Die Rahmenbedingungen, von denen die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) für ihr Projekt ausgegangen ist, sind garstig: Statt wie früher einen gibt es pro Jahr 10 bis 30 Hitzetage mit über 30 Grad. Trockenphasen sind fast doppelt so lang und dauern im Sommer rund 20 Tage. Das Szenario – oder besser die wissenschaftliche Prognose – spielt im Jahr 2085.
Zwei Hauptkulturen und mehr Schnitte
In einem Bericht und illustriert mit digital begehbaren Panoramabildern erläutert das Forscherteam, wie sich die Schweiz bei fortschreitendem Klimawandel verändert. Sie gehen von einem Anstieg der Durchschnittstemperatur in der Höhe von 4 Grad aus und beschreiben die Auswirkungen. So sollen im Jahr 2085 dank der längeren Vegetationsperioden sollen zwei Hauptkulturen pro Jahr und zusätzliche Schnitte im Grasland möglich sein – vorausgesetzt, es gibt genug Wasser.
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Negative Effekte nehmen Überhand
Die landwirtschaftlichen Erträge seien in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts tendenziell gestiegen, weil die Kulturen von den höheren Temperaturen und längeren Vegetationsperioden profitieren und Frostschäden – trotz höherem Risiko für Spätfröste – gesamthaft seltener geworden seien. Dem Bericht zufolge drehte der Wind aber nach 2050, Dürre und Hitzesommer hätten zu grossflächigen Ernteausfällen geführt. «Getreide wird immer häufiger notreif geerntet und die Haltung von Tieren ist anspruchsvoller», beschreiben die Autoren die Situation in der Zukunft. In besonders schlimmen Jahren sei die Bewässerung nicht aufrechtzuerhalten, «die Ernten verkümmern und die Felder werden braun und rissig».
«Ernten verkümmern und die Felder werden braun und rissig».
Nach 2050 werden die negativen Folgen des Klimawandels deutlicher spürbar, so die WSL.
Versteppung im Mittelland
Die WSL baut ihre Schilderungen zum 4-Grad-Szenario wie einen Reisebericht auf. Dabei werden die Folgen zweier alternativer Wege gezeigt: Einmal was passiert, wenn sich die Schweiz nur langsam und reaktiv an den Klimawandel anpasst und zum anderen, wie eine vorausschauende und proaktive Anpassung aussehen könnte.
Für das Mittelland – am Beispiel des Berner Seelands modelliert und geschildert – bedeutet die erste Variante eine Agrarlandschaft voller Gegensätze. Zum einen gebe es in der Ebene grüne Flächen mit fest installierter, sparsamer Bewässerung. Aber auch Zeichen der Versteppung mit trockenen, vegetationslosen Stellen seien zu sehen, von denen Staub aufwirbelt. «Es gibt kaum effektive regional koordinierte Vorgehensweisen zur Wasserspeicherung und -verteilung», beschreiben die Autoren. Viele Flächen in der Ebene gelten als prioritär für die landwirtschaftliche Nutzung und dürfen daher bewässert werden, während insbesondere Hügellagen unbewässert vertrocknen. Wind und Regen waschen dort den brachliegenden Oberboden aus, Nährstoffe gehen verloren.
Da verschiedene Schädlinge vom heisseren Klima profitieren, hat in diesem WSL-Szenario der chemische Pflanzenschutz an Bedeutung gewonnen.
Knappes Wasser halten und fair verteilen
Das zweite Szenario zeigt, dass es auch anders gehen könnte. Trockenheitsresistentes Getreide, neue Kulturen wie Quinoa oder Melonen, Gewächshäuser mit in Streifen angeordneten Solaranlagen auf dem Dach und Folientunnel für den geschützten Anbau sowie Agroforst-Systeme haben die Landwirtschaft klimaresistenter gemacht. Bewässerungen ermöglichen die Produktion von Kartoffeln. Wobei bewässerte Flächen möglichst nahe an Flüssen, Kanälen und Seen platziert werden, um den Aufwand gering zu halten. Es gibt regional koordinierte Bewässerungs- und Entwässerungssysteme, die eine möglichst faire Verteilung des knappen Wassers erlauben. Regen wird auf den Höfen in überdeckten Speicherbecken gesammelt, um Engpässe zu überbrücken.
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Bäume als Schattenspender, Biodiversität gegen Schädlinge
Die angepasste Tierhaltung ist mit geräumigen, hohen und gut durchlüfteten Ställen ausgestattet. Die Kühe hätten zwar Zugang zur Weide, stehen aber wegen Hitze und Trockenheit lieber im Stall. «Die Weideflächen sind mit vertrocknetem Gras bedeckt. Offensichtlich bewegen sich die Tiere draussen, aber nur in geringem Masse und werden zugefüttert», schreiben die Autoren. Bäume oder aber Solaranlagen auf den Weiden spenden Schatten, eine möglichst ständige Bodenbegrünung schützt die Ackerflächen vor allem in steileren Lagen vor Erosion durch die häufigeren Starkniederschläge.
Im Gegensatz zum vorherigen Szenario setzen die Landwirte hier auf die Biodiversität, um der verschärften Schädlingsproblematik Herr zu werden. «Zwischen den unterschiedlichen Kulturen stehen viele Hecken, Bäume und Blühstreifen, die zwecks Windschutz, Schatten sowie Förderung von Nützlingen und Biodiversität angelegt worden sind.» Hinzukommen Untersaaten und der bereits erwähnte Anbau im Gewächshaus oder als Agroforst.
