Die Landwirtschaft wird immer spezialisierter, digitalisierter und die Anforderungen an die Nachhaltigkeit steigen. Diesem Wandel muss auch die Ausbildung Rechnung tragen. Derzeit werden die Landwirtschaftsberufe für die Zukunft fit gemacht – die Totalrevision der Grundbildung läuft. Grösster Knackpunkt war die Dauer der Lehre als Landwirt/in EFZ.

Es gab zwei Fronten

Hier gab es zwei klare Fronten: Die einen wollten an der dreijährigen Lehre festhalten, andere – unter anderem die Junglandwirte – forderten vehement ein weiteres Lehrjahr. Die originelle Lösung, an der man aktuell weiterarbeitet, ist ein 3 + 1-Modell.

Bio-Fachrichtung(en)?

Ein landwirtschaftliches Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) soll in drei Jahren erlangt werden können, es gibt aber die Möglichkeit eines zusätzlichen vierten Lehrjahres. Aktuell feilt man unter anderem an den Fachrichtungen. So ist noch offen, ob es (k)eine oder zwei spezifische Bio-Fachrichtungen geben wird.

Frau Sieghart, zurzeit läuft die Totalrevision der beruflichen Grundbildung im Berufsfeld Landwirtschaft. Das Kernstück ist das 3+1-Modell, also die Möglichkeit eines zusätzlichen vierten Lehrjahrs für die Berufe Landwirt(in) EFZ und offenbar auch für Geflügelfachmann/-frau EFZ?

[IMG 2]Petra Sieghart: Bei Landwirt(in) EFZ ist das 3+1-Modell der aktuelle Arbeitsentscheid. Die ersten Entscheide im Vorstand der Organisation der Arbeitswelt (ODA Agri Ali Form) sind gefallen, aber es folgen noch diverse Vernehmlassungen. Und es ist tatsächlich vorgesehen, dass die Geflügelfachleute ihren eigenständigen Beruf aufgeben und sich in den Beruf Landwirt EFZ mit einer Fachrichtung Geflügel integrieren. Der definitive Entscheid in den offiziellen Gremien des Aviforums steht aber noch aus.

Wie schwierig war es, zu dieser Lösung zu kommen?

Die Ausgangslage präsentierte sich wie folgt: Ungefähr der Hälfte war für das bisherige Modell von drei Lehrjahren, die andere Hälfte für vier Lehrjahre. Beide Lager waren sehr überzeugt von ihrem Standpunkt. Es gibt denn tatsächlich auch für beides gute Argumente. Bei unserer Klausurtagung im Jahr 2020 war ganz klar zu spüren, dass es zwei unterschiedliche Bedürfnisse gibt und wir etwas finden müssen, das beiden Rechnung trägt. Natürlich war dann der Wille da, eine gemeinsame Lösung zu finden. Auf das vorgesehene Modell mit dem zusätzlichen vierten Lehrjahr sind wir mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) gekommen. Man muss klar festhalten: Das ist keine neue Erfindung. Es gibt Berufe, die schon erfolgreich mit diesem Modell arbeiten. Wichtig wird sein, dass wir nicht zu viele Fachrichtungen haben, sonst wird das für die Berufsschulen schwierig umzusetzen. Man muss auch an das Mengengerüst an Lernenden denken, man kann diese nicht auf zu viele Fachrichtungen aufteilen.

Was wäre denn Ihrer Ansicht nach eine sinnvolle Anzahl Fachrichtungen?

Fünf bis sechs. Vier sind im weitesten Sinne schon gesetzt: Ackerbau, Rinderhaltung, Geflügel, Schweineproduktion. Bei der Rinderhaltung gab es zunächst die Idee, diese in zwei Fachrichtungen Milch- und Fleischproduktion aufzuteilen. Dann hat man aber gemerkt, dass beides doch viel gemeinsam hat. Die Workshops laufen noch, aber es sieht schon danach aus, als würde es eine Fachrichtung werden.

Wie will man die Lernenden motivieren, tatsächlich noch ein viertes Jahr anzuhängen? Über mehr Lohn?

Es ist tatsächlich wichtig, dass dieses vierte Jahr attraktiv genug ist für alle, für die es wichtig wäre. Wichtig wäre es für alle, die einen Betrieb mit mehreren Betriebszweigen im Auge haben. Ein Punkt ist sicher der Lohn. Der Schritt beim Lohn vom dritten ins vierte Lehrjahr muss grösser sein als vom zweiten ins dritte, denn nach drei Jahren hat man schon ein EFZ in der Tasche. Das vierte Jahr ist ein Lehrjahr mit Lehrvertrag, dadurch entstehen den Lernenden keine Kosten – ganz im Gegensatz zur höheren Berufsbildung, in der sie alles selbst bezahlen müssen. Wichtig ist auch noch zu erwähnen, dass man das vierte Lehrjahr auch später – nach einer Pause – noch absolvieren kann und dass es für die höhere Berufsbildung als Praxisjahr angerechnet wird.

