Annina Bott sieht aus wie eine Frau, die weiss, was sie will. Und eines wollte sie schon immer: Bäuerin werden. «Das war bei mir schon als kleines Mädchen ganz klar», sagt sie im Engadiner Dialekt, in dem man das Romanische immer ein bisschen mithört. Sie ist hier aufgewachsen, in Scuol, auf rund 1300 Metern Höhe, auf dem Bauernhof ihrer Eltern etwas abseits des Dorfes.

Die Mutter riet ihr damals, doch zuerst eine andere Lehre zu machen. Sie könne sich ja dann immer noch überlegen, ob eine Hofübernahme etwas für sie sei. Doch für Annina gab es da nicht viel zu überlegen. So besuchte sie die landwirtschaftliche Schule, machte anschliessend noch die Ausbildung zur Betriebsleiterin und lernte dabei auch ihren zukünftigen Ehemann und Betriebspartner Giovanni kennen: «Ich hatte immer als Ziel, einen Mann zu haben, der mir das Büro macht, nun bin ich diejenige, die am häufigsten im Büro sitzt.»

Er zog auf ihren Hof

Die Hofübergabe sei kein Problem gewesen, sagt Annina Bott. Der Vater hatte ihn so ausgebaut, dass er fit war für die Zukunft. Ihre älteren Geschwister hatten sich für andere Berufslehren entschieden. Und weil Anninas Elternhof grösser war als der von Giovanni, zog er zu ihr nach Scuol.

«Das war für ihn nicht immer ganz einfach», meint Annina heute. Denn auch Giovanni hatte bereits viel Engagement in den Ausbau seines elterlichen Hofs gesteckt. Ganz weggegeben ist dieser aber nicht: Die Familie hat ihn an einen Verwandten verpachtet. In Scuol hilft Giovanni im Auftrag der Gemeinde beim Winterdienst. «So kommt er auch ein bisschen unter die Leute hier in der Gemeinde», sagt Annina. Weiter geht Giovanni auch noch für den Milchwirtschaftstechnikkonzern DeLaval auf Service- und Montagedienst.

Die Kinder sollen dabei sein

Die Aufgaben der Betriebsleitung teilen sich die beiden. Man werde sich am Ende immer einig, auch wenn die Vorstellungen am Anfang manchmal auseinandergingen, sagt Annina. «Das eine Mal gibt das eine nach, das andere Mal eben das andere.»

Seit die Kinder da sind, hat sich ihr Pensum etwas reduziert: «Giovanni übernimmt vor allem die Arbeiten draussen, ich bin meistens da und helfe auch im Stall mit.» Den jungen Eltern ist es wichtig, dass die Kinder auch etwas haben vom Leben auf dem Bauernhof. So nehmen sie sie gerne mit in den Stall oder zu anderen Arbeiten. «Wenn alle drei dabei sind, bin ich vielleicht keine so grosse Hilfe, aber es ist wichtig, dass sie von Anfang an mitmachen können, denn sie sind gerne im Stall und auf dem Feld», ist die Mutter überzeugt.

Das Muttersein ist wichtiger

Die älteste Tochter, Mia (6), geht mittlerweile in den Kindergarten, die jüngere, Flurina (4), in die Spielgruppe. Nur Sandro, der Jüngste (3), ist noch den ganzen Tag daheim. An einen eigenen Nebenerwerb ausserhalb des Hofs denkt Annina derzeit nicht. Gelegenheit dazu gäbe es zumindest im Winter genug: Sie ist ausgebildete und berufserfahrene Skilehrerin.

Der Skilift befindet sich gleich neben dem Hof. In der Freizeit gibt sie ausserdem Schwimmunterricht für die Kinder im Schwimmverein. Aber im Moment ist ihr das Muttersein wichtiger: «Ich will die eigenen Kinder aufwachsen sehen», sagt sie bestimmt. Wenn diese einmal selbstständiger seien, könne sie immer noch zurück auf die Piste.  [IMG 4]

Mit den Eltern, die den Betrieb aufgebaut hatten, ist der Kontakt nach wie vor eng. Der Vater arbeitet noch bis zu seiner Pensionierung, die in wenigen Jahren ansteht, auf dem Hof mit. Die Mutter hat eine Anstellung im Büro des Bergbahnbetriebs. Einmal in der Woche isst die ganze Familie zusammen. «Am Anfang war es jeden Tag», erinnert sich Annina. Zu viel Nähe könne aber auch schwierig sein, vor allem, wenn die Familie auch noch im Stall zusammenarbeite. «Man sitzt dann schon etwas aufeinander», räumt sie ein. Und da könne es trotz gutem persönlichen Verhältnis doch irgendwann zu Konflikten kommen. 

