«Eines Tages las ich die Zeitung und stiess auf das Wort ‹Märchen›. Da machte es Klick», erzählt Huguette Schwager. Vor achtzehn Jahren entschied sich die Bäuerin und ausgebildete Katechetin für einen aussergewöhnlichen Betriebszweig: Aus dem Familienbetrieb in Aadorf TG wurde der Wittershuser Märlihof.
Abend als Gesamtkunstwerk
Huguette Schwager erzählt Märchen für Schulklassen, Landfrauen, Firmen und Vereine. Sie erzählt aber nicht nur, sondern organisiert für ihre Kundinnen und Kunden einen schön abgerundeten Abend, passend zum Thema.
Kürzlich war eine Landfrauengruppe zu Gast, ein Kräuter- und Blumenabend stand auf dem Programm. Beim Apéro gab es Basilikumglace, beim Märchen «Rosmarina» pflanzten die Frauen ein Töpfchen mit Rosmarin und anschliessend bei einem Lavendel-Märchen rührte Huguette Schwager mit ihnen eine Lavendelsalbe an. «Ich wollte, dass sie dabei diesen Geruch einatmen können», erzählt sie.
Wenn sie Schulklassen Märchen zum Motto vom «Korn zum Brot» erzählt, lässt sie die Kinder Körner mahlen, Teig kneten und Pizza backen.
Märchen über die Natur
Huguette Schwager hat sich auf Märchen über Pflanzen, Tiere, Wald, Bäume und Elementar-wesen spezialisiert. Viele davon haben einen Bezug zur Landwirtschaft. Von den klassischen Gebrüder-Grimm-Märchen ist sie kein Fan: «Die haben ihren Ursprung verloren, sind sehr christianisiert und gebüschelt worden, damit sie gut klingen.»
«Die Kuh steht für das Mütterliche»
Sie hat über 100 Märchen aus aller Welt im Repertoire. Bis sie ein Märchen erzählt, und zwar immer in Mundart und auswendig, ist es ein langer Prozess. «Ich erzähle nur Märchen, die ich mag. Wenn ich ein neues gefunden habe, nehme ich es komplett auseinander.»
Jedes Symbol, jede Zahl, jede Farbe – alles habe eine Bedeutung, erklärt sie. «Die Kuh steht zum Beispiel für das Mütterliche.» Dass die meisten Märchen mit einer Hochzeit endeten, sei kein Symbol für die ewige Liebe, «sondern nur ein Zeichen dafür, dass ein Entwicklungsprozess abgeschlossen ist und ein neuer anfängt.»
Krise als Auslöser
Der Grund, warum sie zu ihrer heutigen Leidenschaft fand, war nicht märchenhaft. «Mit ungefähr Mitte 30 geriet ich in eine tiefe Krise. Ich mochte meinen Beruf als Katechetin, aber man arbeitete oft an Randzeiten und ich hatte drei kleine Kinder.» Huguette Schwager wusste, dass sie lieber etwas von zu Hause aus machen würde. Also absolvierte sie 2014 eine Ausbildung zur Märchenerzählerin bei Elisa Hilty in Winterthur ZH.
In ihrem Umfeld stiessen ihre Pläne nicht unbedingt auf Verständnis: «Viele dachten wohl, jetzt hat sie einen Knall.» Doch Schwager bewies ihnen das Gegenteil. Sie druckte Flyer, legte diese überall auf und die ersten Anfragen kamen prompt. Im zweiten Jahr fanden schon Gruppen von 30 Leuten den Weg auf den Märlihof. Längst sind die Märchen ein wichtiger Betriebszweig für den Betrieb mit Mastschweinen, Pensionspferden, Aufzuchtrindern und Ackerbau geworden.
