Über ein Dutzend kleine Bilder liegen auf dem Tisch. Jedes ein Original mit einem farbenfrohen, fantasievollen und nostalgischen Kindersujet. Jedes in bis zu zehn Stunden Arbeit von Hand bemalt. Und jedes ist essbar.
«Dafür habe ich in der Kategorie ‹Royal Icing Cookies› eine Goldmedaille erhalten», erklärt Aurelia Patigler-Däscher zum Gebäck. Denn vor allem im englischsprachigen Raum boomen internationale Shows und Wettbewerbe rund um kunstvoll bemalte Guetzli. «Während der Corona-Zeit nahm ich an einigen dieser Wettbewerbe teil, da man die Guetzli nicht vor Ort vorbeibringen musste, sondern Fotos davon online einreichen konnte.»
Heute hat Aurelia Patigler-Däscher im Alltag andere Prioritäten. Sie betreibt in Davos Frauenkirch GR einen Nebenerwerbs-Hof mit 13 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche, zehn Angus-Mutterkühen, einer Hühnerschar und einigen Truten. Den Hof hat sie samt dem rund 300 Jahre alten Walser-Haus 2013 von ihren Eltern übernommen, die in der Nähe in ein neues Daheim gezogen sind.
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Lust auf Kreatives
Aurelia Patigler-Däscher wuchs mit ihren zwei Brüdern auf dem Hof auf. Nach der Schulzeit entschied sie sich für eine Ausbildung als Coiffeuse. «Ich hatte genug vom stundenlangen Sitzen und wollte etwas Kreatives machen», sagt sie zu ihrem damaligen Entscheid.
Nach der Lehre absolvierte sie in Zürich den Vorkurs für die Kunstschule und arbeite anschliessend einige Jahre als Quereinsteigerin im Grafik- und Marketingbereich. «Im Büro wurde mir jedoch immer deutlicher bewusst, wie sehr mir die Natur und die Tiere fehlten.» Also machte sie die Zweitausbildung als Landwirtin.
Auf nach Australien
Vor der Hofübernahme standen aber zuerst Englischlernen und Abenteuer an. Über eine Vermittlungsagentur fand sie Praktikumsstellen in Australien, wo es sie unter anderem ins Outback verschlug. «Dort konnte mit einem Cowboy-Team für verschiedene Stations arbeiten.» Stations sind Betriebe mit 60 000 und mehr Rindern. «Für mich war das eine sehr intensive, lehrreiche Zeit. Noch heute denke ich täglich daran.»
Weiter ging es nach Neuseeland, unter anderem auf jenen Betrieb in Palmerston North, der 1992 den Angus-Bullen Legacy für rund 138 000 Schweizer Franken verkauft hatte. «Er war der teuerste je in der südlichen Welthalbkugel verkaufte Stier», so Aurelia Patigler-Däscher.
Rund zwei Jahre war die junge Frau auf der südlichen Welthalbkugel unterwegs. Über ihre Erlebnisse schrieb sie jede Woche einen Artikel für die «Davoser Zeitung». «Es gibt noch heute Leute, die mich darauf ansprechen», erzählt die 40-Jährige lachend. Die gesammelten Reiseberichte veröffentlichte sie nach ihrer Rückkehr als Buch.
Neue Aufgaben daheim
Zurück in der Schweiz, liebäugelte sie damit, vor der Hofübergabe für ein Hilfsprojekt nach Afrika zu gehen. Dann aber lernte sie ihren Mann kennen und 2013 kam Sohn Loris auf die Welt. 2015 folgte sein Bruder Dario und ein Jahr später erblickte Pirmin das Licht der Welt.
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Aurelia Patigler-Däscher lebt seit einigen Jahren wieder allein mit ihren drei Söhnen im alten Walser-Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Auch die Hofarbeit stemmt sie grösstenteils selbst. «Meine Eltern helfen aber, wenn immer nötig. Vor allem jetzt, während der Heusaison», sagt sie. «Ihnen macht es Freude und ich bin sehr dankbar dafür.»
