Draussen regnet es in Strömen. Die etwa 40-köpfige Original-Zwergzebu-Mutterkuhherde ist heute im Stall zu finden. Die fremde Besucherin wird, nachdem sie das Gatter hinter sich geschlossen hat, von allen Seiten mit Neugier und unmissverständlichen Aufforderungen zu ein paar Streicheleinheiten empfangen. Ihre Besitzer, Ursi und Urs Gmür, erklären, welches Tier wie heisst und welche verwandtschaftlich zusammengehören.
Ruhig und bedächtig
Es ist rund acht Jahre her, seit die Zwergzebus auf dem Hof im st. gallischen Bernhardzell Einzug gehalten haben. Das Ehepaar Gmür hatte zuvor den Betrieb von Urs' Eltern übernommen, um ihn im Nebenerwerb weiterzuführen. Dass sie Mutterkühe zur Fleischgewinnung halten wollten, war von vornherein klar, weil sich dies mit ihrer ausserbetrieblichen Berufstätigkeit vereinbaren lässt. «Zunächst galt es jedoch, eine Rasse zu finden, die am besten zu uns passt», erinnert sich Ursi Gmür, die vor der Hofübernahme die Landwirtschaftsschule absolviert hatte. «Dann fand ich beim Googeln im Internet Zwergzebu-Rinder. Da diese klein sind wie ich und als ruhig und bedächtig gelten, waren wir sofort interessiert.» Gmürs nahmen Kontakt mit Züchtern aus der Schweiz und Deutschland auf und schon bald konnten sie eine Herde von 20 Tieren auf den Hof holen. Sie haben es nie bereut. «Die Rinder machen uns mit ihrer zutraulichen Art viel Freude», sagt Urs Gmür. «Nach der Stallarbeit setzen wir uns gerne eine Weile zur Herde, ihre entspannte Art wirkt sehr beruhigend.»
Die Fellfarbe entwickelt sich nach der Geburt
Inzwischen ist die Herde auf 60–70 Tiere angewachsen. Die herangewachsenen Kühe bleiben entweder auf dem Hof oder werden als Zuchttiere verkauft. In der Schweiz gibt es einige Betriebe, die ebenfalls Zwergzebus halten. Die Stiere werden in der Regel geschlachtet, sofern sie nicht zur Zucht eingesetzt werden. Unter den Züchtern von Original Zwergzebus werden Stiere zur Blutauffrischung der Herde gerne ausgetauscht. Der derzeitige Hauptstier bei Gmürs heisst Torpedo, sein Fell ist braun mit weissen Sprenkeln. Weitere Hauptfarben sind weiss, rot, schwarz und grau, wobei Kombinationen je nach Anpaarung häufig vorkommen. «Interessant ist, dass die Fellfarbe erst einige Monate nach der Geburt definitiv erkennbar ist», stellt Ursi Gmür fest. «Dagegen gibt sich der Charakter eines Tieres schon nach kurzer Zeit zu erkennen».
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Torpedo heisst der Hauptstier der Zwergzebu-Herde. Hier sieht man deutlich den Buckel, der vor allem aus Muskeln besteht.
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Zwergzebus gelten als sozial und umsichtig. Die Kühe passen auch auf fremde Kälber auf.
Steckbrief Zwergzebu
Das Zwergzebu ist eine domestizierte Buckelrindrasse, die aus Sri Lanka stammt. Das Stockmass beträgt 80–110 Zentimeter (Kühe) und 90–120 cm (Stiere). Das Gewicht der Kühe beträgt 250–300 kg, dasjenige der Stiere gegen 400 kg. Auffälliges Merkmal ist wie bei allen Zebus der Buckel über dem Widerrist, der vor allem aus Muskeln besteht. Dessen ursprüngliche Funktion liegt im Dunkeln. Das robuste Zwergzebu ist ein ruhiges und genügsames Rind, welches die Weiden schont und pflegt.
Weitere Informationen: www.originalzwergzebu.ch
Mehr über Zebus lesen Sie im Porträt der Familie Lobsiger aus Wünnewil FR.
Auf Erkundungstour
Ein Merkmal der Zwergzebus ist, dass sie sehr sozial und umsichtig sind. Die Kühe würden auch auf fremde Kälber achtgeben und diese lecken. So habe etwa die alte Leitkuh, die von den anderen nicht mehr als solche akzeptiert wurde, als Aufpasserin bei den entwöhnten Jungtieren eine neue Aufgabe übernommen.
