«Es war eine intensive Zeit, die geprägt war von emotionalen und finanziellen Sorgen. Ich war angewiesen auf Fachstellen, Ämter und ein weites persönliches Umfeld, das mich und meine Kinder gestützt hat», erinnert sich Yvonne Feri. Die ehemalige SP-Nationalrätin war alleinerziehende Mutter. Heute ist sie unter anderem Geschäftsführerin des Schweizerischen Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (SVAMV).

Frau Feri, mit welchen Erinnerungen denken Sie noch an diese Zeit zurück?

Yvonne Feri: Das Gefühl des Alleinseins war sehr prägend in dieser Zeit. Ich denke, das ist es für Einelternfamilien auch heute noch. Obwohl Familie nun viel vielschichtiger und unterschiedlicher verstanden wird. Ich weiss heutzutage, dass ich vieles schaffen kann, und ich bin dankbar für eine wunderbare Beziehung zu meinen Kindern. Die Erfahrung hat mich auch für meine Politik und die gesetzten Schwerpunkte geprägt: gegen Armut, für das Kindswohl und für die Gleichstellung der Geschlechter.

Was sind die Hauptangebote des SVAMV?

Unser Verband konzentriert sich auf zwei zentrale Aufgaben: kostenlose Beratungen und einen Hilfsfonds. Die Beratungen richten sich an alleinerziehende Eltern, ihr Umfeld sowie an Fachpersonen, die Fragen zum Thema Alleinerziehen haben. Diese Beratungen führen wir meist telefonisch durch, gelegentlich auch per E-Mail. Die Themen reichen von Fragen der Obhut über Besuchsrecht bis hin zu Unterhaltszahlungen. Der zweite Pfeiler ist unser Hilfsfonds. Menschen können bei uns Gesuche für eine einmalige finanzielle Unterstützung einreichen – etwa für Zahnarztkosten, einmalige Mietrückstände oder einen Laptop für die Ausbildung eines Kindes. Es geht häufig um kleinere Beträge, die im Familienbudget keinen Platz finden, aber essenziell sind. Oft erhalten wir auch Anfragen zur Finanzierung von Weiterbildungen oder Ferien. Das erlauben unsere finanziellen Mittel zwar nicht, manchmal können wir jedoch einen einmaligen Kursbetrag übernehmen. Für Anfragen, die über unsere Möglichkeiten hinausgehen, unterstützen wir beim Verfassen von Gesuchen an andere Organisationen, Stiftungen und Institutionen. Die Vernetzung und die Organisation von Treffpunkten für Alleinerziehende übernehmen unsere Mitgliedsorganisationen in den Kantonen und Regionen – also vor Ort bei den Leuten. Wir sind eine Beratungs- und Informationsstelle, jedoch keine Interventionsstelle, die rund um die Uhr helfen kann. Je nach Fall verweisen wir an andere Stellen wie Sozialämter, Budgetberatung, Erziehungsberatungsstellen. Leider stellen wir jedoch bei den Sozialämtern manchmal fest, dass es an spezifischem Fachwissen zu den Themen Alleinerziehender fehlt, respektive die Mitarbeitenden zu wenig Zeit haben, um die Eineltern gut und umfassend zu betreuen und zu beraten. [IMG 2]

Wie finanzieren Sie diese Arbeit?

Abo Trennen sich die Eltern, gerät ein Kind nicht selten in einen Loyalitätskonflikt. Es ist Aufgabe der Erwachsenen, eine gute Lösung zu finden. Beziehung Familie bleiben – trotz Scheidung Tuesday, 16. April 2024 Die Beratungen bieten wir den Eltern, ihrem Umfeld und Fachpersonen kostenlos an. Daher müssen wir sie anderweitig finanzieren.  Die Hälfte übernimmt der Bund – auf Basis einer Leistungsvereinbarung. Aktuell stehen wir vor einer neuen Verhandlungsphase und hoffen, dass diese Unterstützung bestehen bleibt. Die andere Hälfte sowie sämtliche weiteren Kosten – wie Infrastruktur, Kommunikation und Verbandsarbeiten – müssen wir durch eigene Beiträge finanzieren. Unsere Mitgliederbeiträge sind gering (Einzelmitgliedschaften kosten 30 Franken jährlich) und reichen bei Weitem nicht aus. Daher sind wir auf weitere Mittel angewiesen. Manchmal haben wir das Glück, ein Legat oder eine grössere Spende zu erhalten. Momentan stehen wir finanziell nicht schlecht da, aber ohne kontinuierliche Mittelbeschaffung wären wir in wenigen Jahren wieder am Nullpunkt. 

