In der aktuellen Inszenierung auf dem Ballenberg entfaltet die Erzählung um Besitz, Erbe und familiäre Zerwürfnisse eine beklemmende Aktualität. Zwischen alten Ställen und Scheunen wird deutlich: Was Jeremias Gotthelf im 19. Jahrhundert beschrieb, beschäftigt Bäuerinnen und Bauern bis heute. Regisseur Ueli Blum sagt im Interview, wie historische Kulisse, regionales Ensemble und zeitlose Konflikte zu einem Theatererlebnis verschmelzen.
In «Der Geltstag» dreht sich alles ums Geld, um Besitz, um Hof und Erbe – was glauben Sie, wie aktuell ist das Thema für unsere Bäuerinnen und Bauern heute noch?
Ueli Blum: Das Thema ist erschreckend aktuell, vielleicht sogar brisanter als zu Gotthelfs Zeit. Damals ging es um kleinere Höfe, heute stehen Millionenwerte auf dem Spiel. Eine Hofübergabe kann eine Familie finanziell ruinieren oder für Generationen prägen. Ich kenne Familien, die sich über Landpreise und Erbschaftssteuern zerstritten haben, Geschwister, die sich nie mehr sprechen, weil einer den Hof übernommen hat und die anderen leer ausgingen. Der Strukturwandel verschärft alles: Kleine Höfe verschwinden, die überlebenden müssen immer grösser investieren. Wenn dann der Sohn oder die Tochter nicht übernehmen will oder kann, bricht eine Welt zusammen. Gotthelf beschreibt diese menschlichen Dramen mit einer Präzision, die jeder Bauer auch heute noch nachvollziehen kann. Die Zahlen sind grösser geworden, die Gefühle sind dieselben geblieben.[IMG 4]
Sie inszenieren auf dem Ballenberg, inmitten von alten Ställen, Scheunen und Heuwägen – wie verändert das den Blick aufs Stück?
Diese historischen Bauten sind nicht einfach Kulisse – sie sind lebendige Zeugen der Geschichten, die wir erzählen. Wenn die Schauspieler in einem 300 Jahre alten Bauernhaus über Erbe und Besitz streiten, dann sprechen die Balken mit. Jeder Riss im Holz, jeder abgewetzte Türgriff erzählt von Generationen, die hier gelebt, gearbeitet und gerungen haben. Das Publikum spürt diese Authentizität sofort. Die Geschichten werden greifbar, weil der Ort selbst Geschichte atmet. Ein Stadttheater kann noch so aufwendige Bühnenbilder bauen – es wird nie diese Wahrhaftigkeit erreichen. Hier riecht es nach echtem Heu, nach altem Holz, nach jahrhundertelanger Bäuerlichkeit. Das verstärkt jede Emotion, jede Szene bekommt zusätzliche Tiefe.
Sie arbeiten mit Laien aus der Region – Leute, die vielleicht tagsüber auf dem Feld stehen und abends auf der Bühne – was macht das mit dem Theater?
Das bringt eine Glaubwürdigkeit mit, die unbezahlbar ist. Diese Menschen müssen nicht «bäuerlich» spielen – sie sind es. Wenn sie über Vieh sprechen, über Wettersorgen oder Feldarbeit, dann stimmt jede Geste, jede Betonung. Sie bringen ihre eigene Lebenserfahrung mit auf die Bühne. Gleichzeitig entsteht eine besondere Dynamik: Professionelle Schauspieler treffen auf Menschen, die das Theater als Hobby betreiben, aber dafür das Leben kennen, das dargestellt wird. Das befruchtet sich gegenseitig. Die Profis lernen Authentizität, die Laien lernen Bühnenpräsenz. Und für das Publikum ist es ein Erlebnis der besonderen Art: Sie sehen ihre Nachbarn, Bekannte, vielleicht sogar Familienmitglieder auf der Bühne. Das schafft eine Nähe und Identifikation, die im herkömmlichen Theater selten erreicht wird.
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Wenn «Der Geltstag» ein Käselaib wäre – was für einer wäre es? Hart und salzig, reif und vollmundig oder einer mit Löchern – und warum?
Ein alter, würziger Alpkäse – mindestens drei Jahre gereift, hart in der Rinde, aber mit komplexen, vielschichtigen Aromen darunter. Manchmal bitter und scharf, dann wieder überraschend mild und süsslich. Und ja, er hat definitiv Löcher – die Leerstellen, wo Liebe, Verständnis und Kommunikation fehlen. Man kann ihn nicht schnell verschlingen, man muss ihn langsam kauen, dann entfaltet sich erst der volle Geschmack. Manche Stellen sind härter zu verdauen als andere. Nichts für Konsumenten, die schnelle Häppchen wollen. Aber wer sich darauf einlässt, wird mit einem intensiven, nachhaltigen Geschmackserlebnis belohnt – einem, das noch lange nachwirkt.
In diesem Stück wird gestritten, geliebt, geschwiegen und gelitten – welche Szene geht Ihnen selbst am meisten unter die Haut?
