Um die Versorgung mit Tierarzneimitteln in der Schweiz steht es kritisch. So sieht es die Gesellschaft der Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST). Lieferungs- oder Versorgungsengpässe bei Tierarzneimitteln nehmen immer mehr zu. «Grundsätzlich müssen Tierärzte in der Schweiz zugelassene Tierarzneimittel verschreiben und anwenden. Wenn es kein geeignetes Präparat gibt, dürfen unter Umständen für andere Tiere zugelassene Schweizer Tierarzneimittel oder Medikamente für Menschen eingesetzt werden», erklärt Patrizia Andina-Pfister, Tierärztin im Bereich Wiederkäuer und Tierarzneimittel bei der GST. Sie erklärt, dass aus einer beschränkten Anzahl von anderen Ländern unter gewissen Bedingungen Medikamente importiert werden könnten, wenn es keine Alternativen in der Schweiz mehr gibt.

Grosse Einschränkungen bei Nutztieren

Während Tierärztinnen und Tierärzte bei Heimtieren eine relativ grosse Behandlungsfreiheit haben, ist diese bei Nutztieren stark eingeschränkt. «Es dürfen keine unerlaubten Stoffe in die Lebensmittel tierischer Herkunft gelangen», begründet Patrizia Andina-Pfister. Die Suche nach anderen Medikamenten sei für eine Praxis sehr zeitaufwendig. «Am schlimmsten ist es, wenn plötzlich wichtige Medikamente fehlen und das Tierwohl oder der Tierschutz gefährdet ist», so die Tierärztin und nennt das Beispiel des Narkosemittels Stresnil® für Schweine, das im Jahr 2018 in der Schweiz nicht lieferbar war. Probleme entstünden auch, wenn Impfstoffe oder einfache Erstlinien-Antibiotika fehlen, und deswegen mehr Tiere mit Antibiotika oder kritischen Antibiotika behandelt werden müssen. «Die kritischen Punkte sind das Tierwohl und die Lebensmittelproduktion und -sicherheit», weiss Andina-Pfister.

Situation bereits vor Corona schwierig

Wer glaubt, dass die Versorgung mit Tierarzneimitteln erst seit der Corona-Pandemie ein Problem ist, irrt. Die Pandemie hat dieses lediglich verschärft. «Das Hauptproblem ist, dass der Schweizer Markt sehr klein ist und die meisten Pharma-Firmen, die Tierarzneimittel produzieren, ihren Sitz im Ausland haben», sagt die Tierärztin. Mit der Konsequenz, dass Pharmafirmen in der Schweiz (als Nicht-EU-Staat) die Medikamente durch die Swissmedic zulassen lassen müssen; dafür sind eigene Verpackungen mit den Beipackzetteln in den Landessprachen nötig – ein Zusatzaufwand demnach. Häufig lohne es sich für die grossen internationalen Firmen aber nicht, diesen Aufwand auf sich zu nehmen, weiss die Tierärztin und erklärt: «Gerade wenn der Patentschutz abgelaufen ist und die Firmen für ein älteres Produkt neue Studien liefern müssten, entscheiden sich die Firmen aus wirtschaftlichen Gründen manchmal dafür, das Produkt vom Markt zu nehmen.»

Es herrscht ein unerbittlicher Preiskampf

Wegen eines drastischen Preiskampfs besteht der Trend, dass nur die Firma überlebt, die einen Wirkstoff am günstigsten produzieren kann. Diese Firmen befinden sich häufig in Indien oder China, wo die Schweiz keinen Einfluss nehmen kann. Können diese Firmen nicht mehr liefern, ist der ganze Weltmarkt betroffen. «Die Pandemie hat nun zur Folge, dass es an vielen Stellen entlang der gesamten Lieferkette klemmt. Wegen der riesigen Produktionsmenge an Covid-Impfstoff war z. B. der Ver-packungskarton Mangelware, oder es hat an Gläsern oder Gummistopfen gefehlt. Die Kühl-Container für Frachtflugzeuge waren komplett aus-gebucht. Viele Medikamente werden in Indien produziert, dort fielen Mitarbeiter(innen) krankheitshalber aus», so die Tierärztin.

Während die Versorgung mit Arzneimittel im Humanbereich in den vergangenen Jahren Thema zahlreicher Vorstösse war, ist es auf politischem Parkett umdie Tierarzneimittelversorgung weitgehend still geblieben. «Die GST setzt sich schon lange dafür ein, dass das Thema angegangen wird. Wenn die Entwicklung so weitergeht, sieht es für die Versorgung mit Tierarzneimitteln düster aus. Die Gesellschaftvergisst manchmal, dass ein Mangel an Tierarzneimitteln auch ein Tierschutz-Problem ist. Aus Sicht der Tierärzteschafthaben auch Tiere ein Rechtauf Behandlung», sagt Patrizia Andina-Pfister.

Fehlende Lobby für Tierarznei

Den Grund für ein mangelndes Interesse ortet die Tierärztin darin, dass die Tiermedizin bisher keine starke Lobby hatte. Zudem sei der Mensch, anders als in der Humanmedizin, nur indirekt betroffen. Die Tierarzneimittel sind an vielen Orten in der Gesetzgebung der Humanmedizin angegliedert (HMG und angegliederte Verordnungen), es gibt keine separate Behandlung. «Das führt dazu, dass Tierarzneimittel immer wieder vergessen gehen. Wir appellieren auch an das Bundesamt für Gesundheit und die Swissmedic, die Besonderheiten bei den Tierarzneimitteln nicht zu vergessen und die Partnerbehörden wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen oder die spezialisierten Abteilungen von Anfang an in die Prozesse einzubeziehen», sagt Andina-Pfister.