Wie ist Ihr Team aufgebaut?

Wir arbeiten mit einer Buchhalterin/Administratorin (ca. 50 %) und mir als Geschäftsführerin, ebenfalls in einem 50 %-Pensum. Unsere Beraterinnen – in der Deutschschweiz, der Romandie und im Tessin – arbeiten im Stundenlohn.  Es gibt ein kleines Büro für Buchhaltung und Administration, alle anderen, auch ich, arbeiten im Homeoffice.

Wo liegen die grössten Herausforderungen für Alleinerziehende?

Abo Als Paar getrennt, aber als Eltern weiterhin ein Team: Für Kinder sei die Botschaft «Wir bleiben eine Familie» wahnsinnig wichtig, sagt Beziehungsexpertin Martina Rissi. Beziehungsexpertin im Interview «Kinder merken, wenn Eltern ihretwegen zusammenbleiben» Thursday, 19. October 2023 Neben der finanziellen Belastung ist die Kinderbetreuung ein grosses Thema. Es fehlt an bezahlbaren, flächendeckenden Angeboten – für alle Altersgruppen. Besonders problematisch wird es, wenn Frauen aufgrund gesetzlicher Vorgaben ab dem Schulalter des Kindes ein 50-Prozent-Pensum arbeiten müssen. Die Entscheidung des Bundesgerichts in dieser Hinsicht wirkt auf mich etwas realitätsfern: Es fehlen schlicht die passenden Strukturen. Auch rechtliche Fragen rund um Trennung, Obhutsregelung oder Besuchsrecht beschäftigen viele. Wer hat welche Rechte? Was tun, wenn der andere Elternteil unzuverlässig ist oder das Kind den Kontakt verweigert? Nicht selten stecken hinter Besuchsproblemen Gewalt oder Sucht. In solchen Fällen ist oft bereits die KESB involviert und wir mischen uns nicht in laufende Verfahren ein. Bei Problemen mit der KESB verweisen wir an die Fachstelle Kescha in Zürich. Viele unserer Anfragen kommen von Eltern, die am Limit sind, weil sie keine Zeit mehr für sich haben, weil Betreuung fehlt oder sie nicht mehr weiterwissen. Oft handelt es sich um Menschen mit geringem Einkommen und tieferem Bildungsniveau. Gut ausgebildete oder gut vernetzte Personen brauchen uns eher selten. Aber eine Kassiererin im Supermarkt hat es deutlich schwerer, sich zurechtzufinden, als beispielsweise eine Juristin. Manchmal tragen auch Sprachbarrieren dazu bei. 

Wie gehen Sie mit der sogenannten Entfremdungsproblematik um?

Das ist ein sehr komplexes Thema. Um es kurz zu umreissen: Auch hier setzen wir klar auf das Kindswohl. Es kommt vor, dass ein Elternteil den Kontakt der Kinder zum anderen verhindern möchte und damit das Besuchsrecht sabotiert. Hier braucht es klare Massnahmen in enger Begleitung mit den lokalen Behörden. Wenn jedoch Gewalt, Sucht oder Angst eine Rolle spielen, steht der Schutz des Kindes klar im Vordergrund. In den meisten Fällen liegen genau darin die Ursachen der sogenannten «Entfremdung». Natürlich sollen beide Eltern ihre Rolle wahrnehmen können. Wir sind dazu sehr klar: Wenn keine schwerwiegenden Gründe wie Gewalt, Sucht oder Angst dagegen sprechen, darf einem Kind der Kontakt zum anderen Elternteil nicht verweigert werden.

