Sie hilft noch täglich im Alphaushalt und putzt das Käsekessi. Nur das Vieh zusammentreiben, das getraue sie sich nicht mehr, erzählt Anni Gisler, 89-jährig. Sie ist noch sehr rüstig, körperlich und geistig, und weiss viel zu erzählen. Zusammen mit Sohn Sepp und Schwiegertochter Anni ist sie auch dieses Jahr wieder auf der Alp, bereits zum 88. Mal. Die drei Enkelkinder von Anni Gisler sind bereits erwachsen, kommen aber gelegentlich zu Besuch.

Kaum geboren auf die Alp

Schon 1932, erst zwei Monat alt, wurde Anni erstmals mit auf die Alp genommen. Seither ging sie jährlich z Alp auf den Urnerboden, mit nur einem einzigen Unterbruch.

«Wir waren mit sehr wenig zufrieden.»

Anni Gisler zum einfachen Leben als Kind auf den Alpen.

Die Oberalp war zu Kindszeiten noch die elterliche Alp Wannelen ob Spiringen, südlich des Klausenpasses. 25 Sommer war sie dort, bis zur Heirat. «Ich wollte immer einen Bauern, Älpler und Schwinger, es hat geklappt», sagt Anni, inzwischen Witfrau. Die Oberalp ihres Mannes Sepp war dann Wängi, oberhalb des Urnerbodens. Hier ist Anni nun auch schon den 63. Sommer.

Es sei schon als Kind immer eine schöne Zeit gewesen auf der Alp. «Wir waren mit wenig sehr zufrieden.» Gespielt wurde mit Steinen, Tannzapfen, die «Bäbi» waren gefüllte, alte Socken. Auch das Essen war einfach, Milch, Brot und Käse. Gemüse oder Salat gab es kaum, ausser jemand brachte es hoch. «Manchmal brachte der Pöstler ein Kesseli mit Kirschen, von den Kuhbauern im Tal.» Damit das Kesseli nicht leer zurückgesandt werden musste, füllten es die Kinder mit Alpenrosen. Schon früh hatten die Kinder aber auch mitzuarbeiten, die Kühe von der Weide holen, «Anrüsten» oder beim «Anknen» helfen.

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Mühsames Zügeln

Das Mühsamste und Strengste sei jeweils das Zügeln gewesen, vom Tal auf den Urnerboden, dann auf die Oberalp, dann wieder zurück auf den «Bodä» und im Herbst ins Tal. Damals noch alles zu Fuss. Vor allem der bis zu sechsstündige Marsch vom Urnerboden auf Wannelen ist Anni geblieben, als die Kinder zusammen mit der Mutter die Schweine auf diese Oberalp trieben, während die Männer mit dem Rindvieh aufzogen. Erst in den 60er-Jahren wurde das Vieh erstmals mit dem Lastwagen zur Alp geführt. Und seit einigen Jahren ist selbst die Oberalp Wängi auf 1700 m ü.M. mit einer guten Forststrasse erschlossen.

Giftgranaten auf Kühe

Anni erinnert sich auch an negative Erlebnisse. Geblieben sind ihr die Vernebelungsversuche der Armee, welche auf den Urnerboden in den Kriegsjahren giftige Nebelgranaten aus der Luft abwarf. Eines Sommers habe sie drei Kühe, die fast erblindet seien, mit Schaum im Maul und mit versiegter Milchproduktion ins Tal treiben müssen. Eine Tortur. Lange seien von der Armee Zusammenhänge mit der Tiergesundheit geleugnet worden, der Landwirtschaftsdirektor und ein Tierarzt hätten sich vehement einsetzen müssen, damit die Bauern etwas entschädigt wurden.

Verändertes Wetter

«Ansonsten hatten wir aber immer viel Glück auf der Alp, kaum Unfälle mit dem Vieh, keine Krankheiten.» Feststellbar seien die Wetterveränderungen in den vergangenen Jahrzehnten, sagt Anni. Extremereignisse hätten zugenommen, die Sommer seien heute viel unbeständiger, waren früher viel konstanter, mit weniger Unwettern. Was macht den Reiz aus, jeden Sommer mit der ganzen Familie und den Tieren auf die Alp zu ziehen? Die Freude am Alpenleben habe sie von den Eltern vermittelt bekommen.

Ruhe in der Natur

Die Distanz und Ruhe, die Einfachheit, weg vom Alltag tue gut, sagen Anni Gisler und ihr Sohn Sepp übereinstimmend. So schätze man im Herbst, wieder zu Hause, den «Luxus» umso mehr. «Ich habe eben auch Freude an der Natur und den Tieren», ergänzt die 89-Jährige. Man sei mit der Alpung aufgewachsen, habe das im Blut, sagt Sohn Sepp. «Das Alpenleben ist wie ein Virus», fasst Anni zusammen. Die beiden Annis bleiben den ganzen Sommer hier, nur Sepp geht zum Heuen jeweils zurück auf den Heimbetrieb.

Heimbetrieb und Alp

Sepp und Anni bewirtschaften in Schattdorf den seit 1996 übernommenen Milchwirtschaftsbetrieb mit Aufzucht, rund acht Hektaren gross, mit 16 Kühen und sechs Rindern, arbeiten eng mit einem Neffen zusammen. Den Sommer über sind sie mit dem ganzen Bestand z Alp, dazu kommen dieses Jahr noch sechs «Zinskühe» aus Spiringen und einige Kälber zum Beweiden der «Planggen».

Er setze nicht auf Hochleistungskühe, die man «bäschelen» und zufüttern müsse, sagt Sepp. Schwere Tiere seien für solche Alpen auch weniger geeignet. Die Alpen um den Urnerboden werden seit Jahrzehnten von den gleichen Familien bewirtschaftet. Auf dem Urnerboden und auf Wängi haben Gislers Platz für 22 Kühe, die Auffuhr ist nach Triebrechten festgelegt.

100 Tage Sömmerung

Insgesamt 47 Älplerfamilien verbringen den Sommer auf den Alpen um den Urnerboden, welche der Korporation Uri gehören. Die Alpung auf der grössten Schweizer Kuhalp mit rund 1000 Kühen ist streng geregelt. Gislers sind zuerst vier Wochen auf dem Urnerboden, wechseln dann auf die obere Alp Wängi für sieben Wochen, kehren dann im Herbst nochmals für drei Wochen auf den Urnerboden zurück, bevor das Vieh wieder ins Tal zieht. Rund 100 Tage dauert die Sömmerungszeit, in den letzten Jahren habe die eher früher begonnen, so um den 10. Juni, sagt der 60-jährige Sepp. Es gab auch Jahre, wo je nach Schnee erst gegen Ende Juni aufgetrieben werden konnte.

Käse selber vermarkten

Die Milch vom Urnerboden wird an die dortige moderne, grosse Alpkäserei geliefert und zu Spezialitäten verarbeitet. Auf der Oberalp Wängi wird aber seit jeher selber gekäst, seit 1998 im neuen Alpgebäude.

Das Käsen ist Sache von Schwiegertochter Anni, wobei Schwiegermutter Anni gerade bei der Reinigung täglich mithilft. Verarbeitet werden auf Wängi rund 300 Liter täglich, daraus macht Anni vier Käse, je rund 6,5 kg schwer. Der gesamte Käse wird selber vermarktet.