Wenn in der Öffentlichkeit von Erfindern die Rede ist, geht es meistens um die Namen von grossen Männern, denen die Erfindung von Dingen zugeschrieben wird, die, wie der moderne Buchdruck oder die Dampfmaschine, die Welt verändert haben. Aber selbst Johannes Gutenberg und James Watt ist letztlich nur eine Optimierung oder Perfektionierung von etwas gelungen, das von anderen in ihrem Umfeld ansatzweise ebenfalls praktiziert wurde. Denn Erfindungen fallen weder vom Himmel noch sind sie das Produkt einsamer Denker.
Landwirtschaftliche Tüftler
Sie sind meist eine Folge kollektiver Anstrengungen, zu denen einzelne einen entscheidenden Beitrag leisteten. Ob jemand dafür berühmt wurde oder vergessen ging, hängt vom Zufall bzw. davon ab, ob die Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Und ob ihre Leistungen von ihren Zeitgenossen erkannt und gewürdigt wurden oder nicht. In der Landwirtschaft wimmelt es nur so von Akteuren, die Verfahren, Geräte oder Maschinen entwickelten, die grosse Erleichterungen, aber ihren Erfindern keine materiellen Vorteile brachten und selten unter ihrem Namen patentiert wurden. Im wetterabhängigen, von Menschen, Tieren und Pflanzen dominierten Agrarbereich waren nicht grosse und fixe, sondern kleine, flexible und anpassungsfähige Geräte und Maschinen gefragt, die zudem selten patentiert wurden. Patente zu erringen, wurde im 20. Jahrhundert für Individuen auch deshalb schwieriger, weil die Vorarbeiten dazu Investitionen erforderten, die von Privaten kaum selber aufzubringen waren. Die Entwicklung und Patentierung des Steilhangmähers «Kolibri» durch Hans Jost ist ein konkretes Beispiel dafür.
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Hans Josts Kolibri
Auslöser für Josts Versuche zur Entwicklung eines Motormähers, der auch in Hanglagen mit einer Steigung von bis zu 120 % eingesetzt werden kann, war ein Landdienst, den der gelernte Maschinenmechaniker 1978 auf einem Bergbauernbetrieb in Bürglen im Kanton Uri machte. Hier stellte Jost mit Erstaunen fest, dass ein wesentlicher Teil der Heufläche der Bauernfamilie mit der Sense gemäht wurde, weil auch die seit den 1950er-Jahren im Tal- und Hügelgebiet in grosser Zahl Fuss fassenden Motormäher nicht geländegängig genug für diese Hanglagen waren.
Zwar gab es bereits Hangmäher, die auf Flächen mit einer Hangneigung von bis zu 80 % funktionierten. Aber zum Mähen in noch steileren Lagen waren immer noch zwei Personen nötig. Zudem erforderte die Führung des Mähers in diesem Gelände nicht nur viel Kraft, sondern war auch gefährlich.
Vom Prototypen bis zum Einsatz in Bürglen
Das wollte Hans Jost ändern. Deshalb versuchte er, für den Betrieb in Bürglen einen Motormäher zu konstruieren, den eine Person ohne grössere Kraftanstrengungen gefahrlos einsetzen konnte. Den ersten Prototypen des in der Folge «Kolibri» genannten Mähers, den Jost ausserhalb seiner beruflichen Tätigkeit entwickelte, hat er 1983 im Emmental und im Berner Oberland getestet. Nach den Anpassungen, die aufgrund der Testeinsätze vorgenommen wurden, erfolgte der Transport des «Kolibri» nach Bürglen auf den Einsatzbetrieb, der nur per Seilbahn erreichbar war.
Entwicklung dokumentiert
Dokumentiert hat Hans Jost diese Tätigkeiten im Film «Die Entwicklungsgeschichte des Steilhangmähers Kolibri», der im AfA-Filmportal und über den QR-Code unten online zugänglich ist. Der Film geht sowohl auf die Praxis der Heuernte in Bürglen Ende der 1970er-Jahre als auch auf die Motive von Jost zur Entwicklung eines Steilhangmähers ein. Der Film illustriert die Fortschritte und Rückschläge bei der Entwicklung des zuerst «HM», dann «Jost Kolibri» genannten Mähers, der nach der Fertigstellung 1983 bei mehreren Herstellern von Landmaschinen auf Interesse stiess.
1984 übertrug Jost alle Rechte zur Weiterentwicklung, Herstellung und zum Vertrieb sowie zur Patentierung an seinen Arbeitgeber, die Firma Aebi und Co in Burgdorf. Diese meldete das Antriebs- und Lenksystem 1984/85 in der Schweiz und den anderen Alpenländern zur Patentierung an. In der Folge bauten mehrere Hersteller von Landmaschinen Hangmäher, deren Antriebs- und Lenksystem auf dem patentierten Prototyp basierten. Den Prototypen selbst schenkte Jost 1997 dem Agrotechnorama in Tänikon TG, wo er heute besichtigt werden kann.