Selten waren sich das ­Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und der Schweizer Bauernverband (SBV) so einig. Beide wollen eine Erweiterung der Agrarpolitik zur Ernährungspolitik. Dabei sind sie in bester Gesellschaft, auch für die EU und zahlreiche andere ­Institutionen und Länder weltweit ist Ernährungspolitik das Schlagwort der Stunde.

Verschiedene Wege zum Ziel

Die Wege zum Ziel sind aber noch unklar und teilweise komplett verschieden. Um beim Schweizer Beispiel zu bleiben: Der SBV bekämpft die neue Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) und fordert stattdessen eine umfassende Ernährungspolitik. Das BLW wiederum sieht sich mit der AP 22+ auf dem richtigen Weg zu demselben Ziel.

Mit einem Webinar namens «Wege von der Agrar- zur Ernährungspolitik» versuchte die Agrarallianz am Mittwoch eine Bestandesaufnahme zu machen und aufzuzeigen, was national und international läuft. Die Organisation sieht sich mit ihrem Motto «Von der Heugabel zur Essgabel» prädestiniert als Brückenbauerin auf diesem Weg.

«Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die Agrar-politik kaum ausreicht, umdie ­Land-und Ernährungswirtschaft nachhaltiger, resilienter und tierfreundlicher zu gestalten, schreibt die Agrarallianz in ihrer Einladung. Es bestehe also Handlungsbedarf. Dies wurde denn von den Referenten auch nicht bestritten.

Von Hunger bis Food Waste

Die internationale Perspektive brachte Bernard Lehmann ein. Der ehemalige BLW-Direktor befasst sich heute auf Uno-Ebene mit Ernährungspolitik. Dieses Thema werde weltweit bereits breit beackert, so Lehmann, «es befassen sich unendlich viele Organisationen damit». Diese seien zwar sehr heterogen, sagte er, «aber alle, die sich damit befassen, haben begriffen, dass man vermehrt zusammenarbeiten muss, um vorwärts zu kommen», so sein erstes Fazit.

Ernährungssicherheit hat viele Facetten: Während man im reichen Norden Food Waste und Fleischverzicht thematisiert, gibt es immer noch Weltgegenden, wo der Versorgungsgrad mit tierischen Eiweissen als ungenügend gilt. Es gehe also bei der Ernährungspolitik einerseits um gesunde Ernährung, aber insbesondere nach wie vor auch um Hungerbekämpfung. Es brauche einerseits einen gesamtheitlichen Ansatz, um die grossen Probleme der weltweiten Ernährung anzugehen. Gleichzeitig müssten Lösungen gefunden werden, die kontextabhängig sind, also auf die Probleme der jeweiligen Weltgegend eingehen.

Dies ist, so konnte man aus seinem Referat heraushören, eine Herkulesaufgabe, die an den Bau des Turms von Babylon erinnert. «Im BLW waren wir weiter, als dies global der Fall ist», lautete seine etwas ernüchternde Feststellung zum Schluss.

BLW mit vier Zielen

Der Stv. BLW-Direktor Jean-Marc Chappuis zeigte anschliessend auf, wo die Diskussion in der Schweiz steht. Schon 2015 habe die Schweiz eine Strategie für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Für das Ernährungssystem gebe es einen Ansatz mit vier Zielen, die mittels Aktionsplan verwirklicht werden sollen:

  • Den Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung im Vergleich zu 2020 um einen Viertel senken.
  • Gesunde Ernährung fördern, um zivilisatorische Krankheiten wie Fettleibigkeit in den Griff zu kriegen.
  • Food Waste bekämpfen, beispielsweise mit der bereits gestarteten Kampagne «Save Food, Fight Waste».
  • Nachhaltige Produktion, wofür AP 22+ Lösungen biete.

Die Schweiz beschränkt sich aber laut Chappuis nicht auf den Inlandmarkt, sondern beteiligt sich auch stark an internationalen Aktivitäten. So unterstütze man etwa den «Food Systems Summit» der UNO von 2021.

Zielkonflikt um Wurst

Sein Nachredner Christian Schader vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wies darauf hin, dass auch die Ernährungspolitik – wie die Agrarpolitik – nicht von Zielkonflikten gefeit ist. Er zeigte dies am Beispiel Wurst auf. Diese sei aus Sicht der Nebenprodukteverwertung an sich ein gutes Lebensmittel. Gleichzeitig gelte sie bekanntermassen nicht gerade als Krönung der gesunden Ernährung, sagte der Leiter der Gruppe Nachhaltigkeit an seinem Institut.

Klar war am Schluss des Webinars, dass das Finden von Lösungen auch bei einer Umstellung von Agrar- auf Ernährungspolitik nicht einfacher wird.