Corona bremste aus
Ein Betriebszweig, der dieses Jahr durch das Coronavirus jäh ausgebremst wurde. «Ich dachte schon im Februar, dass mir die Situation nicht gefällt», erinnert sich Huguette Schwager zurück. Ihre Agenda war voll. Manche Termine wurden schon vor einem Jahr gebucht. Schwagers Hochsaison dauert von März bis zu den Sommerferien. Nun kam Absage um Absage. «Das war schmerzhaft, denn ich freue mich immer auf diese Zeit.»
Nun trudeln langsam wieder Anfragen und erste Gruppen ein, aber Huguette Schwager spürt die Vorsicht der Menschen deutlich. Oft erzählte Schwager auch auswärts Märchen, in Kliniken oder Bibliotheken. Das möchte sie gerne vermehrt tun, wenn es denn wieder möglich ist. «Ich liebe Bibliotheken. Bücher sind meine Leidenschaft.» Doch auch hier dreht sich (fast) alles um Märchen. Romane liest sie fast nie, eher ab und zu eine Bio-grafie.
Bücherliebe ärgerte Vater
Gelesen habe sie schon als Kind «fast abnormal viel», erinnert sich Huguette Schwager zurück. Aufgewachsen ist sie in Bichelsee TG in einem Restaurant mit Bäckerei. Den zum Gastbetrieb gehörigen Bauernhof bewirtschaftete die Familie nicht mehr selbst. Als Büchernarr war sie in der Familie die Ausnahme. «Ich habe meine Eltern fast in den Wahnsinn getrieben. Mein Vater hat manchmal gesagt, er werfe mir alle Bücher zum Fenster raus», erzählt Schwager. Vielleicht kam die Liebe zu den Büchern vom Patenonkel, einem Buchhändler. Gerne hätte sie selbst diesen Beruf ergriffen, doch das wollten ihre Eltern nicht. Sie fanden es brotlos.
Töchter haben viele Ideen
Ihre eigene Familie ist da unterstützender. Ihre drei erwachsenen Kinder helfen auch mal an einem Anlass aus. Früher hätten sie zwar vielleicht ab und zu gedacht, «die Mutter und ihre Märchen», sagt Huguette Schwager mit einem Grinsen. Jasmin (28) ist Bäcker-Konditorin. Madlaina (27) Geomatikerin. Sohn Josua (25) arbeitet als Landschaftsgärtner. Die beiden Töchter haben Interesse am Betrieb. Madlaina absolviert aktuell die Bäuerinnenschule, Jasmin möchte in naher Zukunft eine Bauernhofspielgruppe anbieten. «Sie haben viele Ideen, das ist schön zu sehen.»
Den Leuten die Augen öffnen
Huguette Schwager sieht sich nicht nur als Märchenerzählerin, sondern auch als Botschafterin und Brückenbauerin für die Landwirtschaft. «Manchmal möchte ich den Leuten einfach die Augen öffnen, denn viele haben keine Ahnung mehr von der Realität auf einem Bauernhof.» So seien sie etwa überrascht, dass man Äpfel nicht pflückt, sondern von Hand aufliest. Wenn sie im Herbst an einem Anlass dabei helfen sollen, hätten viele keinen Biss dafür.
Mit den älteren Schülerinnen und Schülern entstehen bei den Mastschweinen auch einmal Diskussionen über das Fleischessen. Wenn Schulkassen kommen, ist der ganze Bauernhof in den Anlass eingebunden. «Die Kinder können zu jedem Tier gehen, es anfassen, Ängste überwinden. Der Hit ist aber immer das Herumspringen auf dem Heustock.»
«Habe meine Schublädli»
Die Vorbereitung auf ihre Gäste geht Huguette Schwager nach all den Jahren relativ leicht von der Hand, obwohl sie jede Veranstaltung für die jeweiligen Kunden massschneidert. «Ich habe meine Schublädchen, die ich öffnen kann.» Sie macht alles selbst, auch den Apéro. Bei grösseren Anlässen unterstützt sie eine Kollegin mit der Musikumrahmung. «Weil ich es so gerne mache, kommt es mir gar nicht mehr wie viel Arbeit vor.»
Weitere Infos: www.maerlihof.ch