Leiten Autoren Porträts mit der Wegbeschreibung ein, gibt es meist zwei Gründe. Entweder wurde kürzlich eine Weiterbildung besucht («Holen Sie die Leser mit einer bildhaften Sprache ab!») oder das Gespräch bei der besuchten Person gab so viel nicht her. Beides trifft hier nicht zu. Eine Schilderung der Anreise ist in diesem Fall einfach Pflicht.

Hoch mit der Touristen-Bahn

Wer nämlich zu Bäuerin oder Bauersfrau Monika Camenzind auf Oberebnet – hoch über der Vierwaldstättersee-Gemeinde Vitznau LU fährt – bzw. fahren möchte, kommt mit dem Auto nicht allzu weit. In Vitznau, ganz unten am See bei der Schifflände, ist bereits Endstation. Eine Zufahrt auf den höchstgelegene Ganzjahresbetrieb auf der Rigi-Südseite gibt es nicht. Oder zumindest noch nicht. Die Bauernfamilie und Besucher reisen mit der Rigi-Bahn an. Selbst an einem kalten November-Morgen tut man dies nicht allein. Ein halbes Dutzend asiatische Reisegruppen wollen auf die Königin der Berge. Die Bahn fährt stündlich. Auf halbem Weg bei der Station Romiti-Felsentor, rund 1195 m ü. M., quetscht man sich an den Handy-Besitzern vorbei ins Freie im Wissen darum, gerade in ein paar Bilder gelaufen zu sein. Nun geht es über einen schmalen Wanderweg durch den Wald, über eine kleine Brücke. Kurz bevor man ins Grübeln kommt, ob der eingeschlagene Weg auch der Richtige ist und das Schuhwerk nicht doch zu leicht, lichtet sich der Bergwald und zum Vorschein kommt ein kleines Plateau. Hier wohnen also Monika und Rony Camenzind mit ihren vier Kindern Silvia, Bettina, Matthias und Tobias im Alter zwischen 10 und 16 Jahren. Nachbarn gibt es keine auf Sichtweite, die Aussicht ist fantastisch.

Spontan geht nicht

Diese Abgeschiedenheit ist auch eine Herausforderung für die 44-jährige Primarlehrerin. «Ohne Organisation geht hier oben gar nichts», sagt Camenzind. Jeder Ausflug ins Tal will geplant und auf den Fahrplan der Rigi-Bahn abgestimmt sein. Mindestens zwei Mal wöchentlich verlässt Monika Camenzind ihren «Hochsitz». Immerhin fährt die letzte Bahn abends erst um 22.05 Uhr. Wird diese verpasst, geht’s halt zu Fuss heimwärts. Dauer rund 75 Minuten. Grundsätzlich seien Abendsitzungen schon schwierig. Einige Ämtli hat sie abgegeben. «Einfach zum Vergnügen bin ich momentan in keinem Verein», sagt Camenzind und in ihrer Aussage schwingt ein wenig Wehmut mit. Nicht nur wegen der Bahn, auch wegen der regen Bautätigkeit auf dem Hof, musste sie etwas kürzertreten. Ja, das Bauen habe ihr bezüglich Belastung schon Grenzen aufgezeigt. Hier oben sind die Voraussetzungen etwas anders. Arbeiter werden verköstigt und übernachten auf dem Betrieb und auch für die Koordination der Helikopterflüge war sie zuständig. 2012 wurde das Haus erstellt und im vergangenen Jahr der Umbau der alten Scheune abgeschlossen. Diese bietet den zehn Bio-Mutterkühen mit Beefs Platz. Es sind leichte Hinterwäldler und Grauvieh, die auf dem 18 ha grossen Betrieb weiden.

Das «Schtrübste» scheint vorüber, und so hat Monika Camenzind auch wieder mit gutem Gewissen die Werbung für die Ferienwohnung im UG des Bauernhauses intensiviert. Die Besucher – wenn sie etwa aus Malaysia kommen – müssten zwar an den richtigen Ort gelotst und abgeholt werden. Einmal oben angekommen, sei das Strahlen in den Gesichtern aber eine wunderbare Entschädigung.

Etwas umständlich ist es machnachmal halt auch für die Kinder im Schulalltag. Am Morgen nehmen sie den steilen Weg talwärts und besteigen die Rigi-Bahn eine Station unterhalb. Im Tal deponieren sie dann ihre Stiefel und Regenhosen. Unten bleiben sie auch über den Mittag. «Unsere Kinder müssen selbständig sein», sagt Monika Camenzind. Und was hält der Nachwuchs von der Wohnlage? Camenzind schmunzelt. Die beiden Töchter, die bereits das Gymi besuchen, geniessen die Ruhe, verfluchten aber dann und wann schon die schlechte Anbindung.

«Ohne Organisation geht gar nichts.»

Monika Camenzind über das Leben ohne Hofzufahrt auf Oberebnet.

 

Zufahrt in Planung

Ob diese für Camenzinds ungewollte Abgeschiedenheit noch lange anhält, steht in den Sternen. Ein ehemaliger Regierungsrat und Dienststellenleiter seien schon hier oben gewesen und meinten, da müsse man doch etwas machen. Bisherige Projekte für eine Zufahrt scheiterten aber allesamt. Etwa an Natur- und Heimatschutzverbänden. Für Naturschutz sind auch Camenzinds. Schliesslich seien es aber nur die Bauern, die mit ihrer Bewirtschaftung etwas für die Natur und gegen Naturgefahren machten. Ein aktuelles Projekt lässt die Familie nun wieder hoffen. Kein Lastwagen brauche hochzufahren, entschieden bereits kantonale Stellen. «Eine feste Strasse für Jeep und Anhänger wäre also bereits ein grosser Fortschritt», sagt Monika Camenzind.

Beefs auch per Bahn

Die Beefs werden zum Erstaunen der Touristen ebenfalls auf die Rigi-Bahn verladen. Auf einem separaten Güterwagen versteht sich. Monika führt dann eine gutmütige Kuh voraus über den schmalen Wanderweg. Gefolgt von Rony, der das Beef an der Halfter hält. Auf den Betrieb führt noch ein Transportbähnli, damit werden etwa Einkäufe transportiert. Etwas grössere Güter werden von Rony Camenzind über einen Karrweg mit dem Zweiachsmäher beim Bahnübergang unterhalb der Station Freibergen abgeholt.

Im Stall ist Monika Camenzind nur im Notfall. Im Sommer helfen natürlich alle mit beim Heuet in den steilen Hängen. Ihr Mann sei hier der Chef. «Er wollte das ja schliesslich so», sagt sie lachend. So sei es logisch, dass sie einem Nebenerwerb nachgehe. Und dieser ist eine Herzensangelegnheit und könnte – so lässt sich heraushören – in den kommenden Jahren noch einen grösseren Stellenwert bekommen.