Abo «Ich weiss, wer meinen Wein trinken wird und kann der Kundschaft direkt dessen Geschichte erzählen»: Blaise Hofmann in seinem Rebberg in Villars-sous-Yens VD, im Hintergrund sein Elternhaus. Landwirtschaft und Gesellschaft «Die stete Kritik ist hart für die Bauern» Sunday, 6. October 2024 Die Firma Sativa in Rheinau im Zürcher Weinland setzt auf Vielfalt und Saatgut ist ihre Handelsware. Der Katalog ist 185 Seiten dick, das Sortiment umfasst über 700 Sorten, allein an Tomaten stehen 52 verschiedene zur Auswahl. Was alles in heimischen Gärten wachsen kann, zeigt der Bio-Saatgutproduzent jeweils Anfang September an einem grossen Ausstellungsmarkt mit dem Namen «1001 Gemüse». «Wir wollen die Leute bei der Freude an Farben und Formen abholen und die Neugier auf unbekannte Sorten wecken», erklärt Geschäftsführer Amadeus Zschunke.

Vor der Halle neben dem schicken neuen Verwaltungsgebäude der Sativa hat ein Biobauer aus der Region grosse Kisten voller Kleesamen angeliefert. Sie werden gewogen, anschliessend wird ihr Inhalt gereinigt und sortiert. Im Moment sind die Sortiermaschinen aber noch mit zentnerweise rötlich-braunen Randensamen beschäftigt. Das Gemüse gibt es bekanntlich nicht nur in rot, sondern auch mit gelbem, weissem oder rot-weiss geringeltem Fruchtfleisch.

Hauptsaison ab Ende August

Sativa hat sie alle im Sortiment und gibt die Saatgutproduktion in Auftrag. Ab Ende August liefern täglich Bio-Vertragsbauern ihre Samenernte an, die Hauptsaison ist angelaufen. Proben der Randensamen-Lieferungen kommen ins Labor und werden dort auf ihre Keimfähigkeit getestet. In genau eingestellten Kühlschränken stehen dort reihenweise Glasschalen, mit blauem Filzstift beschriftet: Auch Rucola, Kohlsorten und Tagetesblumen treiben dort feine Keime.

Abo Symbolbild: ein Weizenfeld im Abendlicht. In den Geschichten des Alten und des Neuen Testaments spielt die Landwirtschaft eine grosse Rolle.  Landwirtschaft und Gesellschaft Die Bibel und die Bauern Wednesday, 9. October 2024 Ist der Anteil der keimfähigen Samen zu klein, werden die Lieferungen noch einmal gereinigt und sortiert. Grundsätzlich gilt: Je schwerer die Körner sind und je näher sie an die durchschnittliche Grösse heranreichen, desto keimfähiger sind sie und entsprechend wertvoller. Deshalb werden kleine und ganz grosse Samen aussortiert und kommen in die Biogasanlage.

Auf einem Hektar Randen lassen sich 300 bis 500 Kilo Samen ernten. Und 10 bis 13 Kilo reichen, um einen Hektar Randen anzusäen. Rein rechnerisch könnte man also den Ertrag Jahr für Jahr verfünfzigfachen. Das ist das Wundersame am Samen; er ist das Mittel zur Vermehrung. Und nicht erst seit Kolumbus losgeschickt wurde, um neue Kontinente und ihre Nutzpflanzen zu erforschen, sind Saatgutsamen auch eine wertvolle Handelsware. So kostet etwa ein Kilo des sehr feinen Samens der Stevia-Pflanze, die als Süssstoff gefragt ist, mehr als 30 000 Franken das Kilo.

Der Anfang der Produktion

An einem Marktstand von «1001 Gemüse» in Rheinau können die Besucherinnen und Besucher Winterweisserbsen in die Erde setzen, versehen mit Wünschen auf Zettelchen. «Ein Same ist ein Vorschlag an das Schicksal. Ein Vorschlag für eine neue Welt», heisst es in der Anleitung dazu. Jedes Samenkorn sei ein Schatz, in dem die Information für Wurzeln, Blätter, Zweige, Blüten, Erbsen, mehr Pflanzen, ja für ganze Ökosysteme stecke. «Was für eine Welt würdest du gern wachsen lassen?», fragt etwa das Erbsenkorn.

[IMG 2] «Das Saatgut ist matchentscheidend», sagt Amadeus Zschunke. «Der Samen ist der Anfangspunkt und zugleich die Achillesferse aller landwirtschaftlicher Produktion.» Ob Stärkeproduktion für die Industrie oder Tierernährung – alles starte mit dem Samenkorn. Auch unser Essen, das gesund sein solle, vielseitig und schmackhaft.

«Wir ernten, was wir säen, darum brauchen wir Saatgut, das die Welt in die richtige Richtung entwickelt. Wir leben ja in verschiedener Beziehung völlig über unsere Verhältnisse», erklärt der Sativa-Chef Zschunke weiter. «Wir müssen daher Sorten züchten, die uns dabei helfen, besser im Einklang mit der Schöpfung zu leben.» Das gelinge etwa mit Sorten, die genügsamer seien, mit weniger Input auskämen. «Mit weniger Dünger zum Beispiel, denn Dünger ist Energie.»

Züchten für die Schöpfung

Oder mit weniger Pestiziden. Oder Sorten, die mit den veränderten Klimaverhältnissen besser zurechtkämen. Daran arbeite die Sativa mit ihren biodynamischen Pflanzenzüchtungen seit 26 Jahren. «Als Gesellschaft täten wir gut daran, wenn wir uns des Werts der Vielfalt bewusst wären und sie förderten, statt sie mit Gentechnik und intensiven Monokulturen zu reduzieren.

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Die Sativa stellt sich auch gegen die Patentierung von Saatgut, wie sie viele grosse Saatgutproduzenten und Gentechfirmen betreiben. «Die Vermehrung und Selbstnutzung sollte ein Grundrecht der Landwirte sein», so Amadeus Zschunke. Deshalb erlaubt die Sativa den Kunden, das Saatgut für den Eigengebrauch selbst nachzuziehen.

Der Autor Christian Keiser ist Redaktor bei der Zeitung «reformiert.» in Zürich.

Dies ist einer von vier Artikeln rund ums Stichwort «Ernte». Für dieses Thema arbeiteten die Redaktionen der BauernZeitung und der Zeitung «reformiert.» zusammen.