Die Biobranche fordert mehr Bio in der Ausbildung. Reicht da eine Fachrichtung, brauchte es nicht eine eigene Lehre?

Bei der grossen Umfrage 2019 unter den Mitgliedern der ODA Agri Ali Form kam ganz klar zum Ausdruck, dass niemand eine separate Bioausbildung will. Ökologie und Nachhaltigkeit sollen hingegen vermehrt in die bestehenden Lektionen integriert werden. Der Wunsch nach mehr Bio in der Grundbildung ist also ein gemeinsamer Wunsch. Esist klar, dass man Wissen aus dem Biolandbau niemandem mehr vorenthalten kann und es den Austausch braucht. Immer mehr junge, konventionellproduzierende Betriebsleiter(innen) suchen den Austausch mit ihren biologisch produzierenden Kollegen und Kolleginnen und wenden Produktionsmethoden aus dem Biolandbau auf ihren Betrieben an. Die Frage nach einer eigenen Biofachrichtung ist offen. Hier stehen noch Workshops und ein weiteres Spitzengespräch mit Bio Suisse an. Die offene Frage ist: Keine Fachrichtung, eine Fachrichtung oder zwei? Ein Entscheid wird frühestens im Sommer fallen.

Digitalisierung, Spezialisierung und Klimawandelsind Kernthemen,der die landwirtschaftliche Grundbildung künftig gerecht werden soll. Wie will mandas erreichen?

Die Spezialisierung deckt man über das Modell mit den verschiedenen Fachrichtungen ab. Das Thema Klimawandel ist Bestandteil der nachhaltigen Landwirtschaft und wird sicher sowohl in den ersten zwei gemeinsamen Jahren als auch in den Fachrichtungen enthalten sein. Bei der Digitalisierung haben wir bereits diverse Lernziele definiert – wie den Einsatz von Smart-Farming-Instrumenten.

Es war zu lesen, die Berufe Weintechnologe/-in undWinzer(in) würden zu einem dreijährigen EFZ mit Fachrichtungen zusammengelegt und die anderen Berufe bei ihrem dreijährigen Modell bleiben.

Die Winzer und Weintechnologen sehen tatsächlich vor, ihren Beruf zu einem dreijährigen EFZ mit zwei Fachrichtungen Winzer und Kellerwirtschaft zusammenzulegen. Man kann nach drei Jahren mit einer Fachrichtung abschliessen oder nach vier Jahren mit beiden. Ausserdem gibt es zwei gemeinsame Schuljahre, denn auch diese beiden Berufe brauchen einander. Um im Keller einen guten Wein produzieren zu können, braucht es gewisse Kenntnisse aus derProduktion und umgekehrt. Bei den Obstfachleuten und den Gemüsegärtner(innen) ist es hingegen schon länger klar, dass sie beim dreijährigen EFZ ohne Fachrichtungen bleiben.

Vorgesehen ist, dass die revidierte Bildungsverordnung 2024 in Kraft treten soll. Wo steht die Revision aktuell?

Die Entwürfe für die Qualifikationsprofile der einzelnenBerufe liegen vor. Das ist eine Übersicht der Handlungskompetenzen und das Berufsbild. Das wiederum ist die Grundlage dafür, den Bildungsplan mit den ausformulierten Lernzielen zu erarbeiten. Für die berufsübergreifenden Lernziele und Handlungskompetenzen haben wir auch bereits Entwürfe. Im Moment arbeiten wir in breit aufgestellten Arbeitsgruppen an den berufs- bzw. fachrichtungsspezifischen Handlungskompetenzen und Lernzielen.

Bevor die AP 22+ sistiert wurde, wurde diskutiert, ob ein EFZ künftig noch zum Direktzahlungsbezug berechtigen solle. Denken Sie, ein dreijähriges EFZ genügtin Zukunft noch?

Es sind zwei Paar Schuhe: Agrarpolitik und Bildung. Auf die AP haben wir keinen Einfluss. Die Branche ist sich aber einig, dass ein dreijähriges EFZ weiterhin zum Bezug von Direktzahlungen berechtigen soll. Trotzdem finden wir für das selbstständige Führen eines Betriebs die höhere Berufsbildung wichtig. Wir möchten die Zahl der Leute, die diese absolvieren, noch erhöhen.