«Man muss halt mehr Mails schreiben und rumtelefonieren»

«Es gibt halt immer wieder verschiedene Vorstellungen», hat sie gelernt. Einige Dinge macht sie anders als der Vater. Eine der Neuerungen ist zum Beispiel der Direktverkauf von Milch im Laden im Dorf. «Mein Vater meinte immer, wegen der paar Liter lohne sich das nicht», schmunzelt Annina. «Und ich war der Meinung: Jeder Liter, den ich zu einem besseren Preis verkaufen kann, bringt etwas ein.»

Auch beim Alpkäse setzt Annina verstärkt auf die Direktvermarktung, für eine gute Wertschöpfung des Produkts. Heute beliefert sie verschiedenen Hotels und Hofläden, auch im Oberengadin. «Klar, der Käse bleibt länger hier und verliert dabei etwas an Gewicht», sagt sie.

Ein Verlustgeschäft sei die Direktvermarktung aber nicht. Beim Schmieren hilft die Lehrtochter, die so auch etwas über Käseproduktion lernen kann. Der Gewichtsverlust während der Lagerung wird eingepreist – und so lohne sich das ganze am Ende doch. «Man muss halt mehr Mails schreiben und herumtelefonieren», weiss Annina.  Was der jüngeren Generation wohl etwas leichter falle als den älteren Bauern. 

Antibiotika tun den Kälbern nicht gut

Neue Wege geht die junge Betriebsleiterin auch bei der Tiergesundheit. Um den Medikamentenverbrauch zu senken, setzt sie vermehrt Homöopathie und pflanzliche Mittel ein. «Das Schöppelen braucht halt Geduld, und davon haben wir Frauen bekanntlich mehr», schmunzelt sie – es bleibt deshalb auch ihre Domäne. Annina legt dabei Wert auf Weiterbildung.

Im Herbst nahm sie an einem Seminar zum Thema «abgalten ohne Antibiotika» teil. «Wir haben gesehen, dass sich das Euter viel besser zurückbildet mit Pflanzlichen Mitteln als beim Einsatz von Antibiotika», berichtet sie. Auch für die Kälber sei der weitgehende Verzicht auf Antibiotika von Vorteil. «Wenn sie über die Biestmilch aufgenommen werden, schaden sie Magen und Darm».

[IMG 2]

Robusteres Vieh eignet sich besser für die Alpsaison

Nahe an der Natur zu wirtschaften, ist eines der Ziele des Betriebsleiterpaars. Nach wie vor läuft der Hof unter dem Label Bio Suisse. Die Botts sind zufrieden damit und wollen daran auch nichts ändern. Schwierigkeiten macht aber auch ihnen die Einschränkung bei der Verwendung von Futterzusätzen. «Wir sehen, dass die Tiere zum Teil Mängel aufweisen, weil ihnen Nährstoffe fehlen», klagt Annina. Bei der Gesundheit der Tiere höre das Verständnis auf. 

Dass die heutigen Tiere gar nicht mehr ohne Zusätze auskämen, habe aber auch mit der Zucht zu tun, gibt Annina zu bedenken. Sie wollen deshalb in Zukunft genügsameres und robusteres Vieh im Stall. Erreichen wollen sie dies, indem verstärkt Original Braunvieh in den Swiss-Brown-Bestand eingekreuzt wird.

Es geht nicht mehr nur um die Milch

«Das Original Braunvieh ist einfach besser an das Leben in den Bergen angepasst», erklärt Annina. Deutlich werde dies vor allem, wenn es im Sommer auf die Alp geht.Die Umstellung von der Stallfütterung auf die Alpweide sei weniger hart, sagt sie.

Überhaupt seien die Tiere widerstandsfähiger und als klassische Zweinutzungsrasse auch für die Fleischproduktion interessant: «Jahrzehntelang ging es nur um Milchleistung, heute stehen auch andere Qualitäten im Vordergrund», glaubt Annina. 

Zu Hause ist das Milchvieh im Winter im oberen Teil des doppelstöckigen Stalls. Der ehemalige Anbindestall darunter im heutigen Untergeschoss beherbergt die eigene Aufzucht und wenige Masttiere. [IMG 3]

 Gemästet wird für die Dorfmetzgerei und einige Privatkunden, um das finanzielle Risiko zu minimieren, geht aber ein Teil der Tiere über die «Bündner Arena» der Graubünden Vieh AG in Cazis weg und in verschiedenen Mastbetriebe in den umliegenden Dörfern. Für die Mast setzen Botts wegen des besseren Preises auch auf Limousin-Einkreuzungen.

