«Was denkt ihr, welche einheimischen Gemüse- und Obstsorten haben jetzt im Februar Saison? Schreibt sie auf», fordert Thomas Flury die Schülerinnen und Schüler der 8. Sekundarklasse in Grenchen SO auf. «Mandarinen, Brokkoli, Feigen, Zuckerrüben, Salat, Erdbeeren, Rosenkohl, Spargeln», liest man unter anderem auf den Blättern der Teenager. Und fast auf jedem steht «Tomaten und Gurken».

Thomas Flury ist Landwirt auf einem Pachtbetrieb mit Beeren und Obst in Kirchlindach BE. Der Hof gehört zum grossen Bio-Landwirtschaftsbetrieb Heimenhaus, der stark auf Direktvermarktung setzt. «Wir liefern jede Woche Gemüse und Obst an rund 350 Familien», erklärt er der Klasse.

Jugendliche sensibilisieren

Seit sechs Jahren steht er zudem regelmässig vor Schulklassen. «Landwirtschaft macht Schule» heisst das Angebot des Vereins Agro-Image, für den er tätig ist. «Das Vereinsziel von Agro-Image ist es, Jugendliche für einen bewussten, nachhaltigen Konsum von Lebensmitteln zu sensibilisieren und eine Brücke vom Produzenten zum Konsumenten zu bilden», schreibt der Verein auf seiner Website.

«Unsere Referentinnen und Referenten haben alle einen direkten Bezug zur Landwirtschaft», sagt Marie-Louise Simon, Geschäftsführerin von Agro-Image. «Die meisten sind Landwirte, Landwirtinnen, Agronominnen und Agronomen.» Vor allem in der Romandie sei die Nachfrage stark gewachsen. «Wir haben 18 neue Referentinnen und Referenten ausgebildet», erklärt die Agronomin aus Schwendibach BE weiter. Denn im Kanton Waadt gehört das Thema «Nachhaltigkeit» zum Schulprogramm und alle wollen mehr über «Regionalität» erfahren.

Thomas Flury spricht mit der Klasse über saisonales Obst und Gemüse. Etwa, dass es einheimisches Wintergemüse wie Lauch oder Rosenkohl gibt, Lagerobst wie Äpfel und Lagergemüse wie Rüebli und Kartoffeln. Er hält eine weisse Wurzel in die Höhe. «Weiss jemand, was das ist?» Grosses Schweigen, bis ein Schüler zaghaft fragt, ob das eine Zuckerrübe sei. «Nein, eine Pastinake. Ein altes Gemüse, es liegt wieder im Trend», löst Flury das Rätsel auf. Als es zur grossen Pause klingelt, schneidet er allen Schülerinnen und Schülern ein Ringli zum Probieren ab.

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Kaum Bezug zur Landwirtschaft

«Die Klasse hat sonst um diese Zeit Kochunterricht», erklärt Pia Fimian. Die erfahrene Lehrerin des Unterrichtfachs Wirtschaft-Arbeit-Haushalt engagiert schon «viele Jahre» Referenten vom Verein Agro-Image für Unterrichtseinsätze in ihren Klassen. «Eine gute Sache. Die Schülerinnen und Schüler würden jetzt zwar lieber kochen, doch sie machen mit.» Es sei wichtig, dass sie Grundlagenwissen über Nahrungsmittel bekämen. «Die wenigsten haben einen Bezug zur Landwirtschaft.»

Nach der Pause geht es weiter. Alle dürfen einen Becher Most probieren und am Beispiel Erdbeeren spricht Thomas Flury über importiertes Obst und Gemüse. Auch ökologische Fragen sowie die Auswirkungen der Importe auf die Schweizer Landwirtschaft thematisiert er.

Das Unterrichtsprogramm von «Landwirtschaft macht Schule» ist modular aufgebaut. Thomas Flury unterrichtet an diesem Vormittag die kostenlosen Grundmodule «Landwirtschaft» und «Konsum». Dazu können die kostenpflichtigen Module «Markt», «Welthandel» und «Nachhaltigkeit» ergänzt werden. Da die Zeit knapp ist, kann Flury im Grundmodul viele Themen nur kurz streifen: Etwa, wie sich Pflanzen ernähren, was zum Pflanzenschutz gehört, wie das mit den Nützlingen funktioniert, die strengen Tierschutzgesetze, was Bauern alles so anbauen, dass aus einem Weizenkorn 90–150 neue Körner wachsen und die Getreidestängel weiter verwertet werden. «Wisst ihr, wie die gedroschenen Weizenhalme heissen?» Niemand kommt auf den Begriff «Stroh».

Verdienst ist auch ein Thema

Auch die Direktzahlungen und die Einnahmen der Bauernfamilien sind ein Thema. «Kostet ein Kilo Äpfel beim Grossverteiler vier Franken, bekommt der Bauer nur etwa 80 Rappen bis einen Franken dafür», erklärt Flury. Als letzte Aufgabe sollen die Schülerinnen und Schüler in Zweiergruppen Verpackungen genau lesen und aufschreiben, woraus das Lebensmittel besteht. «Das Ziel ist, dass man sich eine Verpackung ansieht, bevor man etwas in den Einkaufswagen legt», sagt Pia Fimian. «Vielleicht kommt mit dieser Übung an, dass Billigprodukte oft auch nur billige Inhaltsstoffe enthalten.»

«Was habt ihr Neues gelernt?», fragt Thomas Flury zum Schluss. «Wie viele verschiedene Labels es gibt», sagt eine Schülerin. «Ich wusste nicht, dass so wenig Geld bei den Bauern bleibt, wenn sie ihre Ware über die Grossverteiler verkaufen», meldet sich ein anderer Schüler. «Wir möchten mithelfen, dass die Schülerinnen und Schülern zu mündigen Konsumenten heranwachsen», sagt Marie-Louise Simon. «Denn sie fällen künftig die Entscheidungen. Wir möchten ihnen vermitteln, dass sie Entscheidungsfreiheit, aber auch Mitverantwortung haben.»

Bis zu 250 Besuche

Der Verein Agro-Image feiert dieses Jahr sein dreissigjähriges Bestehen. Im vergangenen Jahr machten die Referentinnen und Referenten rund 200 Schulbesuche. «Unser Ziel ist, dass es 250 werden», sagt Marie-Luise Simon. Dazu brauche es aber zusätzliche Referentinnen und Referenten. Sie müssen eine landwirtschaftliche Ausbildung haben, das ist Voraussetzung.

«Interessierte besuchen jeweils eine Schnupperlektion und werden von uns einen halben bis ganzen Tag ausgebildet», erklärt die Geschäftsführerin weiter. Die Einsätze werden entgolten, das Material zur Verfügung gestellt. Interessierte können sich direkt bei Agro-Image melden.

Weitere Informationen:  www.www.agro-image.ch