In der Landwirtschaft fällt die Arbeit ungleichmässig an. Im Sommer gibt es mehr zu tun als im Winter. Zudem fliessen Arbeit und Freizeit ineinander über, sind schwieriger voneinander abzugrenzen als im Industrie- und Dienstleistungsbereich. Denn Tiere müssen auch am Wochenende betreut werden. Kein Wunder, dass in der Gesellschaft immer wieder heftig darüber diskutiert wurde, wie viel und wie lange Bäuerinnen, Bauern und Angestellte eigentlich arbeiteten.

Ist Arbeit mehr als bloss Lohnarbeit?

Aber viele landwirtschaftliche Arbeiten sind auch durch Kinder erledigt worden. Darüber zu schreiben, ist schwierig geworden. Denn nach dem heutigen Verständnis gilt die Kindheit als eine Lebensphase, in der Arbeit keine Berechtigung hat.

Diese Vorstellung basiert auf einem sich im 20. Jahrhundert durchsetzenden Verständnis, das Arbeit auf lohnabhängige Erwerbsarbeit reduziert. Aus dieser Sicht ist die Arbeit von Kindern nur über das moralisch negativ behaftete Label «Kinderarbeit» wahrnehmbar und Ausdruck eines in jedem Fall einseitigen Ausbeutungsverhältnisses.

Doch wer die komplexen Verflechtungen von Kindheit, Spiel, Lernen, Erwerbung von Kompetenzen und Arbeit in ihren vielfältigen Bedeutungen innerhalb der bäuerlichen Familienwirtschaften verstehen will, tut gut daran, unter Arbeit mehr als lediglich Lohnarbeit zu verstehen.

Kinder erledigten viele und schwere Arbeiten

Nicht wenige der Kinder, die im bäuerlichen Alltag viele, für ihr Alter oft zu viele und zu schwere Arbeiten verrichteten, gewannen sowohl einen wesentlichen Teil ihres Selbstwertgefühls als auch ihrer sozialen Kompetenzen und handwerklichen Fähigkeiten beim Arbeiten. Zugleich machten sie dabei die Erfahrung, dass menschliches Handeln immer wieder von nicht vorhersehbaren Ereignissen beeinflusst werden kann.

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So lernten Kinder im Alltag, Rücksicht zu nehmen, flexibel zu handeln und offen für Neues zu werden. Gleichzeitig gab es viele Missbräuche, insbesondere mit Verdingkindern. Diese erfolgten nicht nur, aber oft, bei Pflegeeltern, die ökonomisch selbst in äusserst prekären Verhältnissen lebten.

Hatten es die Bauernkinder besser?

Dass die Arbeit von Kindern in der Industriegesellschaft schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts als eine Art Anachronismus wahrgenommen wurde, als etwas, das nicht in die Zeit passt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass an den sozialen Frauenschulen Diplomarbeiten zum Thema verfasst wurden. Dabei galt das Interesse primär dem «überforderten Landkind», aber interessanterweise auch der Frage, ob es Bauernkinder nicht «besser hatten», da sie mit «ihren wirklich lebendigen Tieren» in der «trauten Umgebung ihrer Eltern» spielen konnten und gleichzeitig über «Milch und Obst zur Genüge» verfügten.

Einer in den 1950er-Jahren durchgeführten Untersuchung verdanken wir präzise, von Kindern selbst gemachte Angaben zur Art und zum Umfang der von ihnen auf den Höfen in der Umgebung von Beromünster LU geleisteten Arbeit sowie Einsichten in die von ihnen erfahrenen und selbst konstruierten Sinnzusammenhänge.

Von den 152 befragten Kindern erledigten nach eigenen Angaben 88 Prozent der Knaben und 69 Prozent der Mädchen am Morgen vor der Schule Arbeiten auf dem Hof und im Haushalt; mehr als ein Drittel von ihnen stand im Sommer vor 6 Uhr auf. Trotzdem streckten viele «begeistert die Hände in die Höhe», als sie gefragt wurden, ob sie zu Hause lieber arbeiten als spielen würden.

Wie die Erwachsenen

Viele identifizierten sich über ihre Arbeit mit den Vorbildern – den Eltern wie den Dienstboten. Zugleich konnte Arbeit für die Kinder auch Freiräume schaffen, in denen sie sich der Aufsicht und Kontrolle der Erwachsenen entziehen konnten. «Als Kind war das etwas sehr Schönes», erinnert sich ein Erwachsener im Urserntal an das Hüten der Kühe. «Du hattest den ganzen Tag nichts mit Erwachsenen zu tun.»

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In der gleichen Befragung gaben die Eltern schriftlich Auskunft, weshalb sie ihre Kinder zur Arbeit beizogen. Viele argumentierten, für ihre Familie sei es eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Andere gaben als Grund den Mangel an erwachsenen Arbeitskräften an. Nicht wenige waren auch überzeugt, dass die Erledigung von Arbeiten den Kindern den Einstieg ins Erwerbsleben ebenso erleichtere, wie sie die körperliche Entwicklung fördere.

Interessanterweise gab es bei den Antworten der Eltern kaum Unterschiede zwischen denjenigen, die Klein-, und denjenigen, die Grossbetriebe bewirtschafteten. Dass die grosse Mehrheit der Kinder nach der Schule Gelegenheit hatte, die Schulaufgaben zu erledigen, ist neben dem Bildungsverhalten der Bauern und Bäuerinnen ein weiterer Hinweis darauf, dass die immer wieder postulierte «Bildungsfeindlichkeit» der bäuerlichen Bevölkerung mehr einem (bildungsbürgerlichen) Vorurteil als den realen Verhältnissen entsprach.