Solarstrom würde nicht rentieren

Der Laufstall im oberen Stock wurde in der Familie geplant: Die Frau eines Cousins ist Architektin. «Da haben sie lange getüftelt mein Vater und sein Cousin», erinnert sich Annina. Der Aufbau mit dem sonnseitigen Schrägdach würde sich auch gut für Photovoltaik eigenen.

Allerdings gibt es da ein Problem mit der Rentabilität: Für den Anschluss an das Stromnetz wäre ein teurer Leitungsbau nötig. So beschränkt sich die Nutzung der im Engadin reichlich vorhandenen Sonnenenergie derzeit auf durch Solarthermie erhitztes Wasser. 

Neben dem Vieh werden auf dem Hof auch ein paar Ziegen gehalten. Sie dienen Waldrandpflege und zur Bekämpfung der Verbuschung der Wiesen. Gemolken werden sie nicht, das Fleisch geht in den Eigenbedarf der Familie und in die Wurst: Diese sei im Gegensatz zum reinen Ziegenfleisch gut verkäuflich, hat Annina festgestellt. 

Schon die Mutter wollte auf den Bauernhof

Weg aus dem Engadin geht die Familie nur im Sommer, wenn das Vieh auf der Alp ist. Zwar sind dann auch noch die Bergwiesen zu mähen, aber für ein paar freie Tage reicht es doch. Dann besucht die Familie nicht weit weg vom Engadin die Eltern und Freunde im Schams, wo Giovanni aufgewachsen ist.

Im Herbst, wenn das Vieh wieder da ist, besuchen Mutter und Kinder die Verwandtschaft mütterlicherseits, weit weg vom Engadin: Aufgewachsen ist die Grossmutter der drei Kinder nämlich in der Basler Vorortgemeinde Allschwil an der Grenze zum Elsass. Schon sie zog es von Kindsbeinen an in die Landwirtschaft: «Sie wollte immer einen Bauern, und in den Skiferien traf sie am Skilift meinen Vater», erzählt Annina Bott.


Fünf Fragen an Annina Bott

Worüber haben sie sich in den letzten 24 Stunden geärgert?

Über Kosten, die für unser Auto anstehen, da ein Austausch vom Partikelfilter ansteht. 

Was ist ihre schönste Kindheitserinnerung?

Ich wollte im Kindergartenalter mit meinem Vater ein erstes Mal auch am frühen Morgen in den Stall gehen. Vor lauter Aufregung, dass ich nun auch mitdurfte, konnte ich kaum richtig Schlafen. Ich erwachte schon um Mitternacht und habe mich bereit gemacht für den Stall. Die Haustüre war abgeschlossen, meine Schlussfolgerung war, dass mein Vater mich vielleicht doch nicht mitnehmen wollte und deshalb die Türe verschlossen hätte. Ich begann also vor der verschlossenen Tür zu weinen, auf einmal stand mein Vater im Pyjama vor mir und fragte was los ist. Ich erklärte ihm und er meint anschliessend, dass ich schlafen gehen soll und er mich schon dann schon wecken würde. Mein Vater weckte mich am frühen Morgen und ich konnte nun endlich in den Stall gehen. Beim Morgenessen konnten wir alle zusammen über meine Nacht- Aktion lachen.  

Welches ist ihr Lieblingsplatz?

Ich habe keinen spezifischen Lieblingsplatz, ich bin sehr gerne auf unseren Genossenschaftsalpen, weit weg von Menschenmassen - wo es noch ruhig ist, aber am liebsten bin ich vor allem da, wo meine Familie auch ist. 

Was können sie besonders gut?

Ich bin Mutter von drei Kindern, habe eine abgeschlossene Landwirtschaftliche Berufslehre mit Betriebsleiter, leite zusammen mit meinem Mann unser Hof, arbeite mit Kindern – den eigenen und auch fremden, daher kann ich einiges gut, denn ich mache alles aus Überzeugung und mit Leidenschaft. Ich denke, dass ich immer mein Bestes gebe bei allem, was ich tue.

Was macht sie schlaflos?

Irgendwann, schläft doch jeder, wenn man müde genug ist. Sorgen um Familie oder auch um schwer erkrankte Tiere auf dem Hof, lassen mich weniger schlafen.