Alle Kälber im Winter
Derzeit sind die Kühe auf einer Alp in S-chanf GR und es ist etwas ruhiger. Doch im Winter steht sie schon um fünf Uhr auf. Bevor sie in den Stall geht, macht sie rund eine Stunde Yoga und Krafttraining. «Zur Prophylaxe», sagt mit einem Schmunzeln. «Diese Stunde für mich ist wie das Einzahlen aufs Gesundheitskonto.»
Auch die Kälber kommen alle im Winter auf die Welt. «So sind sie nie dem Wolf ausgesetzt», erklärt die Betriebsleiterin das Timing. Auf dem Betrieb hält sie nur so viele Kühe, wie das eigene Futter ernähren kann.
Bei der Nachzucht legt sie vor allem Wert auf gesunde, umgängliche Tiere. «Lieber weniger und dafür zahme Tiere. Kein Dichtestress und geringer Krankheitsdruck führen unter dem Strich zu gesünderen und ausgeglichenen Tieren. Was sich letztlich auszahlt.»
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Übers Bemalen von Cookies und das kunstvolle Verziehen von Torten entdeckte Aurelia Patigler-Däscher ihre Freude am Malen wieder. Sie hat sich dabei ganz auf einheimische Tiere spezialisiert. «Ich bevorzuge den hyperrealistischen Malstil. Für diese Kunstrichtung muss man viel üben, üben, üben», sagt die Davoserin. Für ein Bild braucht sie 30 Stunden und mehr.
Ideale Kombination
Ausser den Originalbildern verkauft Aurelia Patigler-Däscher auch Drucke, Kissen, Karten und Taschen mit den Motiven ihrer Gemälde, online sowie im kleinen Hoflädeli. Ab Ende Juli sind ihre Werke zudem in einer Ausstellung in der alten Kirche Davos Monstein zu sehen.
Die Kombination von Malen und Landwirtschaft helfe ihr, im Gleichgewicht zu bleiben, sagt die Bündnerin. «Beides braucht einen Ausgleich. Malt man den ganzen Tag, lebt man in einer Blase. Die körperliche Arbeit und die Tiere geben mir viel zurück. Es erdet mich.»
Die Tage von Aurelia Patigler-Däscher sind voll. Auf die Frage nach einer neuen Beziehung winkt sie daher ab. «Das kann warten.» Wichtig ist ihr derzeit, für ihre drei Söhne da zu sein und wann immer möglich etwas mit ihnen zu unternehmen.
Unter dem Sternenhimmel
Wie etwa die zweitägige Wanderung im letzten Sommer, von der die drei noch heute sprechen. Die Familie wanderte von Davos über die Maienfelder-Furgga nach Arosa und schliefen draussen, neben der Amselfluh. «Glühendes Abendrot tauchte die Bergkette in goldenes Licht. In der Dunkelheit sahen wir die Milchstrasse und zig Sternschnuppen. Solche Erlebnisse schweissen zusammen.»
Einen grossen Traum möchte Aurelia Patigler-Däscher noch verwirklichen: mit den Kindern nach Australien zu reisen. Ihre Jungs hätten all die Australien Geschichten von klein auf gehört. «Ich möchte mit ihnen das Outback gemeinsam erleben dürfen.»
Fünf Fragen
Was können Sie besonders gut?
Ich habe ein gutes Vorstellungsvermögen, finde schnell kreative Ideen.
Was möchten Sie besser können?
Das Verstehen und Reparieren von Technik und Maschinen.
Welches ist Ihr Lieblingsplatz?
Auf dem Balkon sitzen mit Blick auf den Altein und das Tinzenhorn.
Wie belohnen Sie sich selbst?
Mit einem Stück Schweizer Schoggi, oder noch besser, mit einer Lindor-Kugel.
Was nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?
Meine drei Jungs und Mal-Utensilien