Der Geflügelsektor ist ein Bereich der Schweizer Landwirtschaft, der seit vielen Jahren hervorragend funktioniert. Markt und Preise stimmen, der Tierschutz ist weltweit auf höchstem Niveau. Ein entscheidender Grund dafür ist die Struktur in diesem Sektor. Nun bedrohen die Massentierhaltungs-Initiative und andere Bewegungen den gesunden Markt des Schweizer Geflügels. Wir haben mit Tierarzt Franz Renggli über diese Gefahren gesprochen.
Wie gesund ist das Geflügel in der Schweiz?
Franz Renggli: Rund 90 Prozent der Wirtschaftsgeflügelbestände sind unbehandelt. Das betrifft alle Legehennen, alle Mastpoulet- und Masttrutenbestände in der Schweiz. Das heisst, diese Tiere kommen nie mit einer antibiotischen Behandlung in Kontakt. Dass höchstens 10 % dieser Bestände während der Mastdauer einmal Antibiotika benötigen, konnte nicht erst seit der Lancierung der Antibiotikadatenbank aufgrund von Star realisiert werden. Wir waren schon vorher auf diesem Niveau und sind seit Einführung dieses Bundesprogramms eher noch etwas besser geworden.
Wie sehen diese Zahlen denn im Ausland aus?
Österreich wird gerne als gutes Beispiel genannt. Die Österreicher waren bis vor etwas mehr als zehn Jahren irgendwo bei 65 % unbehandelter Tiere. Dann haben sie ihre Antibiotikadatenbank aufgebaut. Damit waren sie rund zehn Jahre früher mit dem Einführen dieser zentralen Erfassung als wir Schweizer. Zum Vergleich: In Deutschland war man in der gleichen Zeit irgendwo bei 20 % unbehandelter Tiere. Den Österreichern gelang es schliesslich, durch Einführung dieser Datenbank sich auf hohem Niveau von 65 auf rund 75 % zu verbessern. Aber sie liegen damit immer noch deutlich hinter uns.
Wie erklären Sie sich das?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, da gibt es verschiedene Punkte. Österreich ist von der Geografie her ähnlich wie die Schweiz, aber unser Nachbarland ist in der Geflügelbranche anders organisiert. Die Geflügelproduzenten sind dort unabhängig und nicht derart integriert wie das bei uns der Fall ist.
Wie ist es denn bei uns genau?
Hier hat der Tierarzt Einblick in die Produktion. Er hat ein Interesse daran, dass es möglichst gut läuft und es schliesslich möglichst sichere Lebensmittel aus dieser Produktionsform gibt. Das ist bei uns wirklich speziell. Der Tierarzt hat Zugang zu den Daten jedes Geflügelbetriebs. Es wird in der Schweiz grosser Wert auf Krankheitsprävention gelegt. Wir, die Geflügeltierärzte und Tierärztinnen sowohl von der Geflügelabteilung des Tierspitals Zürich, von den Integratoren und auch freie Geflügeltierärztinnen haben in den vergangenen Jahren viel Zeit und Mühe in Aus- und Weiterbildung auch auf Stufe Geflügelproduzenten investiert.
Wie ist diese spezielle Form denn entstanden?
Das Geflügel wurde Ende der Fünfziger- Anfang der Sechzigerjahre populär, als die Mechanisierung zunahm und die Arbeitsteilung grösser wurde. Die Schweizer Eiergesellschaft SEG begann, Poulets zu produzieren. Fast zeitgleich startete die Migros mit Optigal ebenfalls mit der Produktion von Poulets. Anfang der Sechzigerjahre ging es also richtig los. Zuerst waren keine Tierärzte beteiligt, sondern ausschliesslich Geflügelfachleute. Es ging zu jenem Zeitpunkt darum, die Information quasi in einem Haus zu bündeln. Es wurde ein System erschaffen, bei dem man die Kükenqualität, die Futterqualität und das Management im Griff hatte. Eine wichtige gesundheitsprophylaktische Massnahme war, den Betrieben in Sachen Fütterung und Management Beratung zur Seite zu stellen.
