In der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts wanderten viele Schweizer nach Amerika aus. Eindrucksvoll ist dabei die Auswanderungsgeschichte der Familie Brütsch aus Büttenhardt im Kanton Schaffhausen. «Es ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern die Geschichte der einfachen Männer und Frauen, die mit ihrer bescheidenen Arbeit und ihrem Glauben geholfen haben, die Vereinigten Staaten zu bauen», schrieb Carl Conrad Britsch (1889–1974) in der Biografie «Hammerklänge». Wie der Name des Autor zeigt, wurde in Amerika aus Brütsch irgendwann Britsch.
Keine Perspektiven in Büttenhardt
Die Hauptrollen spielen Britschs Grosseltern, Adam und Anna Maria Brütsch-Kuster, und sein Vater, Hans Georg. Um 1865 herrschten in Büttenhardt weder Reichtum noch Armut. Alle waren fest in ein System eingebunden, damit man den täglichen Lebensunterhalt beschaffen konnte. Jede Person im Dorf hatte ihre Aufgaben zu erfüllen und alles musste in harter Arbeit dem Boden abgerungen werden. Während die schwächeren Familienmitglieder sich um die Arbeiten in Haus und Hof kümmerten, arbeiteten die Männer vielfach als Handwerker. Es gab keine Hilfsmittel und keine Industrie, welche das Leben erleichterten. So fehlten die wirtschaftlichen Perspektiven, denn die Natur und das Land setzten einem wirtschaftlichen Wachstum und einem besseren Wohlstand klare Grenzen. Dazumal lockte das prächtig gelegene Dorf Büttenhardt noch keine betuchten und gut verdienenden Einwohner auf den Reiat, welche Arbeit und Verdienst gebracht hätten.
«In einer Gemeinde, deren Wachstum stagnierte, gab es für einen Maurer nicht viel Arbeit. Ein Tageslohn reichte kaum, den Bedarf für die Familie zu decken»
Carl Conrad Britsch über das Leben seiner Grosseltern in der Schweiz
Der Traum vom besseren Leben in Amerika
Doch Mitte des 19. Jahrhunderts brach in Büttenhardt eine neue Zeit an. Immer mehr Nachrichten aus Übersee über Goldfunde in Kalifornien und die unentgeltliche Landabgabe durch die amerikanische Regierung trafen ein. Diese Auswanderungswelle ab 1850 blieb vor allem der jungen Generation in Büttenhardt und in den Nachbardörfern nicht verborgen. Briefe von ausgewanderten Freunden aus Amerika verhiessen tolle Erwartungen und Erste wagten die Reise über den Ozean.1861 beschloss das junge Ehepaar Jakob und Anna Maria Leu-Brütsch, die Schwester von Hans Georg, als Erste aus der Familie Brütsch den Reiat in Richtung Neue Welt zu verlassen. Nach drei Monaten traf der erste Brief ein: Sie seien gut angekommen und Jakob habe in Wauseon (Ohio) sofort Arbeit in einer Schmiede gefunden. So beschloss Greta Brütsch, eine weitere Schwester von Hans Georg, mit ihrem Verlobten Andreas Imthurn ebenfalls auszuwandern. Jedoch fehlte das dafür notwendige Geld für die Reise und den Start in der Neuen Welt. So entschloss sich das Paar, dass 1863 zuerst Andreas nach Amerika fahren und Greta nachkommen sollte, wenn es die finanziellen Verhältnisse zuliessen.