«Auch finanziell geht es um mehr als das Existenzminimum: Ein Kind soll an Geburtstagsfeiern teilnehmen, Hobbys ausüben und den eigenen Geburtstag feiern können.»

Yvonne Feri über Lebensqualität für Kinder von alleinerziehenden Eltern

Was wünschen Sie sich gesellschaftlich, um Konflikten frühzeitig vorzubeugen?

Eine gleiche Aufteilung der Erwerbsarbeit und der Care-Arbeit in der Familie. Also eine gleiche Aufteilung der bezahlten und der unbezahlten Arbeit der Eltern nach der Geburt der Kinder. Wenn Mütter bereits vor einer Trennung ein Erwerbspensum von mindestens 60 % hatten und Väter gleichzeitig von Anfang an unbezahlte Betreuungsarbeit in der Familie leisten, schützt dies im Falle einer Trennung vor finanziellen und emotionalen Ungleichgewichten. Wenn beide Elternteile bereits in der Beziehung Verantwortung für die Familie und Erwerbstätigkeit teilen, ist im Fall einer Trennung das Besuchsrecht weniger umstritten. Und es entstehen weniger Spannungen rund um Unterhaltszahlungen oder Obhutsregelungen. Uns fehlen Strukturen wie die Elternzeit oder familienfreundliche Arbeitsbedingungen, um das umzusetzen. Leidtragend sind am Schluss die Kinder und die Eltern.

Und welche Rolle spielt die Gesellschaft insgesamt?

Eine sehr grosse! Alleinerziehende Frauen – und sie machen 85 bis 90 % der Fälle aus – sehen sich nach wie vor mit Stigmatisierungen konfrontiert. Während alleinerziehende Väter oft wie Helden gefeiert werden, begegnet man Müttern mit Vorurteilen.

Was würden Sie sich politisch wünschen?

Abo Die Beziehung oder gar Ehe ist am Ende: «Eine Trennung hinterlässt in jedem Fall ein Loch, das nicht so leicht zu stopfen ist», sagt Beziehungsexpertin Martina Rissi. Wenn eine Beziehung scheitert «Viele beschreiben den Schmerz wie eine Operation am offenen Herzen» Thursday, 4. April 2024 Als ehemalige SP-Nationalrätin weiss ich, wie wichtig politische Einflussnahme wäre. Leider fehlt uns heute als Organisation die finanzielle Basis dafür. Unsere neue Präsidentin ist zwar ebenfalls Nationalrätin, was hilfreich ist – aber eine strukturierte Lobbyarbeit ersetzt das nicht. Wir bräuchten flächendeckende, einkommensabhängige Kinderzulagen und bessere Lösungen für familienergänzende Betreuung. Einige Kantone – etwa Solothurn, Waadt oder das Tessin – bieten solche Modelle mit Familienergänzungsleistungen bereits, aber es fehlt eine gesamtschweizerische Lösung. Auch bei der Unterstützung von verwitweten Alleinerziehenden bestehen grosse Lücken – viele von ihnen müssen den Weg durch die Amtsmühlen in einer ohnehin schwierigen Zeit ganz alleine bewältigen. Ich habe schon sehr «strube» Geschichten gehört, was solche Menschen alles durchstehen müssen, bis endlich Renten fliessen und alles geregelt ist. 

Der SVAMV stellt seine Arbeit unter das Motto «Kindgerecht». Was bedeutet das für Sie?

Kindgerecht bedeutet für uns, dass Entscheidungen nicht nur aus Sicht der Eltern getroffen werden. Beim Besuchsrecht muss zum Beispiel überlegt werden, was das Kind braucht – nicht, was Mutter oder Vater wollen. Auch finanziell geht es um mehr als das Existenzminimum: Ein Kind soll an Geburtstagsfeiern teilnehmen, Hobbys ausüben und den eigenen Geburtstag feiern können. Das sind Aspekte, die Lebensqualität ausmachen – auch für Kinder von Alleinerziehenden.

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