Die Kühe werden mit zwei Jahren geschlechtsreif und sind gebärfreudig. Auf Damaris trifft dies besonders zu, sie bringt alle zehneinhalb Monate ein Kalb zur Welt. Die Trächtigkeit dauert wie bei anderen Rinderrassen etwa neun Monate und eine Woche. «Die Geburt läuft in der Regel sehr schnell ab, ohne dass Hilfe notwendig würde», so Ursi Gmür. Ein neugeborenes Zwergzebu-Kalb ist nur etwa zehn Kilogramm schwer. Auf der Weide kann die geringe Grösse der Kälber tückisch sein: «Die Kleinen geraten bei ihren Erkundungstouren schnell einmal unter dem Hag hindurch», erzählt Urs Gmür «Daher mussten wir teils die Zäune mit vier Litzen ausrüsten». Gmürs können viele schöne Erlebnisse mit den Zwergen erzählen. So wurde eines einst nach langer Suche im Eingangsbereich des Hauses gefunden, friedlich schlafend auf der Decke des Hofhundes.
Sind die Jungtiere nach zehn, elf Monaten entwöhnt, werden sie jeweils zu zweit in die Aufzuchtgruppe eingegliedert. Die «Buäbägruppe» in einem anderen Stalltrakt setzt sich aus Stieren verschiedenen Alters zusammen, vom Jungspund bis zum ausgewachsenen Muni. «Der Umgang mit Zwergzebu-Stieren ist unkompliziert», stellt Urs Gmür fest. «Selbst der Muni in der Herde ist umgänglich und friedlich». Bei den Mutterkühen sollten Fremde die Weide nicht betreten, da diese einen ausgeprägten Schutzinstinkt für ihre Jungtiere besitzen.
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Unkomplizierter Umgang mit den Stieren: Auch im «Buäbästall» sind Besucher willkommen.
Gäste sind willkommen
Für die extensive Weidebewirtschaftung sind Zwergzebus geradezu prädestiniert: Sie werden ausschliesslich mit Gras und Heu gefüttert, wobei sie pro Tag etwa 3–5 Kilo Trockensubstanz fressen. Zudem bringt eine ausgewachsene Kuh höchstens 300 Kilogramm auf die Waage, was dem Zustand der Weiden sehr zuträglich ist. Das Fleisch ist feinfaserig, rot und enthält wenig Cholesterin. Damit es genügend reif ist, wartet man mit dem Schlachten bis zum Alter von drei Jahren. Etwa einmal pro Monat bringen sie einen Stier zum Kundenmetzger in fünf Kilometern Entfernung. Ein Muni bringt etwa 100 Kilogramm Schlachtfleisch, wovon alles verwertet wird und in vielen Varianten erhältlich ist, als Frischfleisch oder verarbeitet, beispielsweise als Schinken, Salami und Würste verschiedener Art. Erhältlich ist das Angebot im Hofladen, via Homepage oder während der Saison am Wochenmarkt Arbon. Auch lokale Restaurants haben das Zwergzebufleisch auf die Menükarte gesetzt. Urs und Ursi Gmür wollen jedoch nicht nur Fleisch verkaufen, sondern mit Freude Interessierten zeigen, was Zwergzebus sind. «Als wir die ersten Exemplare auf den Hof holten, waren viele aus der Umgebung gespannt, weil sie diese Rinderrasse nicht kannten», sagt Ursi Gmür. «Inzwischen kennt man die Zwergzebus und ihr schmackhaftes Fleisch» Gäste sind herzlich willkommen: Wer auf den Hof kommt, darf sich die Herde gerne anschauen.
Betriebsspiegel
Name: Ursi und Urs Gmür
Ort: Oberbleichenbach, Bernhardzell SG
Nutzfläche: 14,4 ha, hauptsächlich Weideland
Tiere: 60–70 Original Zwergzebus, einige Hühner, ein grosser Schweizer Sennenhund und fünf Katzen
Kulturen: 160 Hochstammobstbäume (Apfel, Birne, Zwetschge, Kirsche)
Produkte: Fleisch vom Zwergzebu, Edelbrände (z. B. Gin), Most, Tafelobst. Vermarktung via Hofladen, Homepage, Wochenmarkt und Gastronomie
Weitere Informationen: www.zwergzebuhof.ch