Die Landwirt(innen) seien den veränderten Klima-Bedingungen mit unterschiedlichen Strategien begegnet, fasst die WSL zusammen. «Das führte einerseits zu einer vielfältigen Landschaft und hat andererseits die Resilienz der ganzen landwirtschaftlichen Produktion erhöht.»
Alpen verdorren oder profitieren
Starke Gegensätze fördern auch die beiden WSL-Szenarien zur Entwicklung im Berggebiet zutage. Bei einer langsamen Anpassung an den Klimawandel werden gesömmerte Kühe demnach ein seltenes Bild. Zwar sind ein früherer Alpaufzug und eine längere Alpung möglich geworden, aber viele Alpen wurden wegen Wassermangels aufgegeben. «Weil heute weniger Alpen für die Sömmerung zur Verfügung stehen, kann in der Region gesamthaft weniger Vieh gehalten werden», so die Beschreibung. Im Talboden fehlt es an einer koordinierten Bewässerung, die Folge sind Ertragseinbussen und Betriebsaufgaben. «Der Stellenwert der Landwirtschaft hat in der Region insgesamt abgenommen», so das Fazit.
«In der Region kann gesamthaft weniger Vieh gehalten werden»
Gelingt es nicht, in Bergregionen ein koordiniertes Wassermanagement aufzubauen, wird die Sömmerung vielerorts unmöglich.
Einen wichtigen Beitrag zum erfreulicheren Szenario leisten traditionelle Bewässerungssysteme. Namentlich Suonen, denn die Beispielregion ist im Wallis angesiedelt. Damit lasse sich die vielerorts stark reduzierte Quellschüttung kompensieren, indem aus dem See im ehemaligen Gletschergebiet Wasser auf die Alpwiesen geleitet wird. So können Milchwirtschaft und Käseproduktion in höheren Lagen von der längeren Alpdauer, den kühleren Temperaturen und einer besseren Futtergrundlage profitieren. Gegen die Verbuschung – die mit steigender Vegetations- und Waldgrenze vermehrt zum Thema wird – gehen die Mitglieder der Alpgenossenschaft mit vereinten Kräften vor. Wald-Weide-Systeme, wie sie aus dem Jura bekannt sind, werden durch die gezielte Förderung von Einzelbäumen unterhalten.
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Neue Nischenprodukte aus der Berglandwirtschaft
Koordinierte Bewässerung ermöglicht im Talboden einen Aufschwung des Bergackerbaus. «Die Standorteignung gewisser Kulturen hat sich verändert und deren Anbau im Mittelland wurde aufwändiger – hier im Alpenraum sind die Bedingungen vergleichsweise gut», begründen die Autoren. Die Wasserbewirtschaftung werde akzeptiert, da eine Vielzahl von Akteuren in deren Entwicklung einbezogen worden ist. Ähnlich wie im Mittelland dienen auch in dieser neuen Form der Berglandwirtschaft Nützlingsstreifen, Bäume und Hecken als Lebensraum für die natürlichen Feinde von Schädlingen und verbessern gleichzeitig das Mikroklima in der Umgebung sowie das Landschaftsbild.
«Zwar liegt der Fokus der landwirtschaftlichen Produktion in der Region noch immer auf der Milchwirtschaft, aber Nischenprodukte wie Honig, Getreide, Weintrauben, Kräuter und Obst wurden in den letzten Jahren gezielt gefördert und von verschiedenen Betrieben produziert.» Somit ist auch die Produktion in höheren Lagen diverser und weniger anfällig gegenüber Störungen oder Extremereignissen geworden.
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Hier können Sie die Szenarien als virtuell begehbare Panoramen besichtigen
Die beiden Szenarios
Die zwei Zukunftsszenarien mit einem gegenüber heute 4 Grad wärmeren Klima hat die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) gestützt auf wissenschaftliche Literatur, Daten zur Vegetation und Landnutzung sowie Interviews mit Fachleuten entwickelt. Dabei gab es zwei gegensätzliche Annahmen zur Anpassung an den Klimawandel:
Reaktiv: Gesellschaft und Politik bereiten sich heute nicht aktiv auf den Klimawandel vor, sondern setzen lediglich kurzfristig Massnahmen um, wenn es unausweichlich ist.
Proaktiv: Gesellschaft und Politik beginnen heute schon mit der Anpassung, die langfristig mit möglichst naturnahen Massnahmen umgesetzt wird.
Folgen immer spürbar
«Die beiden Strategien zur Anpassung können sich unterschiedlich auf die Landschaft auswirken», hält die WSL fest. So oder so werden die Folgen des Klimawandels aber spürbar sein. Dies etwa in Form von Hitzewellen, Trockenheit, Waldbränden, Überschwemmungen, Hangrutschen usw. «Die beste Lösung bleibt daher, den Ausstoss der Treibhausgase zu reduzieren und so den Klimawandel zu verlangsamen.»
Neben den Beschreibungen für die Landwirtschaft gibt es ebensolche für den Wald und Siedlungsräume, jeweils im Mittelland und im Berggebiet.