Der Heinzenberg ist in Wolken gehüllt, das Postauto kurvt vorsichtig die Strassen hoch. An der Haltestelle im bündnerischen Urmein wartet bereits Regula Caviezel. Bis zu ihrem Haus sind es nur wenige Schritte. Dicke Flocken fallen vom Himmel, unter den Schuhen knirscht der Schnee. Hier in den Bergen ist es richtig Winter.

Zwischendurch Zeit haben für die Muse

Im alten Bauernhaus mit den dicken Mauern ist der Holzofen eingeheizt, es ist gemütlich warm. Nur die Katzen wissen nicht so recht, was sie wollen, warten mal vor, mal hinter dem Fenster auf Einlass, während Regula Caviezel erzählt. 

Sie lebt seit rund 50 Jahren mit ihrem Mann Paul in dessen Elternhaus. Ihn hatte sie kennengelernt, als sie während der Ausbildung zur Kindergärtnerin für ein Praktikum in die Gegend zog. Sie heirateten und bewirtschafteten gemeinsam den Bergbauernbetrieb mit Mutterkühen. Die drei Kinder, längst ausgezogen, sind hier aufgewachsen. Vor einigen Jahren hat Sohn Cico den Betrieb übernommen. 

«Als Bäuerin arbeitete ich jeden Tag viele Stunden im Stall und hatte kaum Zeit für anderes», erzählt Regula Caviezel. «Im Winter jedoch habe ich schon früh begonnen, etwas für mich selbst zu tun.» Sich Zeit nehmen für schöne Dinge – das kannte die Thurgauerin von ihrem Elternhaus her. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Frauenfeld auf einem Bauernhof, mit einer Mutter, welcher Konzerte, klassische Musik und Literatur wichtig gewesen waren. 

Weben, Malen und Schreiben

So begann Regula Caviezel schon als Kind, Querflöte zu spielen. Zudem lernte sie während einem Haushaltslehrjahr weben, eine Tätigkeit, die sie seither durchs Leben begleitet. Am Webstuhl sind über die Jahre zahlreiche Bilder entstanden, derzeit webt die heute 70-Jährige vor allem Tücher. Mit dem Malen von Acrylbildern ist das Erschaffen von Bildern für sie weiterhin ein wichtiges Thema geblieben. Aktuell organisiert sie eine Gruppenausstellung in der Dorfkirche.

Nach einem Unfall vor fast 20 Jahren musste Regula Caviezel viel Zeit liegend verbringen und konnte kaum etwas verrichten. In dieser Lebensphase begann sie zu schreiben. Zuerst kurze Texte, dann immer häufiger ganze Geschichten. Sie probierte aus, schrieb auf, was ihr in den Sinn kam. Mit der Zeit wurde das Schreiben zu einer regelmässigen Tätigkeit. Dazu hat Regula Caviezel am Vormittag am meisten Musse. Dann sitzt sie in der Stube vor dem Computer und ist ganz bei der Sache: «Das Schreiben ist ein Geschenk. Vor allem, wenn es fliesst und sich die Texte von alleine entwickeln», erzählt die Bäuerin. «Die Geschichten plane ich nicht im Voraus, im Geist tauchen Figuren auf und die Ideen kommen fortlaufend hinzu.» 

Die Natur ist eine wichtige Inspirationsquelle

Eine wichtige Inspirationsquelle für Regula Caviezels Geschichten ist die Natur. Zum Beispiel ihr Kräutergarten, der zurzeit unter einer dicken Schneedecke liegt. So spielt etwa der Blutweiderich, eine Wildstaude mit dunkelrosa Blüten, in ihrem aktuellen Buch eine wichtige Rolle. Im ersten Roman «Silberne» war es die Blindschleiche, die immer wieder auftaucht. «Ich treffe in meinem Garten oft auf Blindschleichen», sagt die Naturliebhaberin. «Es sind schöne Tiere, und sie schauen einen mit ihren Äuglein direkt an.» Auch Caviezels über 400-jähriges Bauernhaus kommt in ihren Geschichten in abgewandelter Form immer wieder vor. Es fasziniere sie, dass man sich hinter dem Kartoffelkeller noch mehr Räume und Keller vorstellen kann, wo es immer noch weiter geht, und wer weiss, was sich dahinter verbirgt? 

Charakteristisch für ihre Texte ist auch, dass sie darin immer wieder Fantasie und Träume ins Geschehen einwebt. Nachdem Regula Caviezel vor einem halben Jahr den zweiten Roman «Blutweiderich» veröffentlichte, wäre sie nun eigentlich viel unterwegs an Lesungen, die nun aber aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden können. 

Als Buchautorin aufzutreten ist nicht neu für sie: Bereits zuvor waren zwei Werke erschienen, ein Roman sowie ein Buch mit kurzen Texten und Erzählungen. «Ich hätte noch mehr Texte in der Schublade bereit», sagt die Schriftstellerin. Rückmeldungen aus ihrer näheren Umgebung erhält sie nicht viele. Das sei ihr auch nicht wichtig, sagt Caviezel. Sie freue sich, wenn ihre Bücher wahrgenommen werden, dies auch gerne von Leserinnen und Lesern, die sie nicht kennt.

Der Roman «Blutweiderich»

Nesa lebt seit vielen Jahren in der Stadt, in einem Glashaus, zusammen mit ihrem gewalttätigen Ehemann. Eines Tages erhält sie einen Brief, in dem steht, dass sie das Elternhaus in den Bergen geerbt habe. In dem Bergdorf hat sie ihre ersten Lebensjahre verbracht, bis zum Unfalltod ihrer Eltern. Danach folgte eine schwierige Jugend bei Tante und Onkel und später auswärts. Das Dorf ihrer Kindheit rückte weit weg. [IMG 2]
Die Nachricht ist für Nesa ein Befreiungsschlag. Als sie schliesslich in das alte Haus mit den vielen Geheimnissen zurückkehrt, kommt sie immer mehr wieder zu sich selbst. Sie legt einen Kräutergarten an und erkundet die Pfade und Wälder der Umgebung. Dabei lernt sie einen Mann mit einem hässlichen roten Bart kennen. Nesa weiss nicht so recht, wie sie ihn einschätzen soll. Schliesslich ist sie fasziniert von ihm, auch Ängste tauchen auf, weitere Begegnungen folgen ...Regula Caviezels zweiter Kurzroman ist so temporeich erzählt wie der erste. Das Geschehen fliesst durch die Sätze und die Geschichte, die aus der Sicht der Protagonistin Nesa erzählt wird, entwickelt sich laufend. Immer wieder tauchen auch mystische Gegenstände auf, etwa die Klauen eines Hahnes. Auch Pflanzen sind wichtig, so etwa der Blutweiderich. Dabei wechselt das Geschehen zwischen Realität und Traum hin und her, vieles ist möglich, lässt sich erahnen.

«Blutweiderich», Regula Caviezel, Antium Verlag, 2021. 128 Seiten, Fr. 21.50.
Frühere Werke: «Die Silberne» (2020) und «Gletscherströme» (2013).

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Vielen Dank für Ihr Interesse. Einsendeschluss für unseren Wettbewerb war der 24. April 2022. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden in der BauernZeitung vom 29.April veröffentlicht. Die Vorstellungen finden ab dem 6. Mai 2022 statt.