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Lukas Kilcher (Agridea-Direktor) und Alfred Schädeli (Präsident des Vereins für biologisch-dynamische Landwirtschaft) diskutieren, wie landwirtschaftliche Betriebe zukunftsfähig bleiben können. Im Mittelpunkt stehen Themen wie der zunehmende Spezialisierungsdruck, der Verlust von Vielfalt und die Frage, welche Rolle Technik, Beratung und Generationenwechsel dabei spielen. Beide betonen, dass Widerstandskraft und Lebensqualität auf Höfen eher durch eine vielseitige Ausrichtung entstehen als durch reine Effizienzsteigerung. Während Alfred Schädeli den vertrauensvollen Austausch unter Landwirten betont, legt Lukas Kilcher Wert auf Offenheit für Veränderungen.

Der Regen trommelt sacht auf das Stalldach. Draussen hat es in der Nacht kräftig geschüttet – ein Segen nach der langen Trockenphase, sagen sie hier. Wir sitzen in der warmen Küche auf dem Hof von Alfred Schädelis Bruder Theo in Uettligen BE, der bei unserem Besuch in den Sommerferien ist. Am Tisch: Alfred Schädeli, Präsident des Vereins für biologisch-dynamische Landwirtschaft, und Lukas Kilcher, seit anderthalb Jahren Agridea-Direktor. Der Kaffee dampft, das Gespräch ist wach, engagiert und führt weit über die Felder vor dem Fenster hinaus.

Neugier als Motor

Es beginnt mit einer Beobachtung: Der Bio-Weizen vor dem Haus steht kurz vor der Ernte, kräftig, satt, vielversprechend. Das Jahr 2025 verspricht viel Gutes. Doch die Fragen, die uns hier beschäftigen, sind keine kurzfristigen. Es geht um den Wandel in der Landwirtschaft, um Wissen, Bildung, Beratung – und um das, was auf dem Spiel steht, wenn wir die Landwirtschaft aus bäuerlicher Hand in die industrielle Spezialisierung überführen.

«Was braucht es eigentlich, damit ein Betrieb gedeiht?», fragt Lukas Kilcher. Es ist diese Frage, die den Agridea-Chef umtreibt, seit er vor eineinhalb Jahren die Leitung übernommen hat. Nicht nur wirtschaftlich, auch ideell. In Kilchers Augen beginnt alles mit einer Haltung: Neugier. Wachheit. Der Mut, zu fragen, was noch möglich wäre – und nicht nur, was gerade funktioniert.

Vielfalt statt Tretmühle

«Ich staune oft über Bauern, die nach Generationen plötzlich etwas Neues wagen», sagt er. «Da passiert plötzlich etwas auf dem Betrieb, wenn man beginnt, rumzuschauen.» Gerade beim Generationenwechsel, so beobachtet Kilcher, eröffnen sich Chancen. «Man muss nicht waghalsig sein – aber offen.»

Doch was geschieht, wenn diese Offenheit schwindet? Wenn statt Vielfalt nur noch Kostensenkung und Rationalisierung zählt? Beide Gesprächspartner werden ernst. «Die Spezialisierung ist verführerisch», sagt Kilcher. «Sie verspricht Effizienz. Aber sie nimmt uns auch die Resilienz.»

Alfred Schädeli nickt. «Warum sucht man immer das Eintönige? Spezialisieren, rationalisieren – das ist wie eine Tretmühle.» Die Schweiz habe eine lange Tradition von Höfen mit mehreren Standbeinen. Gemüse, Vieh, Direktvermarktung, ein Kursangebot, vielleicht ein Ferienzimmer – das alles zusammen ergebe ein stabiles Gefüge.

Arbeit und Leben verbinden

Lukas Kilcher ergänzt: «Mit rationalisieren und spezialisieren können die Bauern zwar günstiger produzieren. Das Resultat sind jedoch meist tiefere Produzentenpreise, was die Landwirtschaftsbetriebe zu weiterer Rationalisierung mit Einsatz von neuen technischen Mitteln und Wachstum treibt.» Dabei sinke der Einsatz von Arbeitskräften pro ha laufend, der Kapitaleinsatz und die Verschuldung hingegen würden steigen.

Er erinnert an das Bild der EU-Landwirtschaft: «Trotz für uns traumhaft grossen Betrieben sehen viele Bauern keine Zukunft in der Landwirtschaft, weil eben die Zitrone ausgepresst ist.» Für die Zukunft wünscht er sich, dass sich die Landwirtschaftsbetriebe aus dem Hamsterrad der Tretmühle befreien können, z.B. qualitativem Wachstum oder mit smartem Einsatz von Technik, sodass am Ende einer Investition die Wertschöpfung auf dem Betrieb bleibt und nicht mit Kostensenkungen weitergegeben werden muss.

«Ich lebe auch während der Arbeit.»

Lukas Kilcher über seine Sicht auf Arbeit und Leben.

