In den Ferien habe sie jeweils etwas Landluft schnuppern können, erzählt Cristina Colantuoni. «Unsere Verwandten in Italien hatten einen riesigen Garten und dort wurde auch mal ein Kaninchen fürs Nachtessen geschlachtet.» Die Tochter einer Urnerin und eines Italieners fühlte sich aber durch und durch als Städterin. Zumindest bis sie im Alter von 21 Jahren ihren heutigen Mann Sebastian Ineichen kennenlernte.
Mit ihm kam die Landluft zurück ins Leben der Luzernerin. Denn damals machte ihr Liebster auf einem Hof in Schötz (LU) ein Vorpraktikum zum Agronomiestudium an der HAFL. Nach dem Bachelor wollte sich Sebastian Ineichen mehr praktisches Wissen aneignen und absolvierte eine Lehre zum Biolandwirt auf dem Landwirtschaftsbetrieb der Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos (LU).
Damals war auch Cristina Colantuoni in der Ausbildung, sie machte eine Lehre zur Kleinkinderzieherin. «Für mich war früh klar, dass ich Kinder ins Leben hinein begleiten möchte», sagt die 40-Jährige. Einige Jahre später hängte sie ein Studium der Sozialpädagogik an. «Dass ich mit einem Landwirt zusammen war, erstaunte mein Umfeld, das passte so gar nicht zu meinem Lebensentwurf», erinnert sich die heutige Mitbewirtschafterin eines Gemüsebaubetriebs schmunzelnd.
Wie kräftezehrend die erste Zeit tatsächlich wird, habe ich mir nicht vorstellen können.»
Cristina Colantuoni über die Aufbauphase des Gemüsebetriebs.
Neues Leben auf neuem Hof
Als die junge Frau am Ende ihrer Ausbildung zum ersten Mal Mutter wurde, hatte das Paar seinen Lebensmittelpunkt noch in der Stadt. Als die Kinder Nummer zwei und drei das Licht der Welt erblickten, allerdings nicht mehr. Zwischenzeitlich hatte Sebastian Ineichen das Angebot bekommen, auf dem Ueli-Hof, hoch über der Bucht von St. Niklausen (LU), als stellvertretender Betriebsleiter zu arbeiten und mit seiner Familie dort zu wohnen. Seine Frau, die bis dahin in verschiedenen Kinderheimen tätig gewesen war, nahm nun eine 40-Prozentstelle in einem Schülerhort an.
Bei der jungen Familie hatte sich alles bestens eingependelt, könnte man meinen. Wäre da nicht Sebastians drängender Wunsch nach Selbstständigkeit gewesen. «Mein Mann schlug mir Höfe im Jura vor, die wir hätten übernehmen können. Für mich war es aber unvorstellbar, in diese Fremde und Abgeschiedenheit zu ziehen», erinnert sich die Innerschweizerin.
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Einen Anruf wagen
Und dann platzte unverhofft das Mattli ins Leben der fünfköpfigen Familie. «Wir fragten uns, was mit der brachliegenden Gemüsegärtnerei neben dem Schulhaus von Kastanienbaum LU wohl geplant war, und riefen kurzum die Besitzerin an», erzählt Cristina Colantuoni. Dann ging alles schnell, die Besitzerin, eine ältere Dame, zeigte sich begeistert vom Bewerbungsdossier des Paares und bot ihnen einen Pachtvertrag an.
«Im Januar 2017 stürzten wir uns mit ganz viel Motivation und Energie ins Abenteuer Gmües Mattli», erinnert sich die Frau mit den langen, lockigen Haaren. Dass es streng werden würde, den Betrieb wieder zum Leben zu erwecken, damit hatten sie gerechnet. «Doch wie kräftezehrend die erste Zeit tatsächlich wurde, hätte ich nie gedacht», sagt sie rückblickend.
Lichtblick und Weitblick
Beim Aufbau des zwei Hektar grossen Gemüsebaubetriebs sei sie an ihre Grenzen gestossen, sagt Cristina Colantuoni. «Die anstrengende Arbeit auf dem Feld und in den Gewächshäusern und parallel dazu drei kleine Kinder zu betreuen, laugte mich aus», resümiert sie. Ein Lichtblick tauchte mit dem Gemüsegärtner Peter Gisler auf, der zum Betriebsteam stiess. Dank ihm konnte die Sozialpädagogin einen 40-Prozent-Job in der Kinder- und Jugendsiedlung Utenberg annehmen. Dadurch hatte das junge Betriebsleiterehepaar zum einen etwas finanziellen Spielraum. Zum anderen brachte die externe Aufgabe Entlastung sowie Einblicke in eine neue Welt mit inspirierenden Inputs und mehr Weitblick, erzählt die 40-Jährige.
Neue Wege zum Erfolg
Während ihr Mann hinter der Entscheidung stand, dass sie wieder auswärts arbeiten geht, stiess dieser Entschluss in ihrem Umfeld anfangs auf Unverständnis. «Wieso gehst du in ein Kinderheim arbeiten, während euch auf dem Hof die Arbeit fast über den Kopf wächst?» «Diese Frage ist mir oft gestellt worden», sagt Cristina Colantuoni. «Doch für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen, ist wichtig.»
Das unkonventionelle Konzept bewährt sich: die Eheleute teilen sich ihren Topf voller Herausforderungen auf dem Hof, als Familie und mit externen Arbeitspensen. Jeder bringt sich dort ein, wo er seine Entfaltungsmöglichkeiten sieht.
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300 Gemüse-Abos
Während die Ineichen Colantuonis ihre ersten Salatköpfe per WhatsApp allen Bekannten anpriesen, dürfen sie heute wöchentlich über 300 Gemüse-Abos bereitstellen, die Luzerner Gastronomie beliefern und einen florierenden Hofladen führen. Und auch hier beschreiten sie neue Wege: jedem Gemüsekorb liegt ein Brief bei, in dem die Gemüsebauern ihrer Kundschaft landwirtschaftliche Themen näherbringen. Und stehen unbekannte Gemüsesorten im Angebot, wie beispielsweise Catalogna, werden auch mal Rezepte beigelegt.
«Die Mehrfachbelastung mit dem Gmües Mattli und externer Erwerbsarbeit ist eine Herausforderung – aber nach strengen Jahren können wir uns etwas mehr Freiheiten herausnehmen», sagt Cristina Colantuoni. Während einer verlängerten Mittagspause mit der Familie am See picknicken oder diesen Herbst das erste Mal, seit sie den Gemüsehof bewirtschaften, zwei Wochen am Stück in die Ferien fahren, das sind solche Privilegien.
Auf sich hören und sich dynamisch immer wieder neuen Lebenssituationen anpassen, so lautet das Erfolgsrezept der aufgestellten Familienfrau, Gemüsebäuerin und Sozialpädagogin.
Fragen an Cristina Colantuoni
Welches ist Ihre liebste Feriendestination?
Mich zieht es in den Norden, aber vorerst fahren wir in den Süden.
Gibt es ein Gemüse, das am Familientisch nicht gut ankommt?
Lauch bei den Kindern, aber wir Erwachsenen lieben ihn.
Geht’s im Sommer häufig für einen Schwumm in den nahen Vierwaldstättersee?
Auf jeden Fall! So viel wie möglich geniessen wir dieses Privileg.
Bleibt zwischen Hof, Familie und externer Arbeit Zeit für ein Hobby?
Ich tanze sehr gerne und habe vor Kurzem wieder mit einem Kurs begonnen.
Eher Frühaufsteherin oder Morgenmuffel?
Definitiv Frühaufsteherin mw