«Ich rufe dich heute Abend zurück – wir schauen, was sich machen lässt», sagt Ernest Schläfli und klappt sein altes Nokia-Handy zu. «Was wollte er?», fragt Alois Wyss. Der ehemalige Gantrufer, der gerade erst noch in Thun zum allerletzten Mal auf dem Podest stand, ist noch lange nicht müde geworden. «Das Boostern hat mich etwas müde gemacht, aber das wird schon wieder», sagt der Luzerner und schmunzelt.

Strategisch gewieft hat ersich den 100-fachen Freiburger Kranzschwinger Schläfli zur Seite geholt. Die beiden sind nun gemeinsam schweizweit unterwegs und vermitteln Heimet und Betriebsnachfolger. «Wir kennen uns seit 30 Jahren», sagt Schläfli. Kennengelernt haben sich die beiden pensionierten Landwirte – wie könnte es auch anders sein – an einer Steigerung: Wyss auf dem Podest, Schläfli am Kommentierpult. «Die erste Steigerung, die du kommentiert hast war im Waadtland, in Dizy», sagt Wyss. «Voilà, das kann sein», sagt Schläfli. Und schon wieder klingelt sein Telefon. Diesmal geht es um einen Stier, denn der Viehhandel läuft auch, nicht nur jener mit den Höfen.

Hohe Preise im Osten

«Ich habe festgestellt, dass in der Westschweiz derzeit viele Liegenschaften frei werden», sagt Ernest Schläfli. Er erklärt das mit dem Umstand, dass die Welschen weniger angefressen von der Landwirtschaft seien als ihre Kollegen in der deutschsprachigen Schweiz. Zudem liegen die Preise für den Boden in der Zentralschweiz und Ostschweiz derzeit deutlich höher als in der Westschweiz. «Sie müssen in ihren Wohngemeinden weniger verkaufen und können in der Westschweiz für dieses Geld grössere Betriebe kaufen. 5000 Franken pro Quadratmeter – als kleines Beispiel der Preis für den Hoger vom Kilchbergschwinget», weiss Schläfli.

Normale Bewegungen

Das sei auch vor 80 bis 100 Jahren bereits mit den Bernern ähnlich gelaufen. Damals habe es sie in die Kantone Freiburg und Waadt gezogen. «Das sind Bewegungen, die einfach passieren – nun passiert wieder eine ähnliche Bewegung von Luzern, Obwalden, Nidwalden aber auch von Zürich in Richtung Westschweiz», so der Freiburger.

Ernest Schläfli und Alois Wyss glauben, dass diese Bewegung vorerst nicht abbrechen wird. «Es ist ein Fakt, dass die Deutschweizer ein Interesse daran haben, in die Westschweiz zu gehen», sagt Wyss. «Ich kenne keinen Welschen, der in der Deutschschweiz einen Betrieb gekauft hat. In der Deutschschweiz ist der Markt beinahe ausgetrocknet», ergänzt der Luzerner. Im Gegenzug würden die Jungen im Welschland, die auf Höfen aufgewachsen sind, mit Vorliebe einen anderen Beruf erlernen. «Dadurch haben sie mehr und regelmässig frei, mehr Lohn und damit auch mehr Möglichkeiten – das ist nicht neu, das wissen wir alle», sagt Schläfli. Auch die wachsende Bürokratie, die immer noch mehr zunehme, sei für viele Junge ein «Ablöscher», sind sich die beiden einig. «Die Veränderung ist etwas Normales, das gehört zum Leben», sagt Alois Wyss und ergänzt: «Wir wollen hier mit unserer Erfahrung und den Jahren, die wir beide auf dem Buckel haben, der Landwirtschaft einen Dienst tun.» Dass Betriebe aufgegeben würden und das Land zu anderen Höfen komme oder auch für andere Zwecke, wie die Pferdehaltung, genutzt werde, sei nicht aufzuhalten. «Wir haben in der Westschweiz Strukturen, die den Bauern, die das wirklich noch wollen, entsprechen. Daran können und müssen wir auch nichts ändern. Wir müssen die Höfe den Willigen vermitteln und dabei vor allem auch hoffen, dass die Milchproduktion dem allge-meinen Wandel, der derzeit stattfindet, standhält», resümiert Schläfli.

«In der Westschweiz werden Höfe frei.»

