Nach der anfänglichen Verharmlosung und Romantisierung der Lebensmittelverarbeitung verblasst der Nestlé-Nachgeschmack allmählich. Der Sponsor der Alimentarium-Stiftung wird von einer Mischung des Geruchs aus gebratenem Fisch und geschmolzener Schokolade verdrängt. Diese ungewohnte Mischung wird später von fauligen Kompost-Dämpfen ersetzt. Bis zum Verlassen des Gebäudes wird man nicht schlau, woher der Geruch stammt. Wahrscheinlich soll er lediglich für das Ekel-Feeling des Besuchs sorgen.

Ziel: Den Ekel überwinden

Nebst dem Ekel auf die Schliche kommen, will die Ausstellung darauf aufmerksam machen, wie viel Essen wir wegen dem Widerwillen nicht konsumieren. «Wenn man sich vor weniger Sachen ekeln würde, hätte man weniger Food Waste und wir würden unsere Ökobilanz verbessern – Stichwort Insekten, Rinderzunge, Innereien und Co.», heisst es auf einer Infotafel.  Ein weiteres Plakat verweist auf moderne Köche, die sich mit der vollständigen Verwertung von Lebensmitteln und Tierteilen befassen. «Um den Ekel zu überwinden, müssen wir verstehen, wie er funktioniert. Nur dann können wir anstehende Ernährungs-probleme in Angriff nehmen», heisst es auf der Infotafel. Es stellt sich heraus, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Ekel ist nämlich eine bewusste, aber unkontrollierbare Reaktion, die heftige Ablehnung auslöst. Dadurch schützen sich Säugetiere vor dem Verzehr potenziell gefährlicher Nahrung. Der Abwehrmechanismus half dem Menschen ursprünglich, zu überleben.

Universell verständliche Mimik

Bis heute ist der Mechanismus Teil unserer durch Erziehung und Lebenserfahrung geprägten Identität. Das erklärt auch, warum die Angst vor dem unbekannten Essen bestehen blieb. Die besondere Gefühlsregung ist eine universell verständliche Mimik: Der Mensch zieht Augenbrauen und Nase hoch, verengt die Pupillen und streckt die Zunge heraus. Bereits im Jahr 1890 beschrieb der Naturforscher Charles Darwin die Mimik für Ekel mit Stirnrunzeln, Nasenrümpfen und Hochziehen der Oberlippe. Mittlerweile hat die Neurowissenschaft Beweise, dass die Wahrnehmung ekelerregender Reize die vordere ­Hirnrinde stark aktiviert. Auch die Verarbeitung von Geschmacks- und Geruchseindrücken geschieht in der vorderen Hirnhälfte.

Im nächsten Raum folgt ein buntes Bouquet aus christlichen, jüdischen und islamischen Essensbräuchen. Infotafeln beschreiben Begriffe wie halal und koscher. Auch der Hinduismus kennt besondere Essensrituale. Milchprodukte spielen dabei eine wichtige ­Rolle: Sie dienen als rituelle Opfergaben. Vor allem das Butterschmalz-ähnliche Ghee verwenden Hindus täglich.

 

Ausflugtipp für die ganze Familie:

Nicht verpassen: Die Sonderausstellung im Alimentarium in Vevey läuft noch bis Ende März 2021. Das Museum direkt am Genfersee ist jeweils von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. 

 

Der Alkohol und die Religion

Die Religion rät Hindus stark von Alkohol ab. Ganz untersagt ist der Konsum aber nicht. Laut einer Untersuchung von International Spirits greifen religiöse Inder oft zu illegal produziertem Alkohol, welcher hochgiftige Verbindungen enthält. Der sogenannt gepanschte Alkohol fordert unter den Ärmsten jährlich unzählige Todesopfer. Vertieft in den fremden Welten steigt ein bekannter aber undefinierbarer Duft in die Nase. Alte Bücher? Frisches Plastik? Eine Kindheitserinnerung kreuzt die Gedanken. Man wird wieder zurück in die Gegenwart gerissen.

Weiter im Rundgang werden Essenswettkämpfe in Japan gezeigt und in einer Ecke sind Lebensmittel aufgestellt, welche
90 Jahre lang in Gläsern aufbewahrt wurden. Schreitet man durch eine weitere Tür, lernt man etwas über Zelluloseverpackungen aus recycelten Gemüse-Abfällen. Weiter hinten strahlen Bildschirme Kurzfilme aus, in denen Kinder aus den USA zu sehen sind, welche vom übermässigen Limonade-Konsum ein Mund voller abgefaulter Zähne haben.

Diese Menüs wünschen sich Todeskandidaten zum Abschied

Auf der letzten Etage sieht man auf Tableaus, was sich Gefängnisinsassen in den USA als Menü vor der Hinrichtung wünschten. Die Auswahl reicht von Minze-Eis, Pommes frites, Bohnen mit Steak bis hin zu einem leeren Teller. Der Todeskandidat ist dabei nicht der Einzige, dem der Appetit vergangen ist. Der Gang durch die Ausstellung ist eine kulinarische Achterbahn, welche alle Sinne beansprucht.  Nach all den Ekeln wird das Zmittag heute bewusst übersprungen.