Der restaurierte Spycher auf dem modernen Landwirtschaftsbetrieb fällt ins Auge. «Der ist aus dem Jahr 1711 und stand schon, bevor meine Vorfahren den Hof übernahmen», erklärt Leo Wolfisberg, der auf dem Hof Lohn in Neuenkirch geboren wurde.
Seit Kindertagen interessiert sich der pensionierte Bauer für die Geschichte seiner Familie, die seit 222 Jahren auf dem Hof lebt. «Ich war das älteste von sieben Kindern, das hat mich geprägt.» Vor 15 Jahren übergab er den Hof seinem Sohn Mathias, der den Betrieb in der 8. Generation führt.
Eine Reihe von glücklichen Zufällen
Leo Wolfisberg lädt zu einem Kaffee in den Anbau des Bauernhauses. Auf dem hölzernen Buffet hinter dem langen Esstisch stehen rund ein Dutzend Fotos von Familienmitgliedern. An der Wand neben dem Sofa hängt ein altes Kreuz mit einem Rosenkranz, es gehörte einst seinem Urgrossvater. «Es brauchte eine ganze Reihe von glücklichen Zufällen, dass der Hof so lange in der Familie bleiben konnte. Denn meine Vorfahren erlebten stürmische Zeiten, Krisenzeiten und zwei Weltkriege.»
Urgrossvaters Tagebuch
Dass viel Wissen erhalten blieb, ist nicht zuletzt seinem Urgrossvater zu verdanken, der ab dem Jahr 1873 Tagebuch führte. «Er hat alles aufgeschrieben: Käufe, Verkäufe, Finanzengpässe. Aber auch wann gesät oder geerntet wurde und wer gestorben ist.» Der Grossvater und die Mutter waren ebenfalls Tagebuch-Schreiber(in). Viele der alten Unterlagen sind heute bei Leo Wolfisberg, wie auch Alben voller Fotos sowie die frühen Kaufverträge.
Gekauft hatte den Hof im Jahr 1800 ein Namensvetter des jetzigen Betriebsleiters, ein Mathias Wolfisberg. Der ursprüngliche Hof wurde 1830 geteilt und die eine Hälfte von Johann Wolfisberg übernommen. Er war unter anderem Gemeindeschreiber und Grossrat in Neuenkirch.
Wirren im Sonderbundskrieg
1847 musste Johann Wolfisberg aber seine Ämter abgeben. Denn er stand nach dem Sonderbundskrieg, dem vierwöchigen Bürgerkrieg, auf der Seite der Verlierer.
Er musste fliehen und sich acht Wochen im Kanton Uri verstecken. Seiner Frau wurden in dieser Zeit wiederholt «die Säbelspitzen auf die Brust gesetzt», damit sie das Versteck ihres Mannes preisgab. Doch sie verriet nichts. Nach acht Wochen kehrte Johann heimlich auf den Hof zurück, wurde dabei aber beobachtet.
Ein Trupp Soldaten kam, um ihn festzunehmen. Als sie bemerkten, dass sein Bett noch warm war, durchsuchten sie das ganze Haus. Doch sie fanden Johann nicht. Denn der hatte einen Tipp bekommen und sich auf dem Estrich versteckt. Noch zehn weitere Tage musste er sich in der Scheune verstecken und schliesslich eine Kriegsentschädigung von 2000 Franken zahlen. «Das wären heute zwischen 30'000 und 40'000 Franken», so Leo Wolfisberg.
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Eine der ersten Güllenpumpen
Trotz verschiedener Krisenzeiten blieb der Hof in der Familie. 1923 übernahm ihn der Grossvater, der ebenfalls Leo hiess. «Er war eines von zwölf Geschwistern, hatte eine einfache Kindheit und hat viele Diensttage im 1. Weltkrieg erlebt.» Den Hof bewirtschaftete er weitsichtig und montierte schon 1932 eine Güllenpumpe, was damals noch wenig verbreitet war.
1964 übernahm der nächste Leo Wolfisberg den Betrieb. «Das war mein Vater.» Er galt als intelligent und arbeitsam, durfte aber während des 2. Weltkrieges die Sekundarschule nicht besuchen, da seine Arbeitskraft auf dem Hof gebraucht wurde. «Mein Vater hat immer gekrampft und viel in die Mechanisierung investiert. Er war mir in jeder Hinsicht ein Vorbild.»
Im Herzen Bauer
Für Leo Wolfisberg war schon in der 6. Primarklasse klar, dass er den Hof übernehmen wollte. 1984 war es schliesslich soweit. Dank wirtschaftlich guter Jahre konnte er den Betrieb weiter ausbauen und modernisieren. Er gründete mit seiner Frau eine Familie, wurde Vater von zwei Töchtern und zwei Söhnen.
Heute gehören zum Milchwirtschafts- und Schweinemastbetrieb 28 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, 21 ha davon sind Eigentum. «Ich bin auf dem Hof aber nur noch der Nothelfer», stellt Leo Wolfisberg klar. Bei der Hofübergabe war er erst 53 Jahre alt und nahm drei Jahre später eine Anstellung bei der Landi an. Noch heute ist er mit einem 65 %-Pensum für die Genossenschaft tätig. «Im Herzen bin ich aber Bauer geblieben.» Der neunfache Grossvater ist dankbar, dass er weiterhin auf dem Hof wohnen und dadurch viel Zeit mit den vier Enkelkindern verbringen kann, die hier leben.
Leo Wolfisberg zeigt im Korridor auf den gerahmten alten Stammbaum der Familie. «Hier sieht man, wie alles seinen Anfang nahm.» Um die 222 Jahre alte Familiengeschichte auf dem Hof gebührend zu feiern, initiierte er diesen August ein grosses Familienfest. «Es kamen 135 Leute. Die Jüngsten waren knapp einjährige Zwillinge, die Älteste eine 91-Jährige.» Es soll nicht das letzte Fest sein. «In 11 Jahren, also 2033, feiern wir 233 Jahre Familie Wolfisberg. Das wäre wieder ein Grund zum Feiern.»