Womit drohen Eltern im bündnerischen Fläsch, wenn sie ihren Kindern beim Zubettgehen mit dem «Schnurrfuggs» oder dem «Stübifuggs» Beine machen wollen? Und weshalb sprechen manche von «fäärn», wenn sie nicht die Ferne, sondern das letzte Jahr meinen? Wer Antworten auf solche Fragen sucht, findet diese mit hoher Wahrscheinlichkeit im schweizerischen Idiotikon.

Kulturelle Schatzgrube

Das Idiotikon ist ein gross angelegtes Wörterbuch, das dem aktuellen und dem historischen Wortschatz des Schweizer-deutschen gewidmet ist. Der erste Band wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts publiziert– heute ist schon der 17. Band in Bearbeitung. Erstellt wird das gewaltige Werk von einem vielköpfigen Team aus Sprachforscherinnen und Dialektologen. Der Name «Idiotikon» leitet sich vom griechischen idios (privat, eigen) ab. Damit werden Wörterbücher bezeichnet, die den «eigentümlichen» Wortschatz einer grösseren Gegend abbilden.

Um eine Sprache zu erforschen, ist ein breites Fachwissen nötig. Der Expertengruppe um Chefredaktor Hans Bickel stellen sich bei ihrer Arbeit nämlich nicht nur sprachwissenschaftliche Probleme. Die Beschäftigung mit historischen Wörtern erfordert viel theoretisches Wissen aus verschiedenen Disziplinen, aber auch gewisse grundlegende Kenntnisse über die Landwirtschaft oder das Handwerk.

Kein leichter Stoff

Als langlebiges, umfassendes und komplex aufgebautes Nachschlagewerk bietet das Idiotikon eher eine Basis für weitere wissenschaftliche Forschungen, als Lesestoff für einen regnerischen Sonntagnachmittag. Für Abhilfe sorgt das Team, welches das Wörterbuch am gleichnamigen Institut betreut, gleich selber.

In verschiedenen Formaten erklären die Fachleute das Wissen, das im Idiotikon steckt. Beim Schweizer Radio SRF können die Zuhörerinnen sich etwa die Herkunft und die Bedeutung ihrer Familiennamen erklären lassen. Auch auf ihrer Website machen die Redaktorinnen und Redaktoren allen Interessierten das Idiotikon in leicht verdau-licher Form zugänglich. Inden monatlich erscheinenden «Wortgeschichten» erklären sie mit einigem Witz allerlei kuriose Wörter und interessante (sprach)geschichtliche oder dialektale Zusammenhänge.

Umziehen oder Zügle?

In der jüngsten «Wortgeschichte» hat sich Redaktor This Fetzer mit dem schweizerdeutschen «zügle» befasst. Dabei zeigt er auf, dass der Begriff «zügle» für den Wohnungswechsel schweizweit noch gar nicht so lange gebräuchlich ist. Im Schweizerdeutschen Sprachatlas (siehe Kasten) hat Fetzer vor allem in der Ost- und Zentralschweiz sowie im Wallis verschiedene andere Wörter für den Umzug ­gefunden. Wörter wie etwa püntele, das im unteren St. Galler Rheintal bis etwa 1950 im Gebrauch belegt ist, eröffnen einen Blick in eine Zeit, Hab und Gut zu Bündeln verschnürte, statt es in Koffer zu packen. «Zügle» entstammt der Alpwirtschaft des 17. Jahrhunderts. Es ist im Berner Oberland im Rahmen des saisonalen Umzugs vom Tal über Vorsasse auf die Alpen und zurück entstanden, wo man Haushalt und Viehhabe, den «Zügel», mit sich führte. Seit der Begriff in der Region etwa ab 1650 auch den Wechsel des festen Wohnsitzes mit einschloss, hat er sich in der Deutschschweiz langsam immer weiter verbreitet.

Das Idiotikon ist online zugänglich: www.idiotikon.ch

 

Wie sagt man dem in...?

Bschütti, Lutze, Lache, Mischtbrüe, Gülle – je nach Dialektregion bezeichnet man die Stalljauche mit einem anderen Namen. Das Gleiche gilt für eine Vielzahl von anderen Dialektwörtern. Der Kleine Sprachatlas der deutschen Schweiz (KSDS) bildet diese dialektale Vielfalt auf 121 übersichtlichen Karten ab. Jede dieser Karten wird mit einem Kommentar beschrieben, der Auskunft über die Geschichte und Herkunft der einzelnen Wörter gibt.

Der leserfreundlich gestaltete KSDS basiert auf den Daten des Idiotikons und vor allem des Sprachatlasses der deutschen Schweiz (SDS), der über 1500 Dialektkarten enthält. Im Gegensatz zur grossen punktet die kleine Ausgabe mit grösserer Zugänglichkeit und handlicherem Format. Seit 2019 kümmert sich das Team des Idiotikons um die Website, die den KSDS erweitert, der mittlerweile in der 7. Auflage vorliegt.