50 Stunden pro Woche? Geht gar nicht.» Das heisst es von zwei Seiten, wenn Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft diskutiert werden. Den einen ist es zu wenig, für andere tönt es immer noch nach Ausbeutung. Das Thema einfach nur abwinken kann die Branche nicht. Erstens ist sie auf ausserfamiliäre Arbeitskräfte angewiesen, doch der Markt ist trocken. Zweitens kommt zunehmend Druck aus der Gesellschaft.

Landwirtschaftliche Betriebsleiter(innen) sind selbstständige Unternehmer, führen ihre Betriebe über Generationen, leidenschaftlich und engagiert. Rechenschaft über die Arbeitszeit ablegen, müssen sie nur sich selber und ihren Angehörigen. Bei einer Erhebung des Bundesamts für Statistik im Jahr 2020 gaben Betriebslei-ter(innen) eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 66 Stunden an, die übrigen Familienangehörigen 60 bis 62 Stunden.

Nur: Von den Angestellten kann nicht dasselbe Engagement erwartet werden wie vom Chef und der Chefin. Familie und Freizeit haben heute einen hohen Stellenwert und der Trend bei der Arbeitszeit für Angestellte geht eindeutig abwärts. Das zeigen neu überarbeitete Normalarbeitsverträge für landwirtschaftliche Arbeitnehmende, beispielsweise in St. Gallen. Und Berner Grossrät(innen) forderten diesen März in einer Motion eine Wochenarbeitszeit von 49,5 Stunden, in einem zweiten Schritt 45 Stunden mit Begrenzung der Überstunden und einen Mindestlohn brutto verbindlich 4000 Franken pro Monat.

Kann sich die Landwirtschaft das leisten?

In der Schweizer Landwirtschaft arbeiten gemäss Bundesamt für Statistik knapp 150'000 Personen, davon rund 35'000 familienfremde. Zu dieser Gruppe gehören rund 17'000 Schweizer(innen) und 18'000 Ausländer(innen), wobei deren Anteil je nach Saison viel höher ist: bis zu 35'000 Personen schätzt der Schweizerische Bauernverband. Insgesamt ist die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark gesunken, aber der Anteil an ausländischen Arbeitskräften hat zugenommen.

Wo bleiben die ausgebildeten Schweizer(innen)? Seit der Bildungsreform im Jahr 2009 haben sich die Ausbildungszahlen positiv entwickelt, aber im Ausbildungsgang 2019 /20 gab es einen Rückgang um fast 10 Prozent: Nur noch 3242 junge Frauen und Männer haben das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis oder Berufsattest erworben.

Dabei wären qualifizierte Arbeitskräfte sehr gesucht, das zeigt ein Blick auf den Stellenmarkt. Landwirtschaftsbetriebe werden grösser, spezialisieren sich. Zugleich breiten sich Überlastung und Burnout in dieser Berufsgruppe aus. Oft werden in Stelleninseraten qualifizierte Personen angesprochen, die ganze Arbeitsbereiche übernehmen und den Betriebsleiter vertreten könnten.

Eine Gesetzesänderung könnte unerwünschte Folgen haben

Solche Mitarbeitende zu finden, ist für Landwirtschaftsbetriebe schon seit Jahren schwierig und wird immer noch schwieriger. Offensichtlich wandern geeignete Arbeitskräfte in andere Berufe ab. Nicht nur Schweizer-(innen), auch Ausländer(innen). Ihre Herkunft verlagert sich stetig zu Ländern mit noch grösserem Wohlstandsgefälle im Vergleich zur Schweiz. Auch für sie ist die Landwirtschaft nicht die Favoritin. Sie fällt bezüglich Arbeitszeiten, Ferien und Freitagen sowie Lohn gegenüber anderen Branchen ab.

Hier Verbesserungen zu schaffen, fordert in der Landwirtschaft allerdings heraus. Mitarbeitende mit einer Wochenarbeitszeit unter 50 Stunden und 4000 Franken Lohn können sich viele Betriebe tatsächlich nicht leisten. Eine Veränderung per Gesetz von heute auf morgen würde an ihre Existenz gehen oder sie zu Umstellungen zwingen, die nicht unbedingt sinnvoll sind.

Die Frage heisst also, wie viel Lohn sich die Landwirtschaft leisten kann – aber auch, wie wenig Lohn sie sich leisten soll, wenn sie zukunftsfähig bleiben will. Ein angemessener Stundenlohn und eine familientaugliche Arbeitsbelastung sind Ziele, auf die sie hinarbeiten kann. Nicht nur für die Mitarbeitenden. Auch sich selber sollen Bauernfamilien bessere Arbeitsbedingungen zugestehen, statt sich in Erschöpfung und Frustration zu krampfen. Und auch wenn die Arbeit Freude macht, ist das kein Grund, warum sie nicht anständig bezahlt sein soll. Dieser Anspruch bedeutet Berufsstolz.