Mit dem Frühlingserwachen startet auch das Projekt der Baselbieter Wiesentouren in eine neue Runde. Zum fünften Mal laden Pro Natura Baselland, der Bauernverband beider Basel und Baselland Tourismus gemeinsam mit zahlreichen Partnern – und vor allem den Bauernfamilien – dazu ein, die artenreichen Wiesen und ihre sorgfältige Bewirtschaftung zu entdecken. Neu begehbar sind dieses Jahr die Touren «Arboldswil–Titterten» und «Dittingen–Laufen».
Die Touren führen durch Wiesen, die im Rahmen der Wiesenmeisterschaften 2020 ausgezeichnet wurden. Über QR-Codes an Infoposten erfahren Besucherinnen und Besucher mehr über die Bedeutung der Wiesen für die Biodiversität, über ihre Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter sowie über die Herausforderungen der extensiven Pflege. Zusätzlich bieten geführte Wanderungen und regionale Produkte ein «sinnliches Erlebnis mit Lerneffekt.»
Wir haben Meret Halter, Projektleiterin bei Pro Natura Baselland, nach der Bedeutung der Wiesentouren für die Landwirtinnen und Landwirte, den Naturschutz und den Tourismus gefragt.
Meret Halter, wie profitieren die Landwirtschaftsbetriebe konkret von der Beteiligung an den Wiesentouren – sei es ökologisch, wirtschaftlich oder im Kontakt mit der Bevölkerung?
Meret Halter: Die Wiesentouren sind ein Projekt, das in erster Linie sensibilisiert und Wissen über die Wiesen und deren Bewirtschaftung vermittelt. Vielen Menschen ist nicht mehr klar, was die Bewirtschaftung von Wiesen bedeutet und wie wichtig eine extensive, also eine nicht intensive Pflege für vielfältige Wiesen ist. Die Touren machen somit auf die sonst nur selten sichtbare Arbeit von Bauern und Bäuerinnen für die Biodiversität aufmerksam und sollen zur Wertschätzung dieser wichtigen Arbeit beitragen.[IMG 3]
Welche Rolle spielen die Bäuerinnen und Bauern bei der Gestaltung und Umsetzung der Wiesentouren, und wie wird ihre Arbeit sichtbar gemacht?
Die Touren führen durch mehrere Wiesen, welche im Rahmen der Wiesenmeisterschaften 2020 aufgrund ihrer Vielfalt ausgezeichnet wurden. Die vielfältigen Wiesen zeigen die langjährige und sorgfältige Pflege, meist über Generationen, direkt auf. Auf drei Wiesen machen die Bewirtschafter es sogar möglich, auf ausgemähten Wegen in die Wiese einzutauchen. Die Postenbeschriebe der Touren weisen dabei die wertvollen Wiesen und ihre Bewirtschafter aus und beantworten spannende Fragen rund um das Thema vielfältige Wiesen.
Worum geht es?
Die Baselbieter Wiesentouren sind thematische Wanderwege, die Natur, Landwirtschaft und Tourismus miteinander verbinden. Ziel ist es, den Besucherinnen und Besuchern die Bedeutung und Vielfalt der Wiesen im Baselbiet näherzubringen – insbesondere ihre ökologische, landschaftliche und landwirtschaftliche Rolle. Die Touren zeigen, wie Bauern mit ihrer Arbeit zur Biodiversität und zur Pflege der Kulturlandschaft beitragen. Auf Infoposten mit QR-Codes lernen Wanderer mehr über Wiesen, ihre Bewirtschafter (Landwirte) und ihre Geschichte.
Die Zusammenarbeit mit dem Bauernverband beider Basel ist zentral – wo sehen Sie hier die grössten gemeinsamen Interessen und auch mögliche Spannungsfelder?
Ich denke, das grösste gemeinsame Interesse ist auch das grösste Spannungsfeld. Es ist unbestritten, dass die Biodiversität wichtig ist, die Prioritäten sind jedoch jeweils etwas anders verteilt. Eine Zusammenarbeit wie bei den Wiesenmeisterschaften oder den Wiesentouren ist auch in Zukunft wünschenswert und zeigt, dass wir durchaus gemeinsame Interessen haben.
