An solch einem schönen Sommertag sind die Vorzüge des Älplerlebens auch für Nicht-Bergler leicht nachvollziehbar. Das Glockengeläut der weidenden Kühe im Ohr, die imposanten Gipfel von Ruchen und Windgällen im Blickfeld und dazu noch ein Keller voll bestem Alpkäse. Doch verliert dieses Idyll bei grauem Regenwetter nicht schnell seinen Glanz? «Das Küheholen an einem Regentag ist erfüllender als jede Yoga-Session oder Meditationsrunde. Man nimmt die Umgebung mit allen Sinnen wahr, solche Momente erden enorm», antwortet Edith Gisler-Arnold überzeugend.
Seit ihrer Kindheit verbringt die 50-jährige Urnerin fast jeden Sommer auf der Alp. In ihrer Jugendzeit mit ihren Eltern in der Nähe des Klausenpasses, seit rund 30 Jahren nun mit ihrem Mann Hanspeter Gisler und ihren drei Kindern auf der Sittlisalp oberhalb des Brunnitals bei Unterschächen.
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35 000 Tiere gealpt
Die Alpwirtschaft hat im Kanton Uri eine enorme Bedeutung, rund drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Flächen sind Alpweiden. Auf den 27 000 Hektaren werden rund 35 000 Tiere gealpt, 3600 davon sind Milchkühe. Gekäst wird auf 70 der total 280 Alpen. Der grösste Teil der Alpbetriebe wird noch von Familien bewirtschaftet. «Die Urnerinnen und Urner sind mit der Alpwirtschaft stark verwurzelt, wir haben im Moment glücklicherweise viele junge und motivierte Älplerfamilien», so Edith Gisler-Arnold, die seit rund einem Jahr als Vorstandsmitglied des Urner Bauernverbandes in der Alpkommission mitarbeitet.
Das Älplerleben erdet
Die Alpen seien nicht nur wirtschaftlich bedeutend, weil viele Urner Talbetriebe über eher kleinere Strukturen verfügten und dank der Sömmerung auf den Heimbetrieben mehr Winterfutter einbringen könnten. Das Älplerleben habe auch einen positiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung, erde die Menschen und sei insbesondere für Jugendliche eine wichtige Lebensschule.
Gerade in Zeiten von Social Media und digitalem Stress zeige das Älplerleben, dass es nicht viel brauche, um glücklich zu sein. Auch ihre drei erwachsenen Kinder Céline, Nicole und Mario schätzen es immer wieder, auf ihre Alp Hinterer Boden zurückzukehren. Sohn Mario, der bereits eine Ausbildung zum Maurer und Metzger machte, absolviert aktuell die Nachholbildung Landwirt. Aus diesem Grund arbeitet er über den Sommer auf der elterlichen Alp. «Dadurch wurden mein Mann Hanspeter und ich entlastet und haben wieder Zeit neue Projekte», so Edith Gisler-Arnold.
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Austausch mit Politik
Trotz aller Vorzüge des Älplerlebens sei es wichtig, dass die Familien infolge des zu hohen Arbeitsanfalls nicht überlastet würden. «Wir vom Urner Bauernverband setzen uns darum bei der Politik für gute Rahmenbedingungen ein. Dazu gehören insbesondere eine gute Erschliessung und zeitgemässe Infrastrukturen.»
Die Urner Landwirtschaft sei zwar sowohl im Regierungsrat als auch im Landrat gut vertreten, dennoch bleibe der intensive Austausch mit der Politik eine Daueraufgabe. «Die Strukturen der Urner Betriebe sind nicht immer optimal, wir haben mehrheitlich hohe Gebäude- und Maschinenkosten und können diese nur auf eine kleine Fläche verteilen», so Edith Gisler-Arnold weiter. Auch auf ihrem eigenen zehn Hektar grossen Betrieb müssten neben der Alp an drei Standorten total neun Gebäude unterhalten werden.
Kühe nur im Sommer
Edith und Hanspeter Gisler-Arnold mussten den elterlichen Betrieb von Hanspeter infolge eines tragischen Todesfalls bereits mit 21 Jahren übernehmen. Sie haben den Hof in den letzten drei Jahrzehnten laufend weiterentwickelt. Speziell ist ihre Milchviehhaltung: Die beiden besitzen zwar gut 20 Milchkühe, melken diese aber nur im Sommer auf der Alp. Die restlichen gut acht Monate des Jahres sind die Kühe bei anderen Bauern verstellt.
«Das geht nur, weil wir mit sehr guten Partnerbetrieben zusammenarbeiten können», erklärt die Bäuerin. Sie selber halten über die Wintermonate nur Jungvieh. Dies ermöglicht dem Betriebsleiterpaar, einem Nebenerwerb nachzugehen. Momentan sei die Arbeitsmarktsituation für die Urner Älpler positiv, die grosse Mehrheit finde bei Bedarf über den Winter eine Stelle.
