In den Räumlichkeiten im Parterre eines alten Fabrikgebäudes herrscht emsige Geschäftigkeit – und doch ist es still. Unter der kundigen Anleitung von Bettina Aeberli sitzt eine kleine Gruppe von Menschen an einem grossen Tisch und rüstet Zwetschgen. Viele von ihnen sind Seniorinnen aus der Region, aber auch junge Menschen sind dabei, darunter auch zwei Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. In regelmässigen Abständen überreichen sie der Arbeitgeberin ein grosses Blech mit frisch gerüsteten Zwetschgen. Sie wägt es und schiebt es in den Ofen. «Es ist auch schon gesungen worden am Tisch», sagt sie. «Oder es kamen interessante Gespräche in Gang». Oft bleibe es aber so ruhig. «Die Leute schätzen das Meditative und auch das Gesellige an dieser Arbeit», meint sie.
Zehn Kilo pro Stunde
Im Ofen können 100 bis 150 Kilogramm Zwetschgen gedörrt werden. Die Mitarbeitenden rüsten pro Person im Maximum 10 bis 12 Kilogramm pro Stunde. Zum Akkord von 2 Franken pro Kilo kommen sie so auf etwa 21 Franken und erreichen damit den Mindestlohn. Viele verzichten auch ganz auf ein Entgelt. «Ohne freiwillige Mithilfe würde es nicht gehen», sagt Aeberli.
Derzeit arbeitet sie sich in die Aufgaben der Geschäftsleitung der Posamenter GmbH ein. Im nächsten Jahr will sie diese Position von Gründerin Dora Meier übernehmen. Das Teilzeitpensum variiert je nach Jahreszeit zwischen 45 und 95 Prozent. Der Durchschnitt liege bei etwa 60 Prozent, sagt Aeberli. Zur Aufgabe gehört auch der Kontakt mit den verschiedenen Herstellern aus der Region, die einen Teil der von den Helfern verarbeiteten Früchte zu attraktiven Produkten wie Zwetschgenläckerli, Powidl oder Konfi verarbeiten. Einen weiteren Teil verarbeiten die Mitarbeitenden von Posamenter selber, etwa zum Kompott «Heissi Zwätschge».
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Im Dorfladen fing es an
Nach einer längeren Familienpause überlegte sich Bettina Aeberli, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Genau zu dieser Zeit wurde im Dorfladen Oltingen eine Verkäuferin gesucht und sie erhielt die Anstellung. An einem Samstag gab es eine Degustation unter dem Motto «Feines vom Dorf» zu organisieren. Mit dabei: Dora Meier, die Gründerin des Projekts «Posamenter».
Die Biologin hatte in ihrem Wohnort Wenslingen, dem Nachbardorf von Oltingen, beobachtet, dass viele Hochstammbäume nicht mehr geerntet wurden – vor allem die Zwetschgen fielen ungenutzt von den Bäumen. Der traurige Anblick war unter anderem eine Folge der Aufhebung des Schutzzolls für Industrieobst anfangs 2000.
Beim Bauern angefragt
Seit dem Bau der Eisenbahnlinien zwischen Basel und Olten hatten die Bauern im Oberbaselbiet mit ihren Hochstämmern Früchte für die wachsenden Ballungszentren produziert und die Landschaft in ein Mosaik von blühenden Obstgärten verwandelt. Nun fiel mit einem wichtigen Konservenhersteller der letzte grosse Abnehmer weg – von einem Jahr aufs andere.
«Dora fragte bei einem Bauern an, wie viel er für die Zwetschgen brauchen würde, damit er seine Bäume weiterhin pflegen und das Obst ernten würde», erzählt Bettina Aeberli. Danach brachte sie sie kreative Köpfe zusammen und entwickelte mit ihnen hochwertige Produkte, um die Vermarktung und den Absatz wieder sicherzustellen.