«Es geht nicht nur um wirtschaftliche Sicherheit», fährt Lukas Kilcher fort. «Eine gewisse Vielfalt ist auch erfüllender. Du lebst dort, wo du arbeitest. Du siehst die Jahreszeiten kommen und gehen, du gestaltest ständig mit. Ein Landwirtschaftsbetrieb kann sehr ästhetisch und ein paradiesischer Lebensort sein – wenn man ihn nicht kaputtoptimiert.»

Work-Life-Balance

In diesem Zusammenhang fällt ein Satz, der hängen bleibt: «Work-Life-Balance ist ein Unwort.» Lukas Kilcher schüttelt leicht den Kopf. «Ich lebe auch während der Arbeit», sagt er. «Wenn ich das Gefühl hätte, das Leben beginne erst nach der Arbeit, dann würde ich mich elend fühlen. Als Bild für ein gesundes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Lebensbereichen finde ich die Work-Life-Romance versöhnlicher.»

Alfred Schädeli kennt diese Erfahrung. Auf dem Hof gibt es keine scharfe Trennung. Im Winter wird repariert, geplant, Neues angedacht. «Es gibt Momente, wo man sogar während harter Arbeit inspiriert wird», sagt er. «Gerade, weil man sieht, was alles möglich ist.» Aber es sei daneben auch wichtig, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

Doch wie bringt man dieses Wissen zu den Bauern? Was braucht es, damit ein junger Mensch den Mut fasst, Neues zu wagen – und dass ein älterer Betrieb neue Wege geht?

Beratung als Brücke

Hier kommt Agridea ins Spiel. Die Organisation, deren Name in der Beratungsszene Gewicht hat, ist mehr als nur eine Denkfabrik. Sie versteht sich als Bindeglied zwischen Forschung und Praxis. «Unsere Kunden sind die kantonalen Beratungsdienste», erklärt Kilcher. «Wir bereiten das Wissen so auf, dass es vor Ort für die Praxis greifbar und umsetzbar wird.»

«Bauern wollen erzählen, was sie tun.»

Alfred Schädeli über den Wert von Austausch.

Dabei spielt die Beratungsmethodik eine zentrale Rolle. Es gehe nicht darum, Informationen möglichst umfassend weiterzugeben, sondern sie gezielt zu filtern, verständlich zu moderieren und praxisnah zu dosieren. Alfred Schädeli erzählt von Betriebsentwicklungsgesprächen und Arbeitsgruppen, in denen mehrere Betriebsleitende zusammenkommen. Einer stellt seinen Hof vor, die anderen bringen den Blick von aussen ein. Wenn diese Treffen gut moderiert sind, können sie mehr bewirken als Merkblätter.

«Bauern wollen erzählen, was sie tun», sagt Schädeli. «Wenn man das ernst nimmt, entsteht echter Austausch.» Vertrauen sei dabei der Schlüssel. Erst wenn man sich öffne – auch über Fehler und Umwege spreche – könne sich Erfahrungswissen entfalten. «In den USA gehört das Scheitern ganz selbstverständlich zum Lernprozess. Zumindest das», findet Schädeli, «dürften wir uns dort abschauen.»

Vielseitigkeit

Für Lukas Kilcher und Alfred Schädeli ist der bäuerliche Betrieb keine nostalgische Idee, sondern eine tragfähige Struktur mit Zukunft. «Wir haben in der Schweiz die grosse Stärke, dass viele Höfe vielseitig aufgestellt sind – das ist eine Form der Resilienz», sagt Kilcher. Doch genau das droht verloren zu gehen. Der Druck zur Spezialisierung nimmt zu – immer mit dem Argument, Kosten senken zu müssen. Dabei sei das aus ökologischer wie aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein gefährlicher Weg: «Wenn wir alles auf ein Standbein setzen, steigen die Abhängigkeit und das Risiko.»

Auch die Technisierung treibt diese Entwicklung mit an. GPS, Melkroboter, grosse Maschinen – sie können helfen, ja. Aber sie führen auch dazu, dass Höfe wachsen müssen, nur um die Technik auszulasten. «Dann sitzt man nur noch auf der Maschine und unterhält sie – kein Fuss mehr auf dem Boden», sagt Kilcher. Die Vielfalt, die dieser Beruf eigentlich biete, schrumpfe zusammen auf monotone Abläufe.

Schädeli sieht mit Sorge, wie sich Höfe in eine Richtung bewegen, die an den amerikanischen Westen erinnert. «Dort machen nur noch Konzerne Landwirtschaft, nicht mehr die Bauern selbst. Die Familienbetriebe bleiben nur noch in der Nische.»

Kulturform

Die beiden sind sich einig: Der vielfältige Schweizer Bauernbetrieb muss als lebendiger, gestaltbarer Organismus erhalten bleiben. Hier wohnen Menschen dort, wo sie arbeiten. Arbeit gehört zum Leben, nicht daneben. «Wenn wir das aufgeben, verlieren wir nicht nur Höfe – wir verlieren eine Kulturform», fasst Kilcher zusammen,

Unsere Gesprächspartner sind beide weit gereist, sie kennen die Landwirtschaft rund um den Globus. In den Tropen oder in Nordafrika habe man gelernt, mit Trockenheit zu leben. Drei Monate kein Regen – dann eine Überschwemmung. Ohne Wasserretention sei man verloren. «Da können wir lernen», sagt Kilcher. «Denn auch wir spüren die Trockenheit immer stärker.»