Im Frühling 1865 wurden die Auswanderungsabsichten von Vater Adam Brütsch konkreter, weil es in seinem Umfeld immer mehr aufmunternden Zuspruch gab. Seine Frau gab ihm und der Familie zuliebe nach, so dass die Auswanderung auf den Herbst ins Auge gefasst wurde – sofern der gesamte Besitz zu annehmbaren Bedingungen verkauft werden könnte. Auf ihre Reise nach Amerika wurden sie auch von Tochter Greta begleitet, welche nun ihrem Verlobten folgte. Anfang Oktober verliessen die Eltern zusammen mit Greta und dem jüngsten Sohn Hans Georg Büttenhardt für immer. Ihr Ziel war Archbold, rund 1400 km östlich von New York. Doch Vater Adam bekam die Stadt nie zu Gesicht. Er verstarb während der Überfahrt an Cholera. Nun musste die Mutter mit ihrem noch minderjährigen Sohn und der erwachsenen Tochter alleine weiterziehen. An einem frühen Dezembermorgen kam es zum langersehnten Wiedersehen. Sie fanden vorerst bei ihrer Tochter Anna Maria eine Bleibe. Für Hans Georg folgten nun die weiteren Schul- und Ausbildungsjahre. Aus ihm wurde ein Zimmermann und er nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an.
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Schweizer Tugenden blieben
1879 heiratete Hans Georg Brütsch Anna Kutzli. Ein Jahr später kam ihre erste Tochter Alice Emma zur Welt. Während fünf Jahren wohnten sie in ihrem Häuschen in Archbold und er führte mit Erfolg sein Baugeschäft. Die Familie wuchs zügig. Am 12. April 1989 kam der Autor der Biografie, Carl Conrad, als sechstes Kind zur Welt. Die junge, dazumal erst 28-jährige Mutter erkrankte am Kindbettfieber und starb zehn Tage später. Hans Georg suchte sich eine Haushaltskraft, welche er in Emma Schlatter fand. Auch sie hatte ihre Wurzeln in Büttenhardt.Sie heirateten und bekamenzwei Kinder.
Am 10. April 1894 traf einTelegramm ein, welches die traurige Botschaft übermittelte, dass Hans Georgs Mutter gestorben sei. Sie hatte ihren Lebensabend bei ihren Töchtern Greta und Anna Maria in Kansas verbracht. Die Grossmutter des Autors hatte sich während ihren 29 Jahren in der Neuen Welt nie amerikanisiert. Ihr Enkel spricht aber von einem ihr unbewussten, wertvollen Beitrag. Sie habe mit ihrem Fleiss und Einsatz dafür gesorgt, ihren Kindern und ihren Enkeln ein leichteres Leben zu ermöglichen.
«Von seiner Mutter lernte Hans Georg: Wenn ein Mensch arbeiten will, braucht er nie zu hungern. Auch während schlimmer Zeiten und trotz unbegreiflicher Schicksales musste seine Familie nie Hunger leiden.»
Carl Conrad Britsch zu den Tugenden seiner Grossmutter
Im März 1918 verlor Hans Georg mit dem Tod von Emma auch seine zweite Frau. Mit 67 Jahren zog er sich aus dem Geschäftsleben zurück. Seinen 80. Geburtstag feierte er im Kreis alter Schweizer. Unter ihnen war auch sein Schwager Bernhard Kutzli, welcher kurz zuvor als einer der ganz wenigen eine Reise in die alte Heimat unternommen hatte. Sie berichteten davon, dass ihr Heimwesen immer noch zu sehen sei und sich die Orte am Reiat kaum verändert hätten.
An einem Familienfest im August 1941 las die Gattin von Carl Conrad Britsch aus einer kleinen Schrift vor, welche das Leben von Hans Georg Brütsch schilderte. Es war später die Grundlage für die Biografie «Hammerklänge». Nach mehreren Schlaganfällen starb am 21. Juni 1942 Hans Georg Brütsch im 89. Lebensjahr. Sechs seiner ehemaligen Sägereikameraden trugen ihn zur letzten Ruhestätte auf dem Friedhof südlich von Archbold. Also dorthin, wo sein amerikanischer Traum 77 Jahre zuvor begonnen hatte.
Das Buch «The Sound of the Hammer» von C. C. Britsch erschien 1975 und wurde von Margrit Bareiss-Haefner aus Thayngen übersetzt.