Webstuhl in der Stube
Ziel sei von Anfang an die Erhaltung der Hochstamm-Landschaft gewesen, sagt Aeberli. «Wir hatten hier etwas ähnliches, was heute wieder in aller Munde ist – der sogenannte Agroforst», sagt sie. Das Sterben der Hochstämmer habe sich sehr deutlich auf die Biodiversität ausgewirkt. «Es verschwindet so viel Lebensraum für Vögel, Kleintiere und Insekten, auch das Landschaftsbild veränderte sich drastisch», sagt Aeberli. Die Vernetzung der Ökosysteme leide darunter stark.
Aufgewachsen ist Bettina Aeberli in Oltingen. «Meine Grosseltern waren noch traditionelle Posamenter-Bauern», sagt sie. «In ihrer Stube stand ein Webstuhl, mit dem Seidenbändel hergestellt wurden.» Die Grosseltern betrieben Landwirtschaft mit Selbstversorgung, eine wichtige Rolle spielten die Hochstamm-Obstbäume. «Da wurde ich als Kind auch zum ‹Günne› und Mithelfen aufgefordert», erinnert sich Aeberli. Im Jugendalter zog sie weg von zuhause, mit dem Gedanken, nicht mehr nach Oltingen zurückzukehren.
Dörren im eigenen Ofen
Als aber ihr Mann und damit drei Kinder in ihr Leben kamen, zog sie am Ende doch wieder zurück in das alte Haus in Oltingen. «Da lernte ich den Wert dieses Ortes richtig schätzen», sagt Aeberli. Seit ihrer Kindheit hat sich ihr Heimatdorf stark verändert. «Ich weiss noch, wie praktisch vor jedem Haus ein Miststock stand», erinnert sie sich. «Viele hatten einen Betrieb mit ein bis drei, manchmal auch 20 Kühen», sagt sie. «Dann ist ein Miststock nach dem anderen verschwunden.»
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Zum Haus gehört ein grosser Garten, und Bettina Aeberli entdeckte die Freude am Konservieren. Sie begann, im eigenen Ofen zu dörren und Eingemachtes herzustellen, und fuhr mit der ganzen Familie jeweils im Herbst in die Mosterei. Am landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain in Sissach lernte sie bei der Hauswirtschafts- und Berufsschullehrerin Maya Mohler das Handwerk, das bis dahin einfach ein Hobby war, von der Pike auf. Mittlerweile ist das Landwirtschaftsland verpachtet, und die Familie hat nicht mehr viele eigene Bäume. Zum Mosten fährt sie aber immer noch: Die Früchte stammen von den Hochstämmern einer Nachbarin, die sich daran freut, dass ihr Obst weiterhin genützt und die Bäume gepflegt werden.
Märkte sind ein Erlebnis
Die neue Aufgabe führt Bettina Aeberli nun wieder öfters aus dem Dorf hinaus. Die Produkte von Posamenter verkaufen sich in regionalen Läden oder an Märkten. «Wir könnten fast monatlich an einen Markt gehen», sagt Aeberli: Das liege aber personell nicht drin: «Während der Rüstzeit sind wir sehr stark ausgelastet, wir müssten zusätzlich mindestens einen Marktfahrer haben.» Sie selber geht sehr gerne an die Märkte: «Den Marktbesuchern das Projekt Posamenter mit seinen köstlichen Produkt vorzustellen, ist immer wieder ein Erlebnis.»
Fünf Fragen an Bettina Aeberli
Was möchten Sie besser können?
Über noch mehr Kenntnisse verfügen zu Geschichte, Entwicklung und Wert des Hochstamm-Obstanbaus.
Welches Alltagsritual gehört für Sie dazu?
Ich habe keine festen Rituale. Ich finde es aber erfreulich, wenn es gelingt, mindestens einmal am Tag zusammen mit meiner ganzen Familie am Tisch zu sitzen und eine gemeinsame Mahlzeit einnehmen zu können.
Welche Arbeit liegt Ihnen so gar nicht?
Vor Publikum zu sprechen.
Welches Menü gelingt Ihnen immer?
Linseneintopf mit Gemüse und Dörrzwetschgenstückli, verfeinert mit Crème fraîche.
Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Einander bedingungslos annehmen. Betonung auf bedingungslos.