Wie schwerelos liege ich mit geschlossenen Augen im körperwarmen Wasser. Nur leicht spüre ich im Nacken den Arm von Therapeutin Manuela Blanchard. Ich atme tief in den Bauch und die Hektik des Vormittags scheint von mir wegzufliessen. Die Watsu-Stunde war offenbar doch eine gute Idee.
Watsu ist die Abkürzung für Wasser-Shiatsu. Dabei bewegt der Therapeut seinen Klienten mit fliessenden Bewegungen im etwa brusttiefen, 35 Grad warmen Wasser. Da im Wasser das Körpergewicht um 70 bis 80 Prozent leichter ist, lassen sich die Wirbelsäule, Muskeln und Gelenke leichter bewegen. Die sanfte Körperarbeit im Wasser kann bei Verspannungen, eingeschränkter Beweglichkeit und chronischen Schmerzen helfen.
Das Gefühl, getragen zu werden
Watsu kann aber auch eine positive Wirkung auf die Psyche haben, zum Beispiel bei Stress, Blockaden oder Schlafstörungen. «Zu mir kommen auch Schwangere oder Menschen, die bisher Angst vor dem Wasser hatten», erklärt Manuela Blanchard einige Tage später beim Gespräch. Denn Watsu wirkt auf mehreren Ebenen: Die Wärme des Wassers, plus die Massage und dass da jemand ist, der sich um einem kümmert. «Viele erleben beim Watsu ein Gefühl von Getragen-Werden. Sie fühlen sich emotional aufgehoben und können Kontrolle abgeben.»
Nach der sanften Angewöhnung beginnt die Therapeutin damit, meine Muskeln und Faszien mit geschulten Griffen zu lockern. Zudem werden die Bewegungen im Wasser grossräumiger. Manuela Blanchard erzeugt zum Beispiel durch eine Drehung eine Wasserströmung wie bei einem Fluss. Diese nutzt sie, um meinen Körper zu dehnen. Das Gesicht bleibt beim Watsu immer über Wasser. Auftriebshilfen an den Oberschenkeln verhindern, dass die Beine absinken.
Die Therapeutin bewegt meinen Körper in Spiralen, versetzt ihn in Schaukel- und Wellenbewegungen. Die Arme und Beine schwingen jeweils mit. Ich muss nichts tun, rein gar nichts. Der Körper entspannt, ich spüre wohlige Gelassenheit.
Vom Wassersport zum Wassertanz
Manuela Blanchard ist in Lausanne aufgewachsen. Mit Anfang 30 entdeckte sie eher per Zufall die aquatische Körperarbeit. Sie hatte Soziologie und Ethnologie studiert, aber ihre Leidenschaft galt dem Tanz und dem Synchronschwimmen. «Ich liebte das Wasser.» Doch das leistungsbetonte Synchronschwimmen erlebte sie als harte Welt, «kalt und sportlich». Dazu kam, dass der Wassersport sechs Stunden Training pro Woche abverlangte, dazu Wettkämpfe an den Wochenenden.
Sie begann, Ausbildungsmodule im Bereich Tanztherapie zu besuchen und erlebte dabei eine Kursstunde im Wasser. «Ich wusste gleich, das ist es!» Die Arbeit im warmen Wasser war ganz anders, als sie es vom Synchronschwimmen kannte. «Langsam und weich. Das hat mich daran so angezogen.»
Die 45-jährige Tanzlehrerin, die seit 15 Jahren in Bern lebt, absolvierte die mehrstufige Ausbildung in aquatischer Körperarbeit. Inzwischen unterrichtet sie auch selbst, mit einem eigenen Ansatz: «Aquatic Bodywaves» kombiniert Körperarbeit und Tanz im Wasser. Doch im Gegensatz zum Synchronschwimmen steht hier eine Art improvisierter Paartanz im Zentrum, ganz ohne Choreografie. «Dabei entstehen fliessende Übergänge zwischen führen und folgen, zwischen Präsenz und Loslassen.»
Entspannt unter Wasser
Wie vor der Stunde abgesprochen, drückt mir die Therapeutin irgendwann eine Nasenklammer in die Hand. Mit immer noch geschlossenen Augen setze ich sie auf und gewöhne mich daran, durch den Mund zu atmen. Mit fliessenden, rhythmischen Bewegungen taucht Manuela Blanchard nun auch meinen Kopf mit unter Wasser. Wir sind in der Wata-Sequenz.
Wata ist die Abkürzung für Wassertanzen und gilt als Fortgeschrittenenmethode für Leute, die bereits mit Watsu vertraut sind. Die Über- und Unterwassersequenzen wechseln sich dabei ab. «Jede Wata-Sequenz hat ihren eigenen Rhythmus. Ich arbeite nie mit einem festen Programm.» Durch den Atemstopp unter Wasser verlängert sich der Atemzyklus, Herzfrequenz und Muskelspannung sinken. Viele Klienten tauchen dabei in meditative Entspannungszustände ein. Das Wasser erlaubt zudem dreidimensionale Bewegungen, die an Land so nicht möglich sind.
Biegen und strecken lassen
Die Therapeutin dreht, faltet, steckt und biegt meinen Körper. Sie passt die Unterwassersequenzen meinem Atemrhythmus an. Das Luftanhalten fühlt sich erstaunlich entspannt an. Beim Auftauchen habe ich nie das Bedürfnis, gierig nach Luft schnappen zu wollen.
Unter Wasser sind nur leicht gurgelnde Geräusche zu hören. Mit geschlossen Augen verliere ich das Gefühl für oben und unten, für Raum und Zeit. Fühlen sich so Astronauten im schwerelosen Raum? Babys im Mutterleib? An einem leichten Druck an der Nasenwurzel merke ich, dass ich nun wahrscheinlich kopfüber im Wasser schwebe. Das beunruhigt mich kein bisschen. Ich verlasse mich ganz auf die Therapeutin.
Am Ende der Stunde lehne ich mit dem Rücken an der Beckenwand und blicke leicht erstaunt auf meine Füsse im Wasser, die mich nun wieder tragen. Noch bin ich nicht wieder vollständig im Hier und Jetzt angekommen. Den vielen Aufgaben der kommenden Wochen blicke ich mit wohltuender Distanz entgegen. Erfreut stelle ich fest, dass der Muskel im linken Oberarm, der am Morgen mal wieder lästig gezwickt hat, nicht mehr schmerzt.
Obwohl sie gerade über eine Stunde lang eine Erwachsene durchs Wasser bewegt hat, wirkt auch Manuela Blanchard entspannt. «Nach einer Watsu-Stunde blicke ich dem Alltagsstress gelassener entgegen», bestätigt sie. «Für mich fühlt es sich oft an wie eine Meditation, weil ich dabei so tief mit meinem Körper und dem Atem verbunden bin.»
Weitere Informationen:
www.earthandwaterdance.com
Körperarbeit im Wasser
Auf der Website des Instituts für aquatische Körperarbeit IAKA finden sich Ausbildungsmöglichkeiten sowie Kontaktdaten zu Wasser-Therapeuten in der ganzen Schweiz. Derzeit wird diese Art der Körpertherapie erst von wenigen Krankenkassen anerkannt.
www.iaka.ch ▶ Praktizierende