Drei Entwicklungen prägten die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders stark: das Wachstum der Industrie, die Bevölkerungszunahme in den Städten und die Globalisierung der Produktion von Nahrungsmitteln.

Mit dem Export von Käse und dem Import von Brotgetreide wurde das gelbe, bislang durch den Ackerbau geprägte Mittelland in eine grüne, Viehwirtschaft betreibende Landschaft verwandelt. Gleichzeitig platzten die städtischen Arbeiterquartiere aus allen Nähten.

Und die Einkommen mussten trotz des Engagements der Gewerkschaften für höhere Löhne vor allem für den Kauf von Lebensmitteln eingesetzt werden.

Wurzeln von Coop und Volg

Mit der Gründung von Konsumvereinen versuchten Arbeiter und Angestellte, den Zwischenhandel beim Kauf von Nahrungsmitteln auszuschalten und so die Kaufkraft ihrer Löhne zu steigern. Als sich die lokalen Vereine 1890 im Verband Schweizerischer Konsumvereine (VSK; heute: Coop) zusammenschlossen, wurde die Konsumbewegung zu einem ernst zu nehmenden Akteur im Lebensmittelhandel.

Ähnliche Bestrebungen gab es unter den Bauern. Sie gründeten neben Verbänden auch Genossenschaften, um gemeinsam Futtermittel, Geräte und Maschinen einzukaufen und landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen. Anders als die Konsumvereine schlossen sich die landwirtschaftlichen Genossenschaften in den 1880er-Jahren nicht in einem gesamtschweizerischen, sondern in Regionalverbänden zusammen. In der Ostschweiz im Verband ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Volg), im Bernbiet im Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften von Bern und Umgebung (VLG).

Gleiche Anliegen

Der organisatorische Zusammenschluss der Bauern und der Arbeiter akzentuierte Konflikte zwischen Stadt und Land, Produzierenden und Konsumierenden. Aber zugleich gab es auch Bestrebungen, die gemeinsamen Anliegen in den Vordergrund zu rücken.

Im agrarischen Bereich war es vor allem Conrad Schenkel, der Gründer des Volg, der die Nähe von Produzenten und Konsumenten betonte. Schenkel erkannte nicht nur die grosse Bedeutung der Landwirtschaft als Konsumentin, er rückte auch die gemeinsamen Anliegen von Bauern und Arbeitern ins Zentrum. Auch Johann Friedrich Schär, ein ehemaliger Käsehändler, der sich von Anfang an im VSK engagierte, verwies auf die gemeinsamen Anliegen von Produzenten und Konsumenten im Ernährungsbereich.

Schär und Schenkel waren dann auch die entscheidenden Köpfe bei der Entstehung des Schweizerischen Genossenschaftsbundes (SGB) 1898, also vor genau 125 Jahren.

Bund geschlossen

Gegründet wurde der Genossenschaftsbund vom Verband der Konsumvereine und vom Volg. Im Vorstand aktiv waren von der bäuerlichen Seite her u. a. Heinrich Abt und Stefan Gschwind.

Bei der Gründung standen zwei Anliegen im Vordergrund: Erstens der Kampf gegen die Bestrebungen, die gemeinnützigen Genossenschaften nach dem gleichen Muster zu besteuern wie die gewinnorientierten Aktiengesellschaften. Und zweitens: Die Schaffung eines Genossenschafts-freundlicheren Klimas in Wirtschaft und Gesellschaft.

Konkret setzte sich der Genossenschaftsbund bei der ETH für die Schaffung eines Lehrstuhls für das Genossenschaftswesen ein. Zudem schuf er eine genossenschaftliche Bibliothek und intervenierte bei den Behörden für eine Genossenschafts-freundliche Steuerpolitik. Allerdings funktionierte der Genossenschaftsbund nur kurze Zeit. Ende 1902 trat der Volg wieder aus, weil der Verband der Konsumvereine zusammen mit Handelskreisen, Metzgern und Hoteliers den neuen, neben Industrie- auch Agrarzölle beinhaltenden Generalzolltarif bekämpfte.

Doch mit dem Ausbau der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Verband der Konsumvereine und den Genossenschaftsverbänden der Bauern näherten sich die Genossenschaften der Produzenten und der Konsumenten wieder an.

Man rückt zusammen

Im Ersten Weltkrieg wurden die Kontakte eng und der Austausch und die Zusammenarbeit systematisch. Nach dem Krieg gab es Versuche, den Genossenschaftsbund zu reaktivieren. Diese Bestrebungen führten 1934 zur Gründung des Schweizerischen Ausschusses für zwischengenossenschaftliche Beziehungen, dem neben dem VSK, dem Volg und der Vereinigung Landwirtschaftlicher Genossenschaftsverbände nun auch der Schweizer Bauernverband als Mitglied angehörte, obwohl Letzterer gar keine Genossenschaft war.

Interessant und bezeichnend zugleich ist, dass heute, 125 Jahre nach der Gründung des Schweizerischen Genossenschaftsbundes, weder Coop noch die Fenaco durch irgendwelche Aktionen auf die von ihren Vorgängerorganisationen gemeinsam gegründete Institution des Genossenschaftsbundes hinweisen. Was die Frage aufwirft, weshalb bestimmte Jubiläen gefeiert und andere ignoriert werden.

Zusätzliche Informationen

Mehr Informationen zu Conrad Schenkel, Johann Friedrich Schär, dem Schweizerischen Genossenschaftsbund und den anderen im Text erwähnten Personen und Institutionen finden sich im Online-Portal des Archivs für Agrargeschichte unter www.histoirerurale.ch/pers