je nach Marktlage und Umfeld unterschiedliche Preise gibt. Werte und Marktdaten zu teilen und langfristig zu planen, heisst Vertrauen aufzubauen. Das zahlt sich aus. Gerade in der Schweiz ist Vertrauen auch ein wichtiges Kapital – man kennt sich. Wir haben Branchenorganisationen, wo Probleme zusätzlich angegangen werden können. Der Berner würde sagen: «Äs isch äs Gäh und äs Näh.» Und klar ist, dass es auf der Kostenseite grosse Hebel gibt.
Was sollen Bauern eigentlich noch alles sein? Unternehmer, Naturpfleger, Klimaretter, Tourismusmanager – wie viele Hüte kann ein einzelner Betrieb tragen, bevor es zu viel wird?
Das bitte entscheidet das Landwirtschafts-KMU selbst. Kein KMU ist gezwungen, dem Blüemli-Chüeli-Hägli-Bild zu entsprechen. Landwirtschaftsland ist ein Werkplatz von KMU. Folgt der eigenen Betriebsstrategie! Aber klar: mit Respekt zum Werkplatz. Denn der Werkplatz ist auch Landschaft und Heimat und das sind Werte, die uns prägen.
Sie fordern weniger staatliche Vorgaben. Aber wäre es nicht naiv zu glauben, dass der Markt es schon richtet? Haben Bauern ohne Schutzmechanismen überhaupt eine Chance?
Wir haben in der Schweiz ein sehr hohes Stützungsniveau für den Agrar- und Ernährungssektor. Das ist politisch eigentlich kaum bestritten, hat aber für die Volkswirtschaft und den Agrarstandort Schweiz auch nicht unerhebliche Nachteile. Es war bisher klar, dass die zunehmende Professionalisierung, der technologische Fortschritt, die bessere Ausbildung und der Strukturwandel die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft eigentlich für sachte weitere Liberalisierungen bereit machen. Etwas mehr Markt wäre ok. Das ist dann immer noch meilenweit weg von «Der Markt richtet es schon». Das will wohl niemand. Rückschritte bei der Marktorientierung sind aber auch tabu.
Weiterbildung im Key-Account-Management klingt gut, aber was bringt das dem einzelnen Hof? Ist das nicht eher Theorie für die grossen Player als für die Familie mit 25 Kühen?
Ein gutes Weiterbildungsangebot wäre dringend nötig, um auf Augenhöhe mit den Kunden zu verhandeln und würde wohl Interessent finden. Und vielleicht sitzt die Leiterin des 25-Kühe-Milchbetriebes im Vorstand einer Vermarktungsorganisation. Und in einigen Produkten kommen die Betriebsleiter sehr wohl in Kontakt mit Abnehmern, da macht es doch Sinn, das Gegenüber und die Prinzipien im Handel zu kennen und für sich zu nutzen.
«Die Wertschätzung fehlt und Zielkonflikte im System führen zu Frustration»
Die IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) präsentiert mit dem «Masterplan AP 2030» ein umfassendes Konzept zur Weiterentwicklung der Schweizer Agrarpolitik. Im Zentrum stehen mehr Eigenverantwortung für die Betriebe, weniger staatliche Interventionen und eine stärkere Ausrichtung auf den Markt.
Mehr Wertschätzung
Für die IGAS ist klar: Eine moderne Agrarpolitik muss auf einem wertschätzenden Dialog in der gesamten Wertschöpfungskette beruhen. Landwirtschaftsbetriebe seien als kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu behandeln – mit entsprechender Entscheidungsfreiheit über Ausrichtung und Marktstrategie.
Wie Markus Müller von der Beko am 24. März erklärte, sollten Betriebe eigenständig entscheiden können, wie sie den besten Ertrag erzielen – ohne zusätzliche staatliche Vorgaben.
Die IGAS fordert:
- Genügend Spielraum für Marktkräfte – neue politische Eingriffe im Marktbereich seien zu unterlassen.
- Betriebe sollen selbst beurteilen, welche Märkte für sie attraktiv sind.