In den Neunzigerjahren kamen zunehmend Anforderungen in der Lebensmittelsicherheit, wie die Salmonellenfrage, hinzu. Das war bis dato kein Thema. Die ganze Tierarzneimittelgeschichte wurde auch zum Thema. Früher hatte der Berater einfach ein Antibiotikum bei sich, das änderte. Dann haben diese Organisationen wie SEG und Optigal Tierärzte angestellt. Der Tierarzt ist heute voll integriert, er erhält alle relevanten Informationen und hat die Entscheidungsfreiheit, zu intervenieren. Das ist kaum in einem anderen Bereich so transparent.
Welche Dimensionen hatten diese Betriebe damals und wohin haben sie sich entwickelt?
Zu Beginn gab es kleine und überschaubare Betriebe, die geografisch möglichst voneinander getrennt waren. Mit der Zeit wurden natürlich auch die Strukturen in der Schweiz grösser. Ganz grosse Betriebe haben heute gut 20 000 Poulets. Im Vergleich mit dem Ausland ist das aber immer noch enorm klein. In Deutschland beginnen sie zum Beispiel unter 200 000 Tieren gar nicht. Und wenn wir nach Südamerika oder China schauen, dann sind wir bei 2 oder 20 Millionen Tieren pro Betrieb. Nur so, um die Relationen zu zeigen.
Und damit kommen wir auch gleich zur Massentierhaltungs-Initiative.
Diese Initiative braucht es nicht. Wenn das Ziel ist, dass der Konsument Biopoulet oder Poulet aus solch kleinen Ställen kaufen soll, dann kann er das heute schon tun. Und wenn er das will, dann muss er nichts anderes tun, als in den Laden zu gehen und konsequent dieses Poulet aus dieser Produktion auch kaufen. Wenn alle genau so einkaufen, dann hätten wir innert kurzer Zeit 60 oder 70 Prozent Biobetriebe in der Schweiz. Der Markt würde nämlich sofort reagieren, das Angebot richtet sich nach der Nachfrage. Aber das wird höchstwahrscheinlich nicht passieren.
Was wird denn stattdessen passieren?
Die Realität ist irgendwo im niedrigen einstelligen Prozentbereich. So beschränkt ist die Nachfrage nach Biopoulet. Das nimmt zwar immer noch etwas zu, bleibt aber auf einem sehr tiefen Niveau. Jene Konsumenten, die sich gegen solche Grossbestände aussprechen, sollen einfach konsequent Schweizer Poulet kaufen, dann haben sie es immer noch aus einer landwirtschaftlichen Produktion. Jene, für die der Preis entscheidend ist, kaufen ein Importpoulet oder fahren dafür über die Grenze und haben dann eines aus einem 200 000er-Bestand.
Massentierhaltungssysteme nach meiner Definition haben nicht nur einen Haufen Tiere, sie gehören auch keinem Bauern mehr, sondern irgendeinem Konglomerat, bei dem irgendein Arbeitnehmer diese Tiere betreut. Und das ist genau der entscheidende Punkt: Wir haben hierzulande wirklich noch landwirtschaftliche Produktion. Wenn unsere Bauern durch solche Initiativen ihre Arbeit verlieren, dann verschwinden auch viele Landwirtschaftsbetriebe. Wenn man das will und damit Strukturpolitik betreiben will, dann muss man diese Massentierhaltungs-Initiative umsetzen. Und übrigens würde auch der Gegenvorschlag des Bundesrats Strukturpolitik machen. Etwas weniger stark vielleicht.
Mit welchen Folgen?
Mit schwerwiegenden Folgen für die hiesige Produktion. Es ist einfach, an der Urne zu stimmen, dass man keine grossen Bestände will, aber im Gegenzug im Ausland das Billige kauft. Und genau das könnte leider passieren. Möglicherweise werden wir eine geringere Produktion haben und auf Importe angewiesen sein. Und das, was wir importieren, ist nicht oder kaum vorgeschrieben. Zudem ist es auch weniger kontrollierbar. Dann haben wir genau das, was wir nicht wollen: Hier haben wir die Landwirtschaft zwar zerstört, aber für ein global besseres Tierwohl haben wir genau nichts getan. Die Alternative ist, kein Fleisch zu essen. Der Mensch ist aber eigentlich nicht zum Vegetarier geboren. Der Mensch ist ein «Omnivore». Sagen wir mal, zumindest rein vegan kann sich der Mensch nicht ausgewogen ernähren. Ob wir so viel Fleisch essen müssen, wie wir uns das derzeit gewohnt sind, ist tatsächlich eine andere Frage.