Was mich am meisten bewegt, ist diese tragische Sprachlosigkeit zwischen Eisi und Steffen. Zwei Menschen, die sich lieben, die füreinander da sein könnten, aber nie gelernt haben, miteinander zu sprechen. Sie leben nebeneinander her, jeder gefangen in seinen eigenen Sorgen und Ängsten. Und dann stirbt Steffen, bevor sie je die Chance hatten, diese Mauer zu durchbrechen. Das ist für mich das eigentlich Tragische – nicht der Tod an sich, sondern, dass sie ihr Leben lang aneinander vorbeigelebt haben. Besonders schmerzhaft ist Eisis Kampf als Frau in einer Männerwelt. Sie kämpft ums Überleben, um den Hof, um ihre Zukunft – aber die Gesellschaft lässt ihr keine Chance. Am Ende verliert sie alles, nicht, weil sie unfähig wäre, sondern weil die Welt so eingerichtet ist, dass Frauen systematisch benachteiligt werden. Diese Ungerechtigkeit, diese verschenkten Möglichkeiten menschlicher Nähe – das geht mir unter die Haut. Gotthelf zeigt, wie Strukturen und mangelnde Kommunikation Leben zerstören können.
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Das Wetter auf dem Ballenberg macht, was es will – wie improvisiert man, wenn ein Gewitter mitten in der Szene losbricht?
Wir haben Notfallpläne und Ausweichräume, aber ehrlich gesagt: Manchmal wird das Wetter zum stärksten Regisseur. Ein Donner im genau richtigen Moment kann dramatischer sein als jeder Theatereffekt. Plötzlicher Regen kann eine Szene intensivieren oder völlig verändern. Die Schauspieler lernen, mit den Elementen zu tanzen, statt gegen sie zu kämpfen. Wind, der die Kleider weht, Regen, der Tränen vortäuscht, Nebel, der geheimnisvoll macht – das sind Geschenke der Natur. Das Publikum erlebt dann echtes Landschaftstheater, wo Kunst und Natur verschmelzen. Natürlich ist es manchmal auch frustrierend, wenn eine wichtige Szene unterbrochen werden muss. Aber unsere Zuschauer sind geduldig – sie wissen, worauf sie sich einlassen. Und oft sind die improvisierten Momente die unvergesslichsten.
Was wünschen Sie sich, dass ein Landwirt oder eine Grossmutter aus dem Emmental nach der Aufführung sagt?
Am liebsten: «Das hätte in unserer Familie auch passieren können.» Oder: «Jetzt verstehe ich meinen Grossvater besser.» Wenn Gotthelfs Geschichten die Menschen dazu bringen, über ihre eigenen Familien, ihre eigenen Entscheidungen nachzudenken, dann haben wir alles richtig gemacht. Ich wünsche mir, dass sie nach Hause gehen und vielleicht ein Gespräch führen, das sie schon lange hätten führen sollen. Dass sie einen Anruf machen, einen Brief schreiben, eine Versöhnung wagen. Theater soll nicht nur unterhalten, es soll bewegen. Wenn eine Grossmutter nach der Aufführung ihren Enkeln anders zuhört, wenn ein Landwirt seine Hofübergabe anders angeht – dann hat das Landschaftstheater seinen Auftrag erfüllt. Gotthelf wollte seine Leser aufrütteln. Das wollen wir auch.
Zum Landschaftstheater Ballenberg
Das Landschaftstheater Ballenberg in Hofstetten BE zeigt diesen Sommer das Stück «Der Geltstag», frei nach einer Erzählung von Jeremias Gotthelf. Die Inszenierung thematisiert Macht, Geld und soziale Spannungen im ländlichen Milieu – Stoff, der trotz historischer Vorlage aktuell bleibt.
Regisseur Ueli Blum (im Interview) inszeniert das Stück mit einem gewinnenden Laienensemble und Profischauspielerin Anne Hodler in der Hauptrolle. Die Aufführungen finden im Freilichtmuseum Ballenberg statt, genauer rund um das Bauernhaus aus Therwil, einer politischen Gemeinde im Bezirk Arlesheim des Kantons Basel-Landschaft. Die historische Kulisse ist bewusst gewählt: Sie verstärkt den realistischen Zugriff auf Gotthelfs Gesellschaftskritik. Ergänzt wird die Produktion durch Livemusik.
Gespielt wird ab dem 2. Juli jeweils mittwochs bis samstags um 20 Uhr. Die Saison dauert bis Mitte August. Die Vorstellungen finden bei jeder Witterung im Freien statt; wetterfeste Kleidung wird empfohlen. Für Verpflegung sorgt ein Buffet, Rollstuhlplätze sind nach Voranmeldung verfügbar.
Der Geltstag ist die 31. Eigenproduktion des Landschaftstheaters Ballenberg. Das Projekt setzt damit seine Linie fort: literarische Stoffe in ländlichem Kontext mit regionaler Verankerung auf die Bühne zu bringen. Der Vorverkauf läuft seit Mitte April.
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