An Weihnachten lag wahrscheinlich mancherorts das Videogame «Landwirtschafts-Simulator» (LS) unter den Christbäumen (siehe Box). Neuerdings kann man sogar in einer alpinen Umgebung und mit viel Schweizer Landtechnik Bauer oder Landwirtin spielen. Redaktorin Esther Thalmann wollte wissen, wer hinter dem Spiel steckt und hat sich deshalb mit einem der Entwickler, Christian Ammann, getroffen.
Bauernzeitung: Christian Ammann, was wünschten Sie sich als Knabe zu Weihnachten?
Christian Amman: Den C 64, ein Heimcomputer. Das mitgelieferte Formel-1-Rennen war mein erstes Videospiel, das ich spielte. Seit damals interessieren mich Videogames; zuerst als Spieler, später faszinierte mich, was dahintersteckt. Der C 64 war für mich der Einstieg ins Programmieren.
Mit dem LS haben Sie ein Game entwickelt, das weltweit enorm erfolgreich ist. Haben Sie überhaupt noch Träume?
Auf jeden Fall. Wir sind überhaupt nicht fertig mit dem Produkt. Es gibt noch ganz viele Möglichkeiten und Funktionen, die wir im LS implementieren möchten.
Können Sie uns Details verraten?
Da wollen wir uns lieber bedeckt halten.
Das Spiel
Der «Landwirtschafts-Simulator» ist ein Schweizer Videospiel, das Arbeiten auf dem Bauernhof simuliert. Man kann es am Computer oder am Handy spielen.
Alle wichtigen Landmaschinen-Marken sind laut den Spielentwicklern im Game vertreten. Folglich kann man alle grossen Traktoren und viel neue Landtechnik virtuell ausprobieren. Um die Maschinen zu kaufen, verkauft man seine erwirtschafteten Produkte. Es gibt auch Tiere, um die man sich kümmern muss.
Das Spiel wurde seit 2008 über 25 Millionen mal verkauft und zirka 115 Millionen mal kostenlos heruntergeladen. Es ist das meistverkaufte deutschsprachige Game.
Mehr Informationen:
www.farming-simulator.com
Ausschnitt aus der SRF-Sendung Eco vom 21.12.2020 (ab Minute 3:19).
Was ist Ihr persönlicher Bezug zur Landwirtschaft?
Der ist eher klein. Meine Eltern sind Unternehmer. Natürlich habe ich in den vergangenen Jahren viel über die Landwirtschaft gelernt: durch den Kontakt mit den Landmaschinen-Herstellern und von Mitarbeitenden, die aus der Landwirtschaft kommen.
Bei Ihnen arbeiten Bauern?
Einige unserer Mitarbeiter haben zu Hause einen kleinen Betrieb oder helfen auf dem Hof ihres Onkels mit. Das ist ganz wichtig für unseren Wissenstransfer. Man kann kein Spiel von etwas entwickeln, von dem man nicht weiss, wie es genau funktioniert.
Was gab den Ausschlag, das Game zu entwickeln?
Stefan Geiger, der Mitgründer von Giants Software, und ich entwickelten schon lange Videospiele zusammen. Wir hatten die Idee, ein Gamestudio in der Schweiz aufzubauen. Wir wollten nämlich unseren Traumberuf in der Schweiz ausüben können. Zudem hatte Stefan einen deutschen Freund, der hatte die Spielidee. Dieser Freund war richtig besessen davon und sagte: «Ihr müsst das für mich machen!» Also bauten wir in unserer WG den Prototyp und erhielten sehr gutes Feedback.
Was ist das Erfolgsgeheimnis des LS?
Als wir den LS lancierten, gab es in der Spielindustrie eine Renaissance der Simulationsspiele. Was wir machten: Wir interpretierten das Genre neu. Bei uns sitzt du nicht einfach im Schlepper und fährst. Du kannst aussteigen und umhergehen. Du kannst richtig tief in die Welt eintauchen. Dieses Konzept kennen auch andere Spiele. Es nennt sich «Open World».
Ausserdem haben wir im Bereich der Simulationsspiele ein unerreichtes Spektrum an verschiedenen Möglichkeiten. Da gehört auch der Mehrspielermodus dazu. Dank ihm kann ich mich übers Internet mit bis zu 16 Spielern vernetzen, gemeinsam die Felder bestellen oder zu den Tieren schauen.
