Der milde Winter ist schlecht für die Natur und den Schneetourismus, aber gut für die Stromversorgungslage. Derzeit ist kaum mehr etwas zu spüren von der Hektik und den Ängsten, die noch vor einigen Monaten wegen einer drohenden Strommangellage herrschten. Fachleute aus der Energiewirtschaft bestätigen, dass es diesen Winter kaum zu Engpässen kommen wird, sehr unsicher ist aber die Versorgung für nächsten Winter.
Geringes Risiko
Auch Hannah von Ballmoos, Leiterin Geschäftsbereich Energie und Umwelt beim Schweizer Bauernverband, erklärt, dass gemäss Bund in den nächsten Monaten nicht mehr mit einer Mangellage gerechnet werde. Die Aussichten hätten sich verbessert, da die Speicherseen besser gefüllt, die Gasreserven sicherer seien und französische Kernkraftwerke ihre Produktion wieder aufnehmen würden.
Gleichwohl müsse künftig von Mangellagen ausgegangen werden, so schon für den nächsten Winter 2023/2024. Dann werde die Gasversorgung in Europa viel schwieriger. Von Ballmoos erinnert daran, dass der Schweizer Strompreis stark an den europäischen Strompreis geknüpft und somit stark vom europäischen Gaspreis abhängig ist.
Förderprogramme nutzen
Ab 2025 werde es nach heutigem Stand zudem schwieriger, Strom von Europa zu beziehen. Dann trete eine EU-Richtlinie in Kraft, welche vorsieht, Strom primär selber zu brauchen, statt diesen an Drittstaaten wie die Schweiz abzugeben. Diesbezüglich fehle eben noch immer das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU.
Es gelte somit trotz aktuell leichter Entspannung, an die Zukunft zu denken. «Die Landwirtschaft sollte sich informieren und absichern, um künftig bei Versorgungsengpässen gewappnet zu sein», rät von Ballmoos. Der SBV sei übrigens Teil der aktuell laufenden schweizweiten Energiesparkampagne. Sie empfiehlt den Bauern, in Massnahmen zu investieren, welche zu einer sichereren Versorgung beitragen. So mit besserer Energieeffizienz wie Wärmetauscher, Umstellung der Beleuchtung auf LED und vieles mehr. Viele Tipps zum Stromsparen und zu möglichen Vorsorgemassnahmen wie Notstromlösungen auf Bauernbetrieben wurden in einem Dossier zusammengestellt, weitere Informationen zu Förderprogrammen gibt es bei Agro-Clean-Tech.
Bauern sensibilisieren
In den vergangenen Monaten fanden schweizweit zahlreiche Informationsveranstaltungen und Fachtagungen statt, um die Landwirtschaft vermehrt zu sensibilisieren. So Mitte Dezember auch in Sarnen OW, wo das Amt für Landwirtschaft und Umwelt zusammen mit dem Elektrizitätswerk Obwalden (EWO) über die aktuelle Lage und mögliche Vorsorgemassnahmen orientierten. Die Teilnahme von rund 100 Bauern zeigte das grosse Interesse. Eigentlich gebe es eine generelle Mangellage im Energiebereich und auch bei Rohstoffen, meinte Volkswirtschaftsdirektor Daniel Wyler vom Sonderstab Versorgungssicherheit. Vielen Leuten sei die Komplexität gar nicht bewusst, wenn es zu Ausfällen bei Strom komme. «Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung funktioniert meist nur über Pumpen, und längst nicht überall gibt es dafür Notstromaggregate.» Vorsorgen sollte man jetzt, Checklisten gebe es viele, meinte Wyler. «Nach dem Tod ist es für ein Testament auch zu spät.»
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Blackout als Horror
Daniel Zberg und Thomas Baumgartner vom EWO wiesen auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines Blackouts, das heisst eines grossflächigen Stromausfalls, in Europa hin. «Es ist nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann.» Die Folgen wären allerdings gravierend. Gerechnet wird in der Schweiz mit Kosten von bis zu vier Milliarden Franken pro Tag, und es würde Stunden bis Tage dauern, bis das Netz wieder aufgebaut wäre. Bund und Kantone hätten sich auf Krisensituationen vorbereitet, wobei zwischen dem unvorhersehbarem Stromausfall und Blackout sowie vorhersehbarer Mangellage differenziert wird.
