Sie hiessen Haldimann, Hadorn, Gerber, Klötzli, Schürch, Wüthrich oder auch Fankhauser – im 18. Jahrhundert war die Blütezeit des Küherwesens im Kanton Bern. Vor allem im Emmental, im Deutschfreiburgischen oder auch rund um Château-d’Oex und Rougemont VD gab es die Küher, Nomaden, welche keinen Hof, sondern nur Vieh besassen. Im Frühling zogen sie jeweils mit ihrem Hab und Gut auf die Alpen der Landvögte und Adeligen und produzierten dort oben Käse, Butter und Milchzucker. Im Winter hausten die «Chüjer» mit ihrem Vieh dann unten im Tal und kauften den Bauern ihre Heustöcke ab.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb im bernischen Mittelland der Kornanbau im Vordergrund. Selten standen mehr als vier bis fünf Kühe im Stall eines Grossbauern. Das hügelige Emmental war jedoch prädestiniert für die Viehzucht. Beidseitig der oberen Emme und auf dem Napf-Massiv, in einer Höhe zwischen 900 und 1500 Metern über Meer, gab es damals rund 280 Emmentaler Alpen.
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Über den Schallenberg
Im Buch «Das altbernische Küherwesen», das 1991 erschienen ist, beschreibt Rudolf J. Ramseyer, wie das Küherwesen seine Blütezeit erlebte und wie diese Hirtenkultur ihren Niedergang fand. Die Hauptrouten, über welche die Küher mit ihrem Vieh im Frühling immer bergwärts und im Herbst heimwärts zogen, führten aus dem Aaretal ostwärts entweder über den Schallenberg ins Schangnauergebiet oder über Linden-Schindellegi auf die Eggiwiler Alpen. Von den Alpen im Trub zogen die Küher im Herbst der Emme nach abwärts in die flacheren Gebiete des Unteremmentals und weiter in das bernische Mittelland bis hin zum Jura.
Jeweils drei Küher aus dem Gebiet der Schrattenfluh vereinigten sich im Herbst und zogen mit ihren Herden von über 200 Stück Vieh zum Überwintern bis ins Freiburger Gebiet. Dabei wurde auf diesem Weg zwei- bis dreimal übernachtet, bis man am Ziel angekommen war – immerhin waren das zwischen 60 und 90 km Fussmarsch. Der Alpaufzug im Frühling folgte immer einem Ritual: An einem Mittwoch zog man nie auf den Berg. Den der Mittwoch sei kein Tag, schon dem Namen nach, das würde nur Unglück bringen. An diesem Tag lasse sich nichts fixieren, und weil Judas den Herrn an einem Mittwoch verraten hat, behalte der Teufel seine Macht und würde an diesem Tag sicher eine Kuh während der Alpauffahrt töten, glaubte man.
Grosse Alpen
In der Blütezeit der Küher gab es rund um Langnau zwölf Sennereien, rund um Trub waren es deren 20; im Lauperswilviertel waren neun Sennereien angesiedelt, im Schangnau 23, in Röthenbach 15 und rund um Eggiwil sogar deren 26. Die grössten Alpen hiessen Hinterarni mit 136 Kuhrechten, Lüderen mit 100 Kuhrechten, die Risisegg im Trub mit 72 Kuhrechten, Hinter- und Vorder Naters in Röthenbach, die Wimmisalp und Lochseite im Schangnau oder Längfeld, Rämisgummen oder der Innenberg im Eggiwil, die jeweils mehr als 60 Kuhrechte aufwiesen.
Im Stöckli überwintert
Im 18. Jahrhundert versuchten die Küher, als Selbstständigerwerbende ihren Gewinn zu steigern, indem sie ihre Herden vergrösserten. Ihr Einkommen erzielten sie vor allem aus dem Verkauf ihres Käses, der im Ausland immer beliebter wurde. Wenn die Kuhherde zu gross war, mussten die Küher im Winter diese auf verschiedene Ställe aufteilen und von Knechten betreuen lassen. Oder sie mussten in den Wintermonaten mehrmals weiterziehen, wenn beim Talbauern der Heustock «weggefressen» war. Als Wohnung für die Küher diente auf den grossen Höfen ein sogenanntes Küherstöckli. Der Küher bezahlte dabei für seinen Aufenthalt und für das Heu in Raten, er lieferte Butter, Magerkäse und Fettkäse oder gab Kleinvieh und Kälber an Anzahlung.