Haben Sie auch Zeit, den LS selber zu spielen?
Bei der Entwicklung spiele ich zwangsläufig, jedoch nur gewisse Fragmente. Und diese spiele ich jeden Tag aufs Neue. Manchmal spiele ich mit Leuten aus der Firma den Mehrspielermodus, aber eigentlich nicht so oft.
Schlieren, Ihr Firmenstandort, ist tiefste Zürcher Agglo. Wo oder wie finden Sie Inspiration für ein Landwirtschafts-Game?
Auf meinem Arbeitsweg von Oberengstringen ZH nach Schlieren. Meist gehe ich die 30 Minuten zu Fuss der Limmat entlang. Da hat es ein paar sehr grosse Felder.
Wenn wir eine neue Welt angehen, wie zum Beispiel unsere neuste, die alpine Landwirtschaft, suchen wir gezielt nach Orten, machen viele Fotos und lassen uns dadurch inspirieren.
Ich behaupte mal, Ihr Game ist für Männer und Buben konzipiert. Wie holen Sie mich als Frau ab?
Bei der Version 19 haben wir die Pferdezucht eingeführt. Man kann die Pferde reiten, füttern oder ihnen sogar einen Namen geben. Im Mehrspielermodus gibt es zudem weibliche Avatare.
Frauen und Pferde, bedienen Sie damit nicht voll das Klischee?
Die Pferdezucht bedient nicht das Klischee, wir wollten sie schon lange im Spiel haben. Es ist schwer, den Frauenanteil in Zahlen zu nennen. Was wir jedoch wissen: Ganz viele Mütter rufen für ihre Söhne beim Kundenservice an, wenn etwas nicht funktioniert.
Klimawandel und Vorwürfe wegen Umweltbelastung beschäftigen in der realen Welt die Bauern. Haben Klima- und Umweltschutz ihren Platz im Game?
Wir möchten dazu keine Stellung beziehen und überlassen es den Spielern, ob sie biologische oder konventionelle Landwirtschaft betreiben möchten. Neu haben wir aber in Zusammenarbeit mit John Deere und dem Europäischen Institut für Innovation und Technologie (EIT), eine kostenlose Spielerweiterung entwickelt. Dabei geht es um Precision Farming. Ich kann als Spieler z. B. den PH-Wert des Bodens messen. Diese Daten haben Auswirkungen auf die Düngung. Das macht das Spiel einiges komplexer.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit den Landmaschinen-Herstellern und wie funktioniert sie?
Am Anfang brauchte es viel Überzeugungsarbeit unsererseits, die Hersteller zu überzeugen, dass, wenn sie bei uns mitmachen, es verkaufsfördernd sein kann. Heute ist das Spiel so gross, dass es sich die wichtigen Marken gar nicht mehr leisten können, nicht im LS vertreten zu sein.
Unser Ziel ist es, Neuankündigungen bei uns präsentieren zu können. Dafür stehen wir im regen Austausch mit den Herstellern. 2020 bauten wir für Massey Ferguson 3D-Modelle für die Präsentation ihrer Neuheiten, und für John Deere entwickelten wir eine Virtual-Reality-Applikation fürs Handy.
Mit welcher Firma arbeiteten Sie als Erstes zusammen?
Das war AGCO mit Fendt.
Steuerten Sie in echt einmal einen Traktor oder eine landwirtschaftliche Maschine?
Auf jeden Fall, jedoch nicht auf dem Feld. Die Über- und Rundumsicht ist unglaublich, wenn man auf einem Schlepper sitzt. Wir machen als Firma sogenannte Farm Days. Dabei gehen wir auf einen Hof, stapeln z. B. Strohballen, fahren Schlepper oder probieren eine selbstfahrende Maschine aus. Auch besuchen wir die Hersteller an Messen wie die Agritechnica. Da setzte ich mich natürlich in die Neuheiten rein.
Welches ist Ihre persönliche Lieblingsmaschine im Game?
Ein Fendt 1050 Vario.
Zur Person
Christian Amman, 43: Der Langenthaler ist Mitgründer und CEO der Firma Giants Software, mit
100 Angestellten und Sitz in Schlieren ZH, die das Videogame «Landwirtschafts-Simulator» konzipierte und es laufend weiterentwickelt. Auf die Frage, mit welchen Worten er sich beschreiben würde, antwortete er: «Kreativ, an Technik interessiert, neugierig, mutig und fleissig.»