Die acht Monate alte Myka strahlt: Am Hals ihres Vaters hat sie etwas entdeckt, das sie unbedingt betasten möchte. «Die Ohrstöpsel mal wieder», grinst ihr Vater Philip Reed, während er den Gehörschutz unter dem Shirt verschwinden lässt.

Der Amerikaner arbeitet auf dem Kalberweidli-Hof in Trachslau SZ bei Einsiedeln. Zudem bringt er mit wöchentlichen Dokumentar-Videos auf Youtube der Welt die Eigenheiten der Schweizer Landwirtschaft näher. Die Kurzfilme sind auf Englisch, aber mit deutschen Untertiteln hinterlegt.

In Griechenland kennengelernt

Von Haus aus ist Philip Reed ausgebildeter Rettungssanitäter. 2018 reiste er nach Griechenland, wo er im Rahmen eines Freiwilligenprojekts in einem Flüchtlingscamp Erstehilfekurse gab. Dort lernte er die Schweizerin Laura kennen, die ebenfalls ehrenamtlich vor Ort arbeitete. «Die Schweiz stand eigentlich nicht auf meinem Plan», erzählt er.

Doch die beiden verliebten sich, kamen in die Schweiz und heirateten. Nach Trachslau verschlug es das Paar, da Lauras Grosseltern dort ein Haus hatten, gleich neben dem Kalberweidli-Hof. «Ich war als Kind in den Ferien oft hier und ging gern auf den Hof, um mitzuhelfen», erinnert sich Laura Reed.

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Langatmiger Deutschkurs

Für Philip Reed war die erste Zeit in der Schweiz nicht einfach. Denn ohne Deutschkenntnisse auf hohem Niveau konnte er nicht in seinem Beruf arbeiten. «Doch der lange Deutschkurs wirkte lähmend auf mich», sagt der 31-Jährige, für den es als Rettungssanitäter schwer war, Tag für Tag an einem Tisch über den Büchern zu sitzen. Er suchte nach Alternativen – und Erich Betschart vom Kalberweidli-Hof nach einem Teilzeitangestellten. «Aber jemand, der zu uns passt», erklärt der Landwirt.

Vielseiteiger Hof

Erich und Barbara Betschart bewirtschaften den Kalberweidli-Hof in vierter Generation. Zum Hof gehören 48 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, eine Alp mit 27 Stössen, 30 Mutterkühe und 50 Schafe sowie weitere Tiere. Barbara Betschart betreibt zudem an vier Vormittagen eine Bauernhof-Spielgruppe. «Wir sind offen für Neues, probieren vieles aus», erklärt sie. «Das geht nicht mit jedem Mitarbeiter.»

Mit Händen und Füssen

Mit Philip Reed passt es, er ist seit März 2020 zuerst in Vollzeit, inzwischen noch zwei Tage pro Woche auf dem Hof tätig. Zwei weitere Tage kümmert er sich um Tochter Myka. Da er in der ersten Zeit kaum Deutsch konnte und Erich Betschart kein Englisch, verständigten sich die beiden mit Händen und Füssen. «Es klappte irgendwie immer», erinnert sich der Landwirt mit einem Schmunzeln.

Einblicke geben

Ein Tag pro Woche ist bei Philip Reed für die Produktion der Youtube-Videos reserviert. Bei den Drehs unterstützen ihn die vier Söhne der Familie Betschart oft mit Begeisterung. «Sie sind manchmal mein Kamerateam», erzählt der Teilzeitangestellte, der im US-Bundesstaat New Hampshire auf einer Hobby-Farm aufgewachsen ist. Aber auch den Eltern Betschart gefällt das Projekt. «Viele wissen auch in der Schweiz kaum etwas über die reale Landwirtschaft», sagt Erich Betschart. «Philips Videos geben Einblicke und bieten Erklärungen.»

Pro Woche schaltet Philip Reed ein neues Video auf. In seinen Doku-Kurzfilmen zeigt er sich und Familie Betschart bei Arbeiten wie Zäunesetzen, Misten, Heuen. Er erklärt den Zuschauern aber auch, was Öko-Heu ist und was es mit «Miss Einsiedeln» auf sich hat. Warum es in der Schweiz manchmal so nach Gülle stinkt und es so viele Traktoren gibt. Oder warum offenbar alle Bauern zur gleichen Zeit mähen. «Die Schweiz wird geschoren wie ein Schaf», sagt der Filmer in einem seiner Videos dazu.

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Publikum im In- und Ausland

Das Zielpublikum der Videos seien Menschen, die keine Ahnung von der Landwirtschaft haben, sagt Philip Reed. «Ich will reale Geschichten erzählen.» Hinter jedem Kurzfilm stecken zehn bis fünfzehn Stunden Vorbereitung. Neben dem Internet als Recherche-Quelle liest der 31-Jährige seit Kurzem auch die BauernZeitung, um Hintergrund-Informationen zu erhalten.

Passende Weiterbildung gesucht

Myka schlummert mittlerweile zufrieden in der Babytrage am Bauch ihrer Mutter. «Philip ist fasziniert von der Landwirtschaft und möchte mehr darüber lernen», sagt Laura Reed, die Teilzeit im Projektmanagement einer Versicherung arbeitet. Aber eine familienkompatible Aus- oder Weiterbildung zu finden, ist nicht einfach.

Philip Reed ist in der Schweiz angekommen, doch so manches im Heimatland seiner Frau bleibt ihm ein Rätsel. Etwa die vielen Flurnamen rund um den Kalberweidli-Hof. Oder warum auf den Strassen immer wieder andere Geschwindigkeitsbegrenzungen angegeben sind. Die Arbeit als landwirtschaftlicher Angestellter gefällt ihm, vor allem, wenn Maschinen an Steilhängen zum Einsatz kommen, doch er hat auch Respekt davor. «Als Rettungssanitäter weiss ich, was passieren kann.»

Der Youtube-Kanal von Philip Reed