Der Bundesrat hat vor fast vier Wochen einschneidende Massnahmen für die Bevölkerung verhängt. Massnahmen, wie es sie seit dem letzten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Eine ungewohnte Situation, auch für uns. Die Kinder sind immer zu Hause. Wochenpläne der Lehrer geben vor, was sie an Schulischem zu erledigen haben. Meine rund zwei Tage Arbeit auf der Redaktion erledige ich nun ebenfalls von zu Hause aus, währenddem ich nebenbei auch noch die Lehrerin der Kinder bin. Und auch der Kochservice meiner Mutter und Schwiegermutter an meinen beiden Bürotagen fällt nun weg.
Es fehlt die Tagesstruktur
So sieht denn auch das Fazit nach Woche eins des Lockdowns aus: Chaos pur. Denn uns fehlt es an einer Tagesstruktur: Wann ist Zeit zum Lernen, wann Freizeit? Wir müssen uns in der Situation erst einrichten. Meine Nerven sind zum Zerreissen gespannt, die Laune im Keller. Ich tue mich generell schwer mit Veränderungen, brauche meine Zeit, um damit klar zu kommen. Doch die Zeit habe ich nun nicht.
Der Lehrplan 21 hatte Folgen
Und ebendiese Charaktereigenschaft habe ich unserem Elfjährigen vererbt. Während unsere Grosse gewohnt diszipliniert und selbstständig ihre Aufgaben erledigt, hat unser Sohn Mühe, plötzlich zu Hause lernen zu müssen. Etwas, das er durch den Lehrplan 21 ziemlich verlernt hat. Denn dieser sieht praktisch keine Hausaufgaben vor. Eine Umstellung ins komplette Gegenteil ist für viele Kinder schwierig.
Besser mit einem Zeitplan
Die Anspannung entlädt sich bei unserem Sohn in Wutausbrüchen und eines Morgens mit Übelkeit und Erbrechen. Die zweite Woche starten wir viel besser vorbereitet. Ein Zeitplan, der Schul- und Freizeit regelt, gibt die Tagesstruktur vor. Zudem werden täglich die zu erledigenden schulischen Aufgaben notiert. Es erstaunt mich sehr, wie schnell man sich in die neue Situation hineinleben kann, wenn keine andere Wahl bleibt.
Ungewissheit und Befürchtungen
Dennoch verursacht das Ungewisse auch bei mir ein mulmiges Gefühl. Was kommt noch auf uns zu? Wir tun das Möglichste, um das Virus von unserer Familie fernzuhalten. Ich muss zugeben, in der jetzigen Situation bin ich froh, dass wir keine lernende junge Person auf dem Betrieb haben. Zu gross wäre meine Sorge, ob auch er oder sie sich in der Freizeit an die Regeln hält. Hingegen keine Bedenken habe ich bei unserem Nachholbildner, der einen Tag pro Woche bei uns ist. Er ist bereits älter und Familienvater und sich seiner Verantwortung bewusst.
Keine gemeinsame Kaffeepause, kein Racletteabend
Die Corona-Zeit verändert gerade unser gesellschaftliches Leben. Ungewohnt ist auch die neue Distanz, die wir zur älteren Generation auf dem Betrieb und zu unseren Geschwistern haben. Die gemeinsame Kaffeepause in einer der Küchen – kein Thema. Ebenso gemeinsame Mahlzeiten, wie ein spontaner Racletteabend. Ich vermisse den engen Kontakt sehr, den wir in unserer Familie sonst haben. Wenigstens sehen wir uns draussen und können so auf Distanz sprechen.
Wie wird die Zeit danach?
Die moderne Technik ermöglicht auch Gespräche auf weitere Distanz und mit Bild. Durch Corona haben wir die Fähigkeit erlangt, diese Technik zu nutzen. Eines macht mir aber Sorgen. Wenn irgendwann wieder Normalität eingekehrt ist, wird es dann wieder so sein wie früher? Werden wir es schaffen, die jetzige Distanz und die Mauern zwischen uns, unseren Familien und unseren Freunden je wieder abzubauen?
Das Privileg der Arbeit im Freien
Trotz aller Zweifel und Ängste vergesse ich nie, dass wir Bauernfamilien privilegiert sind. Wir können problemlos rausgehen, die Kinder draussen etwas Sinnvolles tun. Ganz anders Familien in der Stadt, in einer kleinen Wohnung, vielleicht gar ohne Balkon. Diese Familien spüren nun eine ganz andere Nähe. Nähe, die Gefahren birgt. Bereits sprechen Fachleute davon, dass häusliche Gewalt zunehmen wird.
Senioren brauchen jetzt Nähe auf Distanz
Das Gegenteil von Nähe empfinden alleinstehende ältere Menschen. Während zuviel Nähe Gefahren birgt, kann die Einsamkeit krank machen. In der Entwicklung des Homo sapiens musste die Verbindung zur Horde gehalten sein, da Isolation tödlich hätte enden können. Aber genau in solcher Isolation befinden sich viele Senioren. Es bedarf uns aller, mit ihnen in Kontakt zu bleiben, häufiger, als wir das sonst tun.
Die Corona-Krise lässt neue Fähigkeiten entdecken
Trotz aller Ängste und Sorgen bin ich meist ein positiv denkender Mensch, der in jeder noch so negativen Situation etwas Positives finden kann. So auch in der Corona-Zeit. Wir rücken näher zueinander, wenn auch nicht physisch. Unsere Gesellschaft entdeckt ganz neue Fähigkeiten: Junge helfen Alten, tätigen für sie Einkäufe. Bauern, die ihre Produkte nicht mehr auf dem Markt verkaufen können, schaffen ganz andere Möglichkeiten der Vermarktung. Innert kürzester Zeit werden Lieferdienste auf die Beine gestellt. Bleibt zu hoffen, dass wir diese Nähe und Stärke der Gesellschaft auch nach Ende der Ausnahmesituation aufrechthalten können.