«18 Stunden Teigruhe», «24 Stunden Triebführung». Damit zeichnen immer mehr Bäckereien ihre Brote am Brotgestell aus. Dahinter steckt Bäckerwissen, das sich auf das eigentliche Handwerk zurückbesinnt.

Der Wettbewerb um die Brotkundschaft in der Schweiz ist enorm. Brot gibt es fast rund um die Uhr frisch (auf)gebacken und zu sehr tiefem Preis. Dafür müssen Kosten auf der ganzen Produktionslinie gespart werden.

Einfacher und mit Hilfskräften

Michael Kleinert, Leiter Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil, schilderte in einem Vortrag die Entwicklung: «Vor rund 40 Jahren begann der Boom der standardisierten Mehlmischungen und Zusatzstoffe. Die ‹ready to bake›-Produkte können auch von Hilfskräften verarbeitet werden. Das Brot ist schnell hergestellt.» Auf der Strecke bleiben dabei Aroma, Bekömmlichkeit und Haltbarkeit.

Zeit als Schlüssel

Seit ein paar Jahren ist in der Branche ein Gegentrend spürbar, der in Österreich im Slogan «Gib dem Brot die Seele zurück» zusammengefasst wird. Ins Zentrum rückt dabei die lange Triebführung, die Teigruhe. Einer, der dies aus Überzeugung praktiziert, ist Zeno Felchlin, Bäckermeister der Bäckerei-Konditorei Chilestägli in Arth SZ.

Den Teig für das Knusperbrot lässt er in der Maschine kneten. «Das Wasser, das ich beigebe, ist auf drei Grad hinunter gekühlt. Sonst wird der Teig beim Kneten zu heiss, was die Hefe zu stark zur Gärung anregen würde.» Tatsächlich hat der Teig nach rund einer halben Stunde eine Temperatur von 23 Grad. Felchlin ist zufrieden.

Seidenartiger Teig

Der Teig fühlt sich nun seidenartig an, glänzt und lässt sich fast bis zur Durchsichtigkeit auseinanderziehen. «Das ist das Netz, das das Klebereiweiss in der Verbindung mit Wasser gebildet hat. Es fängt die produzierte Kohlensäure auf. Dadurch geht der Teig auf», erklärt der Fachmann. 24 Stunden hat nun der Teig im Kühlraum Zeit, bei der Stockgarung das Aroma voll zu entwickeln. Der Brotteig ist am nächsten Tag um das Vierfache aufgegangen. Mitten in der Nacht formt der Bäcker die Brotlaibe. Der Teig ist sehr feucht. Da braucht es Fingerspitzengefühl. Doch je mehr Feuchtigkeit, desto frischer bleibt das Brot.

Nach sechzig Minuten sind die Brotlaibe fertig gebacken. Das Krustenbrot mit seiner wilden, dunklen Kruste erinnert an ein Bauernbrot aus dem Holzofen. Seine Röstaromen sind ausgeprägt. Ein solch aromatisches, knuspriges Brot mit elastischer, lockerer Krume ist nicht nur eine Nasen- und Gaumenfreude.

Besser verdaulich

Gemäss Bäckereifachschule Richemont in Luzern belegen Studien, dass das Brot bekömmlicher wird, je länger der Teig ruht. Hefe und Bakterien brauchen Zeit, die langkettigen Kohlenhydrate aufzuspalten, die der Darm nur schlecht oder gar nicht aufnehmen kann. Wird die Teigruhe verkürzt, können kurze Ketten von verschiedenen Zuckern in den Darm gelangen, wo sie vergären und Beschwerden verursachen können. In der Fachsprache werden diese Zuckerverbindungen FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) genannt.

Die lange Teigruhe kann auch zu Hause ausgeführt werden. Sehr einfach sind sogenannte «no knead bread»-Rezepte, wo die Zutaten nur zusammen verrührt werden. Danach heisst es nur noch warten vor dem Backen. Da die Hefe länger Zeit zum Wirken hat, braucht es weniger davon. Zwei bis zehn Gramm möglichst frische Hefe auf 500 Gramm Mehl reichen. Drei Gramm Hefe entsprechen einem Gramm Trockenhefe.

Der Teig kann nach dem Kneten über Nacht zugedeckt in den Kühlschrank gestellt und am nächsten Tag geformt und gebacken werden. Oder zugedeckt an einen zugfreien Platz stellen; im Sommer an den kühlsten, im Winter an einen warmen Ort.

Den Teig falten

Während der Ruhephase den Teig allenfalls zwei bis drei Mal falten. Dabei wird mit einer feuchten Hand der Teigrand in jedem Viertel (wenn man sich eine Uhr vorstellt) in die Höhe gezogen, in die Mitte hin gefaltet und leicht angedrückt. So wird der Kleber zusätzlich angeregt, der Teig wird elastischer und weicher und gewinnt an Volumen. Gleichzeitig wird der Hefe neuer Sauerstoff zugeführt, was deren Aktivität positiv beeinflusst.

Der Fingertest hilft, den Gärzustand des Teiges zu beurteilen: Geht der Zeigfingerabdruck seitlich im Teig langsam wieder zurück, kann das Brot geformt werden. Bleibt der Abdruck bestehen, ist der Teig fast schon zu reif. Das Gebäck sollte in diesem Fall unverzüglich gebacken werden.

Brot aus dem Gusseisentopf
Dieses Brot ist ein sogenanntes «no knead bread», es kommt praktisch ohne Kneten aus, braucht aber Teigruhe.
Vorbereitung: 10 Minuten
Teigführung (aufgehen lassen): 12 bis 20 Stunden
Backzeit: ca. 50 Minuten
Material und Zutaten
Gusseisentopf mit etwa 20 cm Durchmesser
400 g   Mehl, Mischung je nach Bedarf
8 g       Salz
2 g       frische Hefe
3 dl      lauwarmes Wasser
Zubereitung
1. Mehl und Salz in einer grossen Schüssel mischen. Hefe im Wasser auflösen und dazugeben. Mit einer Lochkelle so lange rühren, bis sich alle Zutaten gut vermischt haben. Das genügt, der Teig ist sehr feucht; zu feucht, um ihn von Hand zu kneten.
2. Die Schüssel mit Klarsichtfolie zudecken. An einem Ort ohne Durchzug 12 bis 18 Stunden stehen lassen.
3. Die Arbeitsfläche grosszügig mit Mehl bestäuben. Den Teig direkt auf das Mehl geben. Mit der Teigkarte die Teigenden nach innen klappen. Teigkugel umgekehrt auf ein stark bemehltes Küchentuch legen. Bemehlen. Zudecken und nochmals 2 bis 3 Stunden ruhen lassen.
4. Den Gusseisentopf mit Deckel in den Backofen stellen. Den Ofen auf 225 Grad vorheizen.
5. Nach 30 Minuten den Topf vorsichtig aus dem Ofen nehmen und auf eine hitzebeständige Unterlage stellen. Den Deckel wegnehmen. Brot vom Tuch direkt in den Topf legen. Deckel aufsetzen. 30 Minuten im Ofen backen.
5. Deckel entfernen. Noch 20 bis 25 Minuten fertig backen. Mit einer Kelle aus dem Topf nehmen und auf einem Gitter auskühlen lassen.