Ist diese Initiative das einzige Problem, das die Geflügelbranche derzeit hat?
Einige Sorgen bereiten uns auch Tieraktivisten. Das erleben wir in diesen Hofbesetzungen und Filmaufnahmen, die dann auch noch von Medien breitgeschlagen werden, obwohl die eigentlich illegal sind. Zunehmend herausfordernd wird ebenfalls der Umgang mit den Veterinärämtern, sei es auf kantonaler oder nationaler Ebene. Wir spüren dort einen deutlichen Realitätsverlust. Weiter sind es gewisse Konsumentenwünsche, die wir in diesen Initiativen spüren, die uns beschäftigen. Aber natürlich auch immer wieder Gesetzes-revisionen, die uns vor neue Herausforderungen stellen. Die Politik beschäftigt uns also sehr stark.
Gibt es da konkrete Beispiele?
Ein Ziel ist beispielsweise, im gesamten europäischen Raum alle Antibiotika in der Tierproduktion zu verbieten. Das fordern Humanmediziner. Und die haben bekanntlich mehr Gewicht als wir. Hier wird die Tierproduktion und die Landwirtschaft wiederum zum Sündenbock gemacht. Das sah man bereits vergangenen Juni im Zusammenhang mit den Initiativen zum Pestizidverbot. Lediglich zehn Prozent der gewässerverschmutzenden Anteile stammen aus der Landwirtschaft. Die anderen 90 Prozent liess man in dieser Diskussion völlig ausser Acht – aber die Landwirtschaft wollte man kippen. Und ebendiese Sündenbockpolitik ist auch brandgefährlich für die Tierproduktion. Und zwar in der Schweiz, aber auch europaweit. Ich befürchte eine Lebensmittelknappheit in ganz Europa. Man zerstört mit diesen Forderungen die Landwirtschaft, sodass sie schliesslich nicht mehr in der Lage ist, bedarfsdeckend zu produzieren. Mit der Folge, dass wir vom Weltmarkt abhängig werden – das heisst von China, Südamerika und eventuell noch Nordamerika. Und wenn diese Nationen sagen, wir brauchen diese Güter für uns, dann bleibt für Europa nicht mehr genug. Das ist jetzt etwas schwarzgemalt. Ich bin kein Prophet, aber die Entwicklung geht leider in diese Richtung.
Die Nachfrage nach Poulet-fleisch ist in den letzten Jahren gestiegen. Geht dieser Trend noch weiter?
Ob die Nachfrage nach Poulet-fleisch zunimmt, ist nicht sicher. Wir hoffen, dass die Nachfrage nach Schweizer Pouletfleisch steigt. Aber die Nachfrage nach Fleisch wird, mit dieser veganen Bewegung der Gegenwart, in Europa tendenziell stagnieren oder gar zurückgehen. Wir sind schon froh, wenn die Nachfrage in etwa gleich bleibt.
Wie viel Poulet wird importiert?
Ungefähr 40 %. Auf Stufe Detailhandel sind es wohl etwa nur 20 %. Die Diskrepanz kommt vom Gastro- und Grossküchenbereich, wo eben eher auf günstige Preise vom Import gesetzt wird. Bei den Truten sieht es etwas anders aus.
Fehlt Trutenfleisch?
Einerseits fehlen Truten – andererseits ist Trutenfleisch ein Produkt, das die Schweizer nicht häufig kaufen und selber zubereiten. Das heisst, Truten werden hauptsächlich in der Gastronomie und in Grossküchen wie Spitälern verwertet. Dort ist der Preis sehr sensibel. Darum wird auch rund 85 % des Trutenfleisches importiert. Wenn die Leute etwas Billiges wollen, dann gehen sie ins Ausland oder lassen es von dort kommen. Das ist leider Tatsache.