«Würde ich all meine Cremeschnitten aneinanderreihen, würde es wohl bis nach Chur hinunterreichen», meint Jürg Gadient mit einem Schmunzeln. Das wären dann 30 km Cremeschnitten. Als er und seine Frau Sandra auf dem Aroser Weisshorn auf 2653 Metern über Meer in der Schaubäckerei arbeiteten, waren es bis zu 150 Stück am Tag. Seit 2018 führt das Ehepaar im Dorf eine eigene Bäckerei-Konditorei mit Café. An Spitzentagen im Winter verkaufen sie rund 100 Cremeschnitten pro Tag.

Von den einzelnen Zutaten her ist die Cremeschnitte eine einfach herzustellende Patisserie – theoretisch. Denn man kann dabei viel falsch machen. Wer schon Cremeschnitten von verschiedenen Grossverteilern, Bäckereien oder Cafés verglichen hat, weiss: Die Unterschiede sind «gewaltig».

Auf Details achten

Worauf muss man also achten, wenn man selbst Cremeschnitten daheim machen will? Drei Komponenten sind für Jürg Gadient wichtig: «Zeit, hochwertige Rohstoffe und exaktes Arbeiten.» Die Patisserie wird bei Gadients tagesfrisch verkauft. Die Herstellung beginnt jedoch jeweils am Vortag mit der Herstellung des Blätterteiges aus einem tourierten Teig und Schweizer Butter. «Erst die Butter macht die Blätterteiglagen der Cremeschnitte blättrig und knusprig.»

Exaktes Arbeiten ist beim «Tourengeben» nötig, beim Falten des Teiges. Denn nur so entstehen «mille feuilles», 1000 Blätter. «Haben Teig und Butter dabei nicht die gleiche Temperatur, ‹seicht› die Butter. Sie wird herausgedrückt», erklärt der Fachmann weiter. Blätterteig aus Margarine und pflanzlichen Fetten ist einfacher zu verarbeiten und preislich günstiger, doch der Geschmack ist anders.

Backen mit Butterduft

Während normalerweise vier doppelte Touren gemacht werden, gibt Jürg Gadient noch eine dazu, was mehr Zeit kostet, denn zwischen jeder Tour muss der Teig wieder gekühlt werden. Das Endresultat wird jedoch luftiger. Anschliessend entspannen sich die zwei Millimeter dicken Teigplatten im Tiefkühler, bevor sie am nächsten Tag gebacken werden.

Beim Backen breitet sich ein herrlicher Butterduft aus. Doch Vorsicht, der Teig muss richtig gebacken sein. «Durch zu viel wird er bitter, durch zu wenig ‹gruusig›», meint Gadient. Wer keinen Blätterteig zu Hause herstellen möchte, kauft einen bei einer Bäckerei oder greift auf einen Butterblätterteig aus dem Grossverteiler zurück. Vor dem Backen allenfalls ein Esslöffel Zucker über den Teig streuen und mit dem Wallholz leicht darüber wallen. Das erhöht die Knusprigkeit des gebackenen Teiges.

Creme nicht tiefkühlen

Für die Vanillecreme wählt der Fachmann die gekochte Variante mit Cremepulver. Um das Vanillearoma zu stärken, gibt Jürg Gadient zusätzlich ausgekratztes Vanillemark dazu. Ist die Creme gut ausgekühlt, zieht er geschlagenen Rahm darunter.

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Die Creme kann auch mit Gelatine gebunden werden oder nur aus Rahm bestehen. Diese Varianten haben den Vorteil, dass sie tiefgekühlt werden können. Varianten mit gekochter Creme müssen hingegen tagesfrisch genossen werden. Durch das Tiefgefrieren würde die Creme griessig.

Mit Massstab und Messer

Die Einzelteile für die Cremeschnitte sind bereit. Nun geht's mit Massstab und einem Messer mit Wellenschliff ans Schneiden der Streifen. Im Privathaushalt kann eine Schablone das genaue Arbeiten erleichtern. Jürg Gadient gibt grosszügig Vanillecreme auf die erste Lage. Dann drückt er die zweite Lage Blätterteig leicht an, bevor er mit einer weiteren Schicht Creme und Blätterteigstreifen die Schnitte abschliesst.

Das Fertigstellen braucht exaktes Arbeiten, damit das Resultat auch optisch überzeugt. Die Ränder werden mit einem Tortenspachtel gerade gestrichen und die Oberseite aprikotiert. Als Letztes kommt die weisse Glasur. Während sie im Privathaushalt aus Puderzucker und Zitronensaft angerührt wird, brauchen die Konditoren «Fondant».

Das Schneiden in Stücke ist für Laien ein heikler Punkt. Ein grosses Messer mit Wellenschliff hilft enorm. Der Fachmann stellt die grosse Cremeschnitte für wenige Minuten in den Tiefkühler. Danach hält er mit einer Hand das ganze Stück mit einer Teigkarte, während er mit einem grossen Messer mit Wellenschliff Stücke abschneidet: «Zuerst sägele, am Schluss drücken», kommentiert er.

Und wie isst man eine Cremeschnitte, ohne sie zu zerdrücken? Für Jürg Gadient ganz einfach: «Das Stück umkippen, mit einer Gabel abstechen – und geniessen.»

Wer hat's erfunden?
Wer die Cremeschnitte erfunden hat, ist nicht geklärt. Wahrscheinlich geht sie auf die Hochblüte der Bäckerkunst im Österreichisch-Ungarischen Reich des 19. Jahrhunderts zurück, gibt es sie doch auch in Varianten in Tschechien, der Slowakei, in Ungarn, Serbien, Rumänien, Österreich und Deutschland. Als «kremšnita» ging sie in die bosnische, kroatische und serbische Sprache ein. In die Schweiz kam die Patisserie wohl durch Wandergesellen, die die Idee mitgebracht hatten.