Das diesjährige Agrarpolitik-Forum an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft (HAFL) in Zollikofen BE stand ganz unter dem Motto: «Agrarpolitik 2030, wie gelingt die Vereinfachung?» Neben dem Blick in die Zukunft schaute Agrarhistoriker Peter Moser gemeinsam mit Agronomie-Studentin Franziska Kuratli und Moderator Hansjürg Jäger auf die Entwicklung der Schweizer Agrarpolitik zurück.

«Die Vergangenheit beeinflusst unser Denken»

Der Agrarsektor sei für die heutige Forschung wie kaum ein anderer Sektor in einem Ausmass dokumentiert, stellte der Historiker eingangs fest. Und zwar primär dank der erfreulichen Zusammenarbeit von Verbänden, Firmen und Behörden mit dem Archiv für Agrargeschichte. Weil uns die Vergangenheit in unserem Denken immer beeinflusse, wäre dies eine gute Ausganslage, um uns künftig auch in der Agrarpolitik etwas reflektierter mit ihr auseinanderzusetzen, so Moser weiter.

Bereits vor gut 100 Jahren habe man die liberale Handels- und Agrarpolitik des 19. Jahrhunderts zu einer Agrar- und Ernährungspolitik ausgebaut. Die Landwirtschaft sei in den Dienst der Ernährungssicherheit der Bevölkerung gestellt worden. Diese Tatsache wurde vergessen und werde nicht mehr thematisiert, sodass man, aus Sicht des Historikers, heute teilweise etwas wirr diskutiere und von Verhältnissen ausgehe, die so gar nicht vorhanden seien. «Wir wollen etwas überwinden, an das wir vielleicht anknüpfen könnten und knüpfen an irgendetwas an, was wir eher überwinden sollten», so der Agrarhistoriker.

Die «Ökologie» als Gut betrachtet

Laut dem Experten kam es in den 1970-er Jahren zu einer ersten Welle von Vereinfachungen, die sich in der Folge als problematisch erwiesen. Beispielsweise kam in der Ökonomie die Vorstellung auf, dass «Ökologie» ein Gut sei, das die Landwirtschaft «konsumreif» machen solle. Der bäuerlichen Bevölkerung riet man, weniger Nahrungsmittel und dafür mehr Umweltgüter und Umweltdienstleistungen herzustellen und zu verkaufen. Weil Private dieses «Gut» jedoch nicht kauften, erklärte man es in den 1990-er Jahren zum öffentlichen Gut, das mit der Ausrichtung von Direktzahlungen abzugelten war.

Das Problem sei jedoch, dass die Ökologie kein Gut im eigentlichen Sinne sei, weshalb man den Umgang mit ihr logischerweise auch anders regeln sollte als den Umgang mit einem Gut. «Hier haben wir zu einfach gedacht, deshalb versuchen wir es jetzt kompliziert zu regulieren», erklärt der Historiker. 

«Alle haben für alles immer gleich eine Lösung»

Laut Moser ist man heute in vielen Bereichen, so teilweise auch in der Agrarpolitik, in eine Sackgasse geraten. Diese sehe er jedoch nicht als grundsätzliches Problem. Die Frage sei viel mehr, wie man nun wieder aus selbiger herauskomme. Man sollte nach Auswegen suchen, aber dabei nicht gleich mit vermeintlichen Rezepten um sich werfen, sondern viel mehr zuerst nach den Ursachen suchen.

Wir leben in einer «eigenartigen Zeit», in der eine Vielzahl an Rezepten propagiert werde. «Alle haben für alles immer gleich eine Lösung, aber man nimmt sich kaum Zeit, um nach den Ursachen der Probleme zu fragen», erklärt er. Man mache sich kaum mehr grundlegende Überlegungen und ignoriere zugleich die landwirtschaftliche Praxis. «Wir befinden uns in einer theoriearmen und praxisfernen Zeit, die gerade deshalb so viel reguliert», so der Historiker weiter.

«Rechte auch mit Pflichten verbunden» 

Betrachte man die aktuellen Debatten, erscheine es so, als würden sich alle mit der Landwirtschaft beschäftigen, und viele würden ihre Interessen einbringen wollen, so Hansjürg Jäger, Dozent Agrarpolitik und -märkte an der HAFL. Dies beispielsweise in Form von Initiativen. Eine davon steht aktuell vor der Tür, eine weitere wurde vor kurzem eingereicht. «Gibt es dafür eine historische Erklärung?», fragte Jäger.

Für Peter Moser scheint es logisch, dass alle mitsprechen wollen. Denn wie auch im Bildungs- und Gesundheitswesen seien auch vom Agrarsektor alle betroffen: «Dass alle mitreden wollen, ist nicht das Problem», erklärte der Agrarhistoriker. In einer demokratischen Gesellschaft sei das gut und es sollten laut Moser eigentlich noch viel mehr Leute mitsprechen. Das Problem sei jedoch, dass sich nur wenige wirklich mit dem Thema beschäftigen wollen und deshalb auch wenig davon verstehen.

Das sei auch schon anders gewesen. «Im 19. Jahrhundert beispielsweise ging man davon aus, dass Rechte auch mit Pflichten verbunden sind», so der Historiker weiter. In der Landwirtschaft wie auch im Gesundheits- und Bildungsbereich würde sich heute aber Betroffenheit und Wissen umgekehrt proportional zueinander verhalten. Dies führe in den agrarpolitischen Diskussionen oft zu einer eher «ungemütlichen Stimmung». Hier gelte es anzusetzen: «Wir sollten uns nicht darüber beklagen, dass so viele mitreden wollen, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen», so Moser. Dabei sollten aber nicht nur Lösungen versprochen, sondern die Probleme erörtert werden – um gemeinsam herauszufinden, was die Landwirtschaft unter den aktuellen Bedingungen leisten kann und was nicht.