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Melken und Büroarbeit
Da Junior Mario heuer auf der Alp arbeitet, geht Edith Gisler-Arnold dieses Jahr auch während der Alpzeit drei Tage auswärts arbeiten. Einen Tag ist sie in der nahegelegenen Alpkäserei Sittlisalp tätig (siehe Kasten), zwei Tage fährt sie ins Tal, wo sie in einem Sportgeschäft im Marketing, Verkauf und Rechnungswesen arbeitet. «Mein Alltag ist momentan extrem abwechslungsreich. Ich geniesse sowohl meine Arbeit mit den Kunden als auch die das Melken unserer Kühe.»
Monotonie kenne sie nicht, entsprechend gering sei ihr Bedürfnis nach Ferienzeit. «Auch wenn das viele nicht glauben, mein Mann und ich haben überhaupt kein Verlangen nach aufwendigen Ferientrips, die Alpzeit und die Nebenerwerbe bringen genug Abwechslung in unseren Jahresablauf.» Hanspeter freue sich zudem auf die alljährliche Jagd, sie selber geniesse ihre Auszeiten gerne in den Wanderschuhen oder auf den Langlaufski.
Alp-Kultur weitergeben
Edith Gisler-Arnold blickt angesichts der vielen jungen Älplerfamilien positiv in die Zukunft der Urner Alpwirtschaft. Ein Wermutstropfen sei die Grossraubtier-Situation. Gerade kleinere Schafhaltungen würden im Kanton Uri aus Resignation aufgegeben, wodurch infolge fehlender Tiere auch die Nutzung von Alpweiden gefährdet werde. Auch oberhalb der Sittlisalp befinde sich eine Schafweide, die seit zwei Jahren nicht mehr bestossen werde. «Ich hoffe aber, dass wir Urner Älpler auch diese Herausforderung meistern können und so unsere alpwirtschaftliche Kultur an die kommende Generation weitergeben können», betont Edith Gisler-Arnold abschliessend.
Sittlisalp, Wandergebiet mit bekanntem Alpkäse
Die auf rund 1600 m ü. M. gelegene Sittlisalp besteht aus neun Alpbetrieben. Weidete das Vieh früher noch auf Gemeinschaftsweiden, hat heute jeder Betrieb seinen eigenen Ober- und Unterstafel. Heuer werden auf der Sittlisalp gegen 200 Kühe gemolken.
Die Milch wird in die zentral gelegene Genossenschaftskäserei auf der Sittlisalp geliefert. Seit zwei Jahren wird diese durch die Betriebsleiter Elisabeth Stirnemann und Florian Geisseler geführt, nachdem der Betrieb vorher während über 40 Jahren von der Familie Maria und Toni Horat aufgebaut und geleitet wurde. Die rund 260 000 Kilogramm Milch werden nicht nur zum bekannten Sittlisalp-Alpkäse, sondern auch zu Mutschli und weiteren Milchprodukten verarbeitet. Diese Produkte werden von der Alpsennengenossenschaft Sittlisalp selber vermarktet. Ein Teil der Produkte kann an mehrere Läden im Kanton Uri geliefert werden. Aber auch der Direktverkauf an der Theke der Alpkäserei selber ist bedeutend. Das Käsereigebäude inklusive Sonnenterrasse und Verkaufstheke liegt herrlich gelegen an einem vielbegangenen Wanderweg oberhalb des Brunnitals, welcher über eine Bergbahn bequem zu erreichen ist.
Besucherrekord an der Bodäfahrt 2025
Aufgestellte Älplerfamilien, geschmückte Sennten und imposantes Glockengeläut: So viele Zuschauer wie noch nie genossen am letzten Samstag bei prächtigem Sommerwetter die «Bodäfahrt» 2025. Besucherinnen und Besucher aus der Innerschweiz, aus der Ostschweiz, aus dem Bernbiet und sogar dem grenznahen Ausland konnten dabei ausgemacht werden. Als «Bodäfahrt» wird das Zurückkehren der Viehsenten von den verschiedenen Oberstafeln auf den Urnerboden bezeichnet.
Bereits am 31. Mai war heuer auf dem Urnerboden, der grössten Kuhalp der Schweiz, Alpauffahrt. Nach vier Wochen auf dem Urnerboden zogen die Sennten auf die Oberstaffel, sieben Wochen später kehrten sie auf den Urnerboden zurück. Dort werden sie nun noch zwischen zwei bis vier Wochen bleiben.
Auf Nachfrage bei den Älplern wurde der Sommer 2025 für die Alpwirtschaft in der Region Klausenpass als gut bezeichnet. Die regnerischen drei Wochen im Juli hätten nach den trockenen Juni-Wochen eine Wasserknappheit verhindert. Zudem habe es kein Schneewetter gegeben und auch Hagelschläge seien praktisch ausgeblieben.