Wie gelingt es, Naturschutzanliegen mit den wirtschaftlichen Realitäten der Landwirtschaft in Einklang zu bringen – etwa bei extensiv genutzten Wiesen?
Weniger intensiv bewirtschaftete Wiesen kann man weniger oft mähen und sie bringen darum nicht den gleichen wirtschaftlichen Nutzen. Allerdings ist nicht jede Wiese flach und tiefgründig und hat somit oft kein grosses wirtschaftliches Potenzial. Viele der heute wertvollen Wiesen sind nur schlecht zugänglich oder an steilen Hängen. Damit die oft trotzdem aufwendige Pflege vergütet wird, gibt es ja bereits funktionierende Werkzeuge in der Landwirtschaft – Stichwort Direktzahlungen, welche Leistungen für die Biodiversität vergüten. An anderen Orten können auch wir projektweise unter die Arme greifen. Es bleibt allerdings trotzdem eine traurige Tatsache, dass seit 1900 rund 95 % der artenreichen Wiesen und Weiden der Schweiz verschwunden sind. Umso wichtiger ist es, die verbliebenen Wiesen zu erhalten und ihre Bewirtschafter zu unterstützen.
Wie erleben Sie den Spagat zwischen ökologischen Zielen und dem ökonomischen Druck, unter dem viele Betriebe stehen – besonders bei schlecht zugänglichen Flächen?
Die «wirtschaftlichen Realitäten» der Schweizer Landwirtschaft werden vor allem durch den Umstand geprägt, dass die Landwirtinnen und Landwirte ihr Einkommen hauptsächlich mit Fleisch- und Milchprodukten erzielen, aber ihnen die Grossverteiler für diese Produkte keine fairen Preise bezahlen und die Konsumentinnen und Konsumenten nach wie vor auf Masse statt Klasse setzen. Entsprechend hoch ist der Nutzungsdruck auf landwirtschaftlichen Flächen. Eine Verschiebung hin zu Produktion und Konsum von mehr pflanzlichen Lebensmitteln und gleichzeitig nachhaltigere Fleisch- und Milchwirtschaft würde diesen Nutzungsdruck verringern. Die Vereinbarkeit von Lebensmittelproduktion und Förderung der Biodiversität würde somit erleichtert.
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Die «Knabber-Kiste» und das regionale Angebot entlang der Routen sind ein Publikumsmagnet – wie sehen Sie das Potenzial der Direktvermarktung im Rahmen solcher Tourismusprojekte?
Man sagt ja, der Mensch lerne mit allen Sinnen. Das kulinarische Angebot ist darum eine willkommene Auflockerung. Spass beiseite: Direktvermarktung von diversen lokalen Produkten kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um vielfältige Landwirtschaftsflächen zu erhalten. Ich denke hier unter anderem an die Hochstammobstbäume. Ein Potenzial, das unbedingt weiter genutzt werden soll.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Bäuerinnen und Bauern, die an den Wiesentouren beteiligt sind – und was könnte aus Ihrer Sicht noch verbessert werden?
Aus den Rückmeldungen weiss ich, dass es vielen Bäuerinnen und Bauern ein Anliegen ist, dass die Bevölkerung sensibilisiert wird. Neben Wertschätzung und Anerkennung der geleisteten Arbeit sind insbesondere auf Schulklassenexkursionen auch die Verhaltensregeln ein zentrales Thema. Luft nach oben haben sicherlich die Besucherzahlen der Touren, hier sind wir zusammen mit Baselland Tourismus gefordert.
Wie geht es weiter mit den Wiesentouren – sind neue Routen oder Partnerschaften mit weiteren Höfen geplant, und wie können interessierte Landwirte sich einbringen?
Noch ist nicht klar, wie es weitergeht. Am Ende dieser Saison werden wir im Austausch mit allen Beteiligten ein Fazit ziehen. Wenn es weitergeht, dann wird es sicher einige Neuerungen geben. Und klar, sind sich einbringende Landwirte immer willkommen.