Vorratshaltung? Das ist für Rahel Brütsch selbstverständlich. «Ich habe keine Einkaufsmöglichkeiten in der nahen Umgebung und muss zum Posten immer das Auto nehmen», sagt die Bäuerin aus Thayngen SH. Die gelernte Köchin ist zudem Präsidentin der Kommission Ernährung und Hauswirtschaft beim Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV). «Dank der Vorräte kann ich zudem flexibel reagieren, wenn ich am Morgen erfahre, dass am Mittag fünf Leute mehr am Tisch sitzen.»
Im SBLV-Vorstand wurde die Stichworte «Vorräte» und «Notvorrat» bereits während der Pandemie diskutiert, weiss Rahel Brütsch. Denn die Vorratshaltung schien eine Zeit lang aus der Mode gekommen zu sein. Wie wertvoll sie nicht nur im Alltag, sondern auch in Krisenzeiten sind, zeigten neben der Pandemie auch Naturkatastrophen oder der grosse Stromausfall in Spanien. Daher propagiert der Bund wieder vermehrt dafür, dass jeder Haushalt über einen Notvorrat für eine Woche verfügt. Dazu gehören neben haltbaren Lebensmitteln unter anderem neun Liter Wasser, ein batteriebetriebenes Radio, eine Taschenlampe und 50 Hygienemasken pro Person.
Ein guter Anfang
«Sieben Tage sind ein guter Anfang», antwortet Isabelle Chappuis auf die Frage, ob das ausreichend ist. Die Waadtländer Nationalrätin ist Präsidentin des Schweizerischen Zivilschutzverbands und Zukunftsforscherin. «Es ist ein pragmatischer Richtwert, um das Bewusstsein zu schärfen und die Selbstverantwortung zu stärken. Aber in einer echten Krise können sieben Tage schnell sehr knapp werden. Die Eigenvorsorge muss zur Normalität werden, nicht zur Ausnahme.»[IMG 2]
Isabelle Chappuis schätzt das Risiko eines Krisenfalls als «sehr realistisch» ein. «Krisen sind heute nicht mehr nur hypothetische Szenarien, sondern konkrete Risiken. Sie können plötzlich eintreten, und wer dann vorbereitet ist, gewinnt wertvolle Zeit.»
Nach Einschätzung der Sicherheitsexpertin Isabelle Chappuis beschränken sich Bedrohungen längst nicht mehr auf klassische militärische Konflikte oder offene geopolitische Spannungen. Gezielte Cyberangriffe, hybride Operationen und systemische Risiken – technischer, gesellschaftlicher oder klimatischer Natur – gehören heute genauso zum Bedrohungsspektrum. In diesem Zusammenhang nennt sie vier Szenarien, die für die Schweiz besonders wahrscheinlich und sicherheitsrelevant sind:
- Ein lang anhaltender Stromausfall: verursacht durch Netzüberlastung, physische Sabotageakte gegen kritische Infrastrukturen oder extreme Wetterereignisse.
- Gezielte Cyberangriffe: insbesondere auf Betreiber kritischer Infrastrukturen (Strom, Wasser, Spitäler, Verwaltung) oder auf Finanz- und Logistiksysteme.
- Störungen der Versorgungssicherheit: etwa bei Lebensmitteln, Medikamenten oder Treibstoffen.
- Klimabedingte Risiken: wie Trockenperioden, Überschwemmungen oder Waldbrände.
«Diese Ereignisse wirken oft als Multiplikatoren – sie beschleunigen oder verschärfen bestehende Krisen», so Isabelle Chappuis.
Gut vorbereitet für solche Krisensituationen sind allerdings die wenigsten Schweizerinnen und Schweizer, sagt sie aus ihrer Erfahrung. Es bestehe ein gefährliches Gefühl von Sicherheit, frei nach dem Motto: «Uns geschieht schon nichts.» «Doch Resilienz beginnt mit Wissen und Antizipation. Wir müssen besser kommunizieren, niedrigschwellig informieren und konkrete, alltagstaugliche Vorsorgeschritte vermitteln.»
Häufige Irrtümer
Daher verteidigte die Nationalrätin in dieser Session eine Motion zum Thema «zivile Resilienz». Die häufigsten Irrtümer seien dabei:
- Die Annahme, dass sofort Hilfe sofort kommt. «In einer Krise ist der Staat zuerst mit der Systemstabilisierung beschäftigt – nicht mit der individuellen Unterstützung.»
- Der Glaube, dass Strom, Wasser und Mobilfunk immer funktionieren. «Zu glauben, dass die App Alertswiss oder eine Webseite der Behörden dann ausreichen, ist eine gefährliche Illusion. Digitale Vorsorge braucht analoge Backup-Pläne.»
- Der Fokus auf Vorräte, ohne an Kommunikation, Medikamente oder Bargeld zu denken. «Eine sinnvolle Vorsorge umfasst mehr als nur Pasta und Wasser.»
Auf dem Land sei in Sachen Krisenvorsorge oft mehr Eigenständigkeit vorhanden, räumt Isabelle Chappuis ein. «Doch auch auf dem Land können der Strom ausfallen, das Mobilfunknetz zusammenbrechen oder die Zufahrtsstrassen blockiert sein. Wichtig ist, die eigene Rolle im Gesamtsystem zu sehen: Wer vorbereitet ist, kann helfen – den Nachbarn, den Behörden, der Gemeinschaft.»
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Der Online-Notfallrechner
Seit vergangenem Herbst hat das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) einen Notfallrechner online gestellt. «Seither hatten wir insgesamt etwa 11 500 Zugriffe», schreibt Mediensprecher Thomas Grünwald auf Anfrage. Als der grosse Stromausfall Spanien lahmlegte, stellte das BWL eine verstärkte Nachfrage fest. Der Rechner kann an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden, etwa an die Familiengrösse, die Altersstruktur, Allergien oder ob Fleisch gegessen wird oder nicht.
Neben dem Rechner wird auch auf der BWL-Homepage unter dem Navigationspunkt «Notvorrat» über das Thema informiert. Dort finden sich Empfehlungen, ein Link auf eine gedruckte Broschüre, ein Lehrvideo sowie eine Information in Gebärdensprache.
Wer gedruckte Informationen vorzieht, kann die frisch überarbeitete Broschüre «Kluger Rat – Notvorrat» bestellen. «Es musste sowohl die deutsche als auch die französische Version nachgedruckt werden, da die Broschüren aufgebraucht waren», antwortet Thomas Grünwald auf die Frage, wie gross das Interesse sei.
Laut einem Artikel der «NZZ am Sonntag» wollen die Kantone zudem die Bevölkerung mit einer neuen Broschüre «flächendeckend über das richtige Verhalten bei Katastrophen, Krieg und Notlagen aufklären».
Weitere Informationen: https://www.bwl.admin.ch/de/notvorrat
Der Notvorratsrechner: https://www.notvorratsrechner.bwl.admin.ch/de