Die Schweiz sei lange verwöhnt gewesen. «Doch der Klimawandel fordert uns in Riesenschritten heraus. Wir müssen über die Grenzen schauen – nicht um zu kopieren, sondern um zu verstehen», so Kilcher. Was tun, wenn das Wasser knapp wird? Was tun, wenn sich die Bedingungen derart ändern, sodass die gewohnte standortgerechte Landwirtschaft nicht mehr möglich ist?

Dann kommt das Thema Technik auf. Alfred Schädeli hat an diesem Morgen das GPS-Gerät in die Werkstatt gebracht. «Ich habe mich überraschend schnell daran gewöhnt und möchte es nicht mehr missen», sagt er. «Es spart Diesel, Zeit und Ressourcen.» Und doch bleibt bei beiden ein Vorbehalt. «Technik kann uns auch blenden und die Kosten eines Betriebs überfordern», meint Kilcher. «Sie soll helfen, nicht antreiben.» Schädeli ergänzt: «Es geht nicht mehr darum, den grössten Traktor zu haben. Viele suchen wieder leichtere Maschinen. Nicht aus Prestige, sondern aus Vernunft. Die Zeiten ändern sich – langsam, aber spürbar», meint er.

Die Kühe künftig im Stall?

Doch was ist mit der Tierhaltung? Mit den Kühen, die einst auf den Weiden des Allgäus oder des Schwarzwalds standen? Heute sieht man sie kaum noch draussen. Der Melkroboter ersetzt den morgendlichen Gang zum Stall – eine technische Hilfe, ja, aber zu welchem Preis? Könnte das auch im Grasland Schweiz bald soweit sein? Vollautomatisierte Betriebe – die Kühe im Stall. Hier gehe es auch darum, sich selbst immer wieder die Frage zu stellen: «Was mache ich am liebsten?» Wenn die Antwort Melken ist, dann ist womöglich der Melkroboter nicht die allererste Investition, die es zur Entlastung auf dem Hof braucht. «Überleg dir genau, was dir wichtig ist. Darin liegt der Schlüssel zur Betriebsentwicklung: Nicht nur, was rentiert, sondern auch, was Erfüllung und Freude bereitet», so Kilcher.

Die Rolle der Beratung sei damit auch eine kulturelle. Sie soll nicht nur informieren, sondern inspirieren. «Das Wissen ist verfügbar», sagt der Bio-Bauer. «Aber es muss jemand helfen, sich darin zurechtzufinden. Wie mit einer Gewürzdose; Wissenschaft – gut dosiert.» Wissen in vielfältiger Weise dosieren, das ist die Aufgabe von Agridea. Sie setzt auf Plattformen wie Agripedia, auf Weiterbildung, auf Arbeitskreise. Die Zukunft sieht Kilcher in der Zusammenarbeit – überkantonal, thematisch spezialisiert. «Nicht jeder Kanton kann die gesamte Breite der Wissenspalette anbieten. Aber gemeinsam in einer Region ist sehr viel möglich.»

Zum Schluss sprechen wir über die Jungen. «Ich finde es einseitig», sagt Lukas Kilcher, «wenn die Älteren vor allem vom Erfahrungswissen sprechen.» Es brauche auch Platz für Naivität, für Träume. «Und für den jugendlichen Mut, etwas umzusetzen – auch wenn man vielleicht scheitert.»

Kilcher ist sicher: Die Landwirtschaft der Zukunft brauche genau das, einen Dialog der Generationen. «Der junge Blick. Die alte Erfahrung. Das lebendige Interesse füreinander. Tradition und Innovation. Und ein gemeinsames Ziel: Die Landwirtschaft lebendig gestalten.»

Vielfalt als Schatz

Draussen hat der Regen aufgehört. Die Felder glänzen bereits wieder in der Sonne. Wir machen uns auf den Weg – ins Weizenfeld. Prachtvoll steht es da. Kilcher und Schädeli gehen durch die Fahrgasse ins Feld. Das Gespräch in der Küche klingt nach – vielschichtig, offen, ehrlich. Es gäbe noch viel auszutauschen.

Die Schweiz ist klein. Und doch liege in ihrer landwirtschaftlichen Struktur ein Schatz, sind sich Lukas Kilcher und Alfred Schädeli einig: die Vielfalt der Betriebe, das Wissen aus Generationen, die Neugier auf das Morgen. «Was wir brauchen, ist nicht immer mehr Technik. Sondern eine klare Vorstellung davon, wofür wir das alles tun», sinniert Alfred Schädeli. Und manchmal beginnt eine solche Erkenntnis ganz einfach – bei einem Kaffee in einer Bauernküche.