- Keine staatliche Steuerung bei Preisen, Margen und Angebot.
- Starke, wettbewerbsfähige Verarbeiter seien zentral – sowohl für den Binnenmarkt als auch für den Export.
Branchenorganisationen wie BOM, Swiss Granum, Proviande, IP-Suisse oder Bio Suisse würden laut IGAS bereits erfolgreich Werte und Märkte entwickeln. Die Organisation stellt jedoch provokant die Frage: Braucht es dafür wirklich mehr staatliche Unterstützung? Werden Berufe dadurch attraktiver? Ihre klare Antwort lautet: Nein.
Kritik am Ernährungssystem
In Bezug auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen Ernährungssystemansatz mahnt die IGAS zur Zurückhaltung. Die Rolle des Bundes solle maximal subsidiär, also unterstützend, bleiben. Lösungen für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung müssten innerhalb der Wertschöpfungskette gefunden werden – etwa über Zielvereinbarungen mit Handel, Verarbeitern und Gastronomie.
Einseitige Orientierung am Selbstversorgungsgrad kritisiert die IGAS besonders im Hinblick auf das Berggebiet. Mehr Menge und günstigere Preise könne das Ausland besser liefern – die Schweizer Landwirtschaft solle sich weiterhin auf Qualität und Nachhaltigkeit konzentrieren.
Koordination beim Thema Klima
Mit dem Projekt «Unsere Indikatoren» will die IGAS zusammen mit SALS gemeinsame Indikatoren erarbeiten. Ziel ist ein System, das mit internationalen Initiativen wie der SBTi kompatibel ist, branchenübergreifend akzeptiert wird und Vertrauen schafft. Die SBTi (ausgeschrieben Science Based Targets initiative) wurde 2015 gegründet, um Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Ziele zur Reduktion von Emissionen nach dem Übereinkommen von Paris auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse festzulegen. Seit 2015 haben sich über 1000 Unternehmen der Initiative angeschlossen, um ein wissenschaftlich fundiertes Klimaziel festzulegen.
Mehr Eigenverantwortung
Der Ansatz der IGAS für die AP 2030+ sieht vor:
- Weniger staatliche Vorgaben, mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Betriebe.
- Vereinfachungen durch datengestützte Indikatoren und Benchmarking.
- Förderung von Innovation, Mut und Unternehmergeist.
Die Organisation betont: «Das Einkommen der Landwirtschaft ist zwischen 2015 und 2023 um durchschnittlich 30 Prozent gestiegen – ein Indikator, dass vieles bereits funktioniert.» Dennoch fehle es an Wertschätzung und Zielkonflikte im System führten zu Frustration.
Vorschläge zu Instrumenten
Die IGAS nimmt auch zu bestehenden agrarpolitischen Instrumenten Stellung:
- Grenzschutz: Kein Ausbau, aber Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
- Direktzahlungen: Künftig verstärkt indikatorenbasiert, mit Sockelbeitrag bei gestärktem ÖLN.
- Forschung und Beratung: Ausbau in Zucht und Pflanzenbau.
- Produktionsförderung: Spielraum für gezielten Ausbau Zulagen; dazu Einsparung bei Absatzförderung im geschützten Bereich prüfen.
- Strukturverbesserung: Investitionen in neue Technologien und Klimaanpassung.
Neue Elemente für AP 2030+
- Lenkungsabgaben prüfen: Nur bei klarer Effizienz und Akzeptanz einführen – Erträge müssten vollständig an die Landwirtschaft zurückfliessen.
- Leistungsvereinbarungen: Regionale Lösungen durch Bauern und Verbände vor Ort.
- Datenbasierte Indikatoren: Grundlage für Zielvereinbarungen, Vereinfachung und Honorierung von Leistungen.
Vision der IGAS
Die Agrarpolitik 2030 soll den Sektor befähigen, gesellschaftliche Ziele mit marktfähigen Lösungen zu verbinden – im Inland wie im Ausland. Die Rolle des Bundes soll sich dabei stärker auf die Rahmenbedingungen konzentrieren – nicht auf die Steuerung im Detail.
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