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Ein harter Kampf
Doch immer wieder mussten sich die Küher ihre errungene Stellung in drei Richtungen behaupten. Es war ein Kampf mit den Alpbesitzern um die Höhe des Zinses, ein Kampf mit den Bauern um den Futterpreis und ein Kampf mit den Käufern ihrer Milchprodukte. In dieser Zeit wurde mit «Klafter» gerechnet. Man rechnete fünf Klafter Heu pro Kuh und Winter. Ende des 18. Jahrhunderts kostete ein derartiges Klafter Heu rund sechs Kronen. Für eine Herde von 50 Kühen hat demnach der Küher 1500 Kronen (oder in den Kaufwert vom Jahr 1950 umgerechnet) sagenhafte 30 000 Franken zu bezahlen. Diese Summe zeigt, welche Bedeutung der Küher für den Bauernhaushalt hatte. Wie brachten die Küher aber diese Unsummen von Geld zusammen? Der Erlös aus dem Verkauf ihres Käses brachte den Kühern im 18. Jahrhundert eine wirtschaftliche Blütezeit, Reichtum und Ansehen. Sie haben die Lab-Fettkäserei zwar nicht erfunden, wohl aber unter Anleitung von Sennen aus dem Welschland, die im oberen Saanetal hausten, verbessert. Der Export von Käse steigerte sich so von Jahr zu Jahr.
Herstellung von Milchzucker
In den Revolutionsjahren des 18. Jahrhunderts und im ganzen 19. Jahrhundert blühte die Milchzuckerfabrikation. Dabei entwickelte sich Marbach LU zum wichtigsten Ankaufszentrum des Alp-Milchzuckers und ebenso wichtigsten Ausgangspunkt des Versands nach Europa und Übersee. Auch die Sennen aus dem Schangnauer- und Entlebuch-Gebiet führten im 19. Jahrhundert ihre gefüllten Zuckersäcke nach Marbach. Als Nahrungsmittel eignete sich der Milchzucker nicht besonders, sondern er diente damals in erster Linie der Medizin. Die Herstellung von Milchzucker ist denn auch simpel: Wenn der Käsestoff und das Fett aus der Milch entfernt sind, bleibt der Zuckersand nach Verdampfen der Schotte als Rückstand im Käsekessi übrig.
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Viel Geld damit verdient
Niemand war also besser imstande, Zucker zu sieden, als der Küher. Bei einer Herde von 50 Kühen, die täglich 600 bis 700 kg Milch lieferten, entstand ein Fettkäse von zirka 60 kg und ein Zigerstock von zirka 6 kg. Die übrig gebliebene Schotte enthielt somit noch 10 bis 12 kg Milchzucker. In den 1860er-Jahren kosteten 50 kg Milchzucker im Durchschnitt rund 120 bis 160 Franken (in heutige Schweizer Franken umgerechnet). Um 1880 herum waren es schon 200 Franken und mehr, was den Kühern damals zu Reichtum verhalf.
Unrentable Kühe
Wie die Berner Oberländer auch, züchteten die Emmentaler im 16. und 17. Jahrhundert Vieh, das ihnen von italienischen Händlern abgekauft wurde. Doch im 18. Jahrhundert verlor das Emmental seine Bedeutung als Viehzuchtgebiet. Die steigenden Käsepreise und die immer besser werdenden Exportmöglichkeiten nach Frankreich und in das deutsche Reich spornten die Küher zur ausgiebigen Fettkäserei an. Sie verkauften deshalb unrentabel gewordene Kühe, zogen selten Kälber auf und ergänzten den Bedarf an ausgewachsenen Tieren aus dem Berner Oberland – um möglichst alle Milch der Käseproduktion widmen zu können. Doch auch die Talbauern witterten damals ein Geschäft und verlangten für ihre Heustöcke immer mehr Geld von den Kühern.
Viele Dorfkäsereien
Schon 1817 hatten die Küher Mühe, die benötigte Anzahl von Kühen aufzutreiben, um die Alpen zu besetzen. Auch die Dorfkäsereien entzogen dem Alpvieh das Winterfutter. Der Untergang der Küher war denn auch vor allem den Talkäsereien geschuldet: So wurde im Kanton Bern die erste Gemeinschafts-Talkäserei im Jahr 1815 in Kiesen gegründet. 1822 folgte die zweite in Wangen. Auch in den Neuenburger Bergen oder im Waadtland hatte bald jedes Dorf seine Käserei. Hingegen verharrte das bernische Mittelland noch längere Zeit beim Getreideanbau.
Der Untergang der Küher
1840 bestanden aber schon 120 Dorfkäsereien, 1883 waren es bereits deren 639. Der Ruhm des «Emmentaler Käses» wurde in die ganze Welt hinausgetragen. Allein die guten Exporterfolge, verbunden mit steigenden Käsepreisen, förderten die Milchwirtschaft im ganzen Berner Mittelland. Die Talbauern begannen, selber Kühe zu halten, und die Küher verarmten wegen der hohen Heupreise. Sie wurden zwangsläufig zu Ackerbauern, Viehzüchtern im Tal oder ihre Alpbetriebe wurden zu Ganzjahresbetrieben umgewandelt.