Ernest Schläfli, Posieux FR

Anzahl Betriebe nimmt weiter ab

Die Anzahl Betriebe in der Schweiz nimmt kontinuierlich ab (vgl. Grafik unten). Eine Abnahme ist in den Jahren 2000 bis 2020 in allen Kantonen und innerhalb aller Regionen (Tal, Hügel und Berg) zu verzeichnen. Wie der Publikation «Kennzahlen des Strukturwandels der Schweizer Landwirtschaft auf Basis einzelbetrieblicher Daten» von Alexander Zorn, Agroscope, zu entnehmen ist, betrug die durchschnittliche jährliche Abnahmerate in der Schweiz im Mittel des Untersuchungszeitraums (2000 bis 2018) 1,76 %, wobei diese in der Talregion (1,50 %) niedriger als in der Hügelregion (1,66 %) sowie der Bergregion (1,85 %) sei. Im mehrjährigen Mittel liege die Abnahmerate damit in allen Regionen deutlich unterhalb der politisch vom Bundesrat 2017 fixierten Marke von 2,5 %.

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«Der Strukturwandel der Schweizer Landwirtschaft äussert sich in einer kontinuierlich abnehmenden Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe. Allerdings geht der strukturelleWandel mit vielen anderen Veränderungen einher, die meist weniger im Rampenlicht stehen», schreibt Alexander Zorn in seiner Publikation. Mit dem Rückgang der Betriebszahl wachsen die im Mittel bewirtschaftete Fläche, der Tierbestand sowie der Produktionswert von einem fortbestehenden Betrieb. Zorn beschreibt, dass die Anzahl der flächenmässig grössten Betriebe mit über 30 Hektaren zunehme, während Betriebe unterhalb dieser Schwelle weniger würden. «Veränderungen ergeben sich auch in der Art und Struktur der landwirtschaft-lichen Produktion: Der Anteil der Betriebe mit Milchkühen und Schweinen verringert sich, während der Anteil der biologischen Erzeugung sowie von Biodiversitätsflächen wächst», so Zorn weiter. So würden sich die Schweizer Betriebe stärker spezialisieren, was sich auch in einer zunehmenden Konzentration niederschlage, v. a. in der Tierhaltung. «Die Ergebnisse weisen auch auf Herausforderungen der Schweizer Landwirtschaft hin. Der strukturelle Wandel in der Schweiz verläuft im Vergleich zu den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich langsamer. Die im Mittel bereits deutlich grösseren Betriebe in Deutschland und Frankreich wachsen schneller und können damit besser Grössenvorteile erschliessen», so Zorn.

«Ich kenne keine Welschen in der Deutschschweiz.»

Alois Wyss, Grosswangen LU

Die Pension in Sichtweite

Ein wichtiger Aspekt im Bereich des Strukturwandels ist das Alter der Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen. So erreicht rund ein Drittel aller Betriebsleitenden in der Schweiz in den nächsten zehn Jahren das Pensionsalter, was sie nicht mehr zum Bezug von Direktzahlungen berechtigt. Während Alexander Zorn vermutet, dass genau dieser Umstand den Strukturwandel beleben könnte und Möglichkeiten zum Wachstum bietet, geht er auch davon aus, dasssich in gewissen Bereichen (Regionen, Betriebstypen) auch Schwierigkeiten bei der Suche nach Hofnachfolgern ergeben.

Zeichen der Zeit

Diese Schwierigkeiten sind Alois Wyss und Ernest Schläfli bekannt. «Die Menschen sind das eine, die Veränderungen das andere», sagt der ehemalige Schwinger. «Wir können nicht am Alten hängenbleiben. Das ist Geschichte. Wir können vielleicht einiges erhalten, aber wir können uns nicht den Veränderungen komplett verwehren», ist er sicher und zitiert «Gehe mit der Zeit, sonst gehst du mit der Zeit.»

Dass ausgerechnet ein 80-Jähriger und ein 76-Jähriger eine Firma gründen, die der Schweizer Landwirtschaft der nächsten20 Jahre gute Dienst tun soll, finden die beiden nicht abwegig. Und passend dazu klingelt wieder Schläflis altes Nokia. Daran wird er wohl noch länger nichts ändern. Weder am Gerät nochan seiner Erreichbarkeit.