In Horboden im Berner Deimtigtal arbeitet Florian Stucki auf dem Milchwirtschafts-Betrieb seiner Eltern. Seit zwei Monaten beteiligt sich der 24-jährige gelernte Landwirt ausserdem an den Diskussionen der Landwirtschaftsgruppen des Klimastreiks (KS).

Herr Stucki, wie kamen Sie zum Klimastreik?

Florian Stucki: An einem Parteitreffen machte mich jemand auf den Landwirtschafts-Chat aufmerksam. Seither beteilige ich mich an den Diskussionen und den Treffen der Gruppe.

Weshalb dieses Engagement?

Wie beim Agro Image geht es mir um die Bildung der Konsumenten von morgen. Der KS ist ein weiterer Punkt, wo man dabei den Hebel ansetzen kann. Oft fehlt den jungen Leuten die praktische Erfahrung der Landwirtschaft und so entstehen unrealistische Vorstellungen und Visionen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Beim KS denken viele, die Solidarische Landwirtschaft sollte für praktisch alle Betriebe eingeführt werden. Das ist aber weder für jeden sinnvoll noch möglich. Hier im Diemtigtal z. B. gibt es viele Milchproduzenten. All diese Milch können wir nicht direkt vermarkten, wir sind auf Verarbeiter und Händler angewiesen. Nicht jeder kann oder will etwas haben wie im Film «The biggest little Farm». Es gibt auch passionierte Viehzüchter. Dazu kommen diverse Vorschriften.

Woher kommen diese falschen Vorstellungen?

Es wird viel im Internet gesucht und dann sehen die Leute Bilder oder Filme von riesigen Anbindeställen im Ausland, wo die Tiere das ganze Jahr drinnen sind. Das sind ganz andere Dimensionen und Vorschriften als hier. Auch wenn man sich mit Fachliteratur oder Studien auseinandersetzt, erfährt man nichts über den bäuerlichen Alltag. So erkläre ich z. B. einmal den Tagesablauf auf einem Bauernhof.

Wie sind die Reaktionen darauf?

Meine Schilderungen werden in der Gruppe geschätzt. Die Leute interessieren sich für die Landwirtschaft. Es wäre aber gut, noch andere bäuerliche Vertreter(innen) zu haben, um mehr Ansichten einzubringen.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit Bauernverbänden?

Der KS hat Kontakt aufgenommen. Leider ging einmal die Einladung zum gemeinsamen Bäumepflanzen verloren. Das war ein Missgeschick und gefundenes Fressen für Kritiker des KS.

Wie könnten die Klimastreikenden ihr Image verbessern?

Sie versuchen bereits, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Viele haben alte (Tasten-)Handys und tragen Second-Hand-Kleidung. Ich rate ihnen jeweils, sich bei Bauern zum Mitarbeiten zu melden. So setzen sie ein Zeichen und lernen viel über die Landwirtschaft.

Im KS sind viele Schüler und Studenten. Finden Sie für so etwas die Zeit?

Überarbeitung ist ein grosses Thema. In der Landwirtschaft sind lange Arbeitszeiten normal und notwendig. So erleben Bauern und Klimastreikende das Gleiche.

Fehlt Ihnen bei so vielen Forderungen und Ansprüchen an die Produzenten die Wertschätzung für Ihre Arbeit?

Das hat schon etwas. Wir haben gerade zwei Kälber verloren und Schäden an Maschinen. Es kommt immer alles zusammen, im dümmsten Moment und es trifft die besten Tiere. Das bedeutet auch finanzielle Aufwände. Da fragt man sich schon, wieso man morgens aufsteht, wenn die Konsumenten doch immer etwas auszusetzen haben.

Und trotzdem setzen Sie sich mit den Konsumenten auseinander.

Letztendlich muss man beim Konsum ansetzen. Das Problem ist, dass wir alle in einer Leistungsgesellschaft leben. Da bleibt kaum Zeit, über das eigene Verhalten nachzudenken.

Was könnte man da ändern?

Wir bräuchten einen radikalen Bruch. Heute geht es uns zu gut. Als oberstes Ziel gilt, die Kaufkraft aufrechtzuerhalten. Nach dem Krieg sah es anders aus: Da wusste man, dass die Ernährung der Bevölkerung das Wichtigste ist. Daher finde ich auch die Massentierhaltungs-, die Trinkwasser- und die Pestizidverbots-Initaitive interessant.

Sie wären für alle drei Initiativen?

Sie hätten nicht nur positive Auswirkungen. Ich denke, wir hätten einige Jahre lang ein richtiges Chaos mit verunkrauteten Äckern, bis alles ausgekeimt ist und man die Bewirtschaftung angepasst hätte. So hätten wir aber einen radikalen Systemwechsel. Dafür müssen wir uns aber auf die Konsumenten verlassen können.

Wie meinen Sie das?

Wenn wir unser Leben und unsere Arbeitsweise umstellen, müssen unsere Produkte auch zu einem angemessenen Pries gekauft werden. Gerade im Flachland haben die Leute keine Vorstellung davon, wie die Felder ohne Pflanzenschutzmittel aussehen würden. Hier oben im Berggebiet wäre die Umsetzung der Initiativen einfacher.

Sie beteiligen sich zwar an den Diskussionen des KS, das Klima scheint aber nicht Ihr Hauptthema zu sein.

Ich denke schon, dass das Klima unser wichtigstes Thema sein sollte, denn es geht dabei um unsere Lebensgrundlage. Aber es ist immer etwas Aktuelleres im Vordergrund. Jetzt gerade z. B. das Coronavirus.

Was sollte die Landwirtschaft fürs Klima tun?

Alles Leben verursacht Emissionen. Was wir brauchen, ist eine standortangepasste Bewirtschaftung und Vorbilder, die mit Lösungen vorangehen.

Die Alternative wäre, dass man sich gemeinsam querstellt und sagt: Zu diesen Bedingungen liefern wir nicht. Das würde Druck aufbauen, funktioniert aber nur, wenn es Einigkeit unter den Bäuerinnen und Bauern gäbe.

Was hemmt heute Innovationen und Verbesserungen?

Erstens fehlt es an Arbeitskräften. Würden mehr Leute in der Landwirtschaft arbeiten, wären die Betriebe kleiner, umweltfreundlicher und die Arbeitsbelastung besser verteilt. Zweitens haben wir ein Finanzierungsproblem. Investitionen oder Betriebsübernahmen stürzen Bauern in die Schuldenfalle. Dann arbeiten sie bis zuletzt, um die Schulden zu tilgen und es bleibt keine Zeit für etwas anderes.

Was tun Sie persönlich?

Ich probiere auf dem elterlichen Betrieb Neues aus und zeige, was möglich ist. Übernehmen kann ich den Hof aus finanziellen Gründen im Moment nicht.

Ich habe keine Zeit, um Studien zu lesen. Aber ich habe letztes Jahr erstmals Spargeln auf dieser Höhe gepflanzt und kultiviere Getreide. Mit Anpassung können wir dem Klimawandel trotzen.

Was halten Sie von Demos?

Ich habe selbst keine Zeit dafür und finde Taten besser als Plakate. Wenn man aber mit einer Demo z. B. Leute zu einem Boykott von Importlebensmitteln bewegt, ist das für mich auch eine sinnvolle Handlung

Können Sie auch vom KS profitieren?

Im Gegensatz zu mir befassen sich diese Leute mit Studien und Zahlen, etwa zu Emissionszertifikaten oder Elektroautos. Das ist interessant, allerdings macht es der KS noch zu wenig transparent und er sollte die grossen Lösungen mehr hinterfragen.