Tierhalter sind verantwortlich
Bekannt sind die Bereitschaftsgrade 1 bis 4, kürzlich führte der Bund eine Vernehmlassung zu möglichen Massnahmen bei Strommangellagen durch. So sind im Bereitschaftsgrad 4 auch Kontingentierungen für Grossverbraucher von über 100'000 kWh und zeitliche Abschaltungen vorgesehen. Zu Grossverbrauchern zählen auch nicht wenige Landwirtschaftsbetriebe, vor allem mit Gemüsebau, oder intensive Tierhaltung mit Schweinen und Geflügel oder grössere Milchviehbestände.
Zu den geplanten Massnahmen nahm im Dezember auch der Schweizer Bauernverband Stellung und setzte sich dafür ein, dass das Tierwohl und die Lebensmittelversorgung jederzeit sichergestellt sein sollten. Gemäss Tierschutzgesetz liegt aber das Wohlergehen allein beim Tierhalter, dies gilt auch bei einer Strommangellage über Stunden oder Tage. Kann das Tierwohl nicht mehr eingehalten werden, müssten Tierbestände im Extremfall getötet werden. Das sei vielen Tierhaltern nicht bewusst, wurde an einer kürzlichen internen Sitzung mit kantonalen Dienststellen und dem Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband zu den Themen Resilienz (Widerstandsfähigkeit bei Krisen) und Landwirtschaft betont. Die Tierhalter müssten deshalb sensibilisiert werden, welche Risiken in welchem Zeitraum auftreten könnten, wenn der Strom ausfällt. Das könnten Überhitzung bei Lüftungsausfall oder Stallauskühlung bei Heizungsausfall schon nach wenigen Stunden sein, bis zu Krankheiten und Verenden bei längerem Ausfall.
In einem Mustermerkblatt des Kantons Appenzell Innerrhoden wird deshalb betont, dass entsprechende Vorsorgemassnahmen zu treffen sind, wie die Versorgung der Tiere mit Luft, Futter und Wasser durch strombetriebene Anlagen oder anderweitig sicher gestellt werden könne.
Jetzt Energie sparen
Merkblätter für Landwirtschaftsbetriebe gibt es inzwischen vom Bund, Kantonen und Schweizer Bauernverband mehrere, wie auch Checklisten als Vorbereitungen auf einen Stromunterbruch und eine Strommangellage (siehe Kasten). Wichtig sei, wird allseits betont, jetzt Strom zu sparen, damit Extremfälle weniger wahrscheinlich würden. So meinte Thomas Baumgartner, CEO des Elektrizitätswerks Obwalden: «Wir tun uns schwer mit der Notwendigkeit, Energie zu sparen, dabei geht es eigentlich nur darum, keine zu verschwenden.»
Weitere Informationen: www.agrocleantech.ch | www.sbv-usp.ch/de/schlagworte/strommangellage
Analysieren und Vorsorgen
Jeder Landwirtschaftsbetrieb sollte sich eine Übersicht verschaffen, welche Betriebsabläufe bei einem Stromausfall zwingend ausgeführt werden müssen. Dann sind Massnahmen zu definieren, um das Schadenausmass bei einem Unterbruch oder bei Mangellage zu minimieren.
Vor einem Stromunterbruch sind die Tätigkeiten zu klären, die von Hand ausgeführt werden können. Das sollte auch bei automatisierten Abläufen wie Füttern, Tränken, Reinigen ermöglicht werden. Der Mehrbedarf an Hilfskräften dafür ist zu klären, beispielsweise Nachbarschaftshilfe. Für das Melken alternative Melkutensilien bereit halten. Abklären, ob die PV-Anlage zur Eigenversorgung genutzt werden kann. Genügend grosse Treibstofflager anlegen, alternative Wärmequellen (Gasstrahler statt Heizlampen) und Lichtquellen (Batterien) bereit halten. Allenfalls ein Notstromaggregat anschaffen. Dabei ist auf genügende Leistung zu achten, damit zwingende Betriebsabläufe genügend lang mit Strom versorgt werden können.
Quelle: Merkblatt für Landwirtschaftsbetriebe des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung