«Es fühlt sich ganz warm an», sagt D. etwas überrascht. Der ältere Mann sitzt mit einem Huhn auf dem Arm auf einer Bank, mit Blick auf die Stockhornkette. «Das wusste ich nicht, ich habe das noch nie gemacht.» D. – sein Name wird aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes hier nicht genannt – ist einer von drei Männern, die an diesem Herbsttag auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Oberdiessbach BE den Tag verbringen. Auf dem Hof Oasis bieten Magdalena und Manuel Amstutz Tagesstrukturen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen an.

Dass Landwirtschaftsbetriebe auch soziale Dienstleistungen anbieten, ist nichts Neues, Tagesbetreuung aber selten. «Betreutes Wohnen auf dem Hof anzubieten, ist fast wie eine Berufung», meint Magdalena Amstutz. Sie selbst hätte wohl Rollenkonflikte, sowohl ihrer Tochter als auch den Klientinnen und Klienten gegenüber. «Für uns ist daher die Tagesbetreuung ideal, so können wir uns gezielt auf die Teilnehmenden einlassen, haben aber auch Zeit als Familie.»

Magdalena und Manuel Amstutz leben seit rund anderthalb Jahren auf dem Hof Oasis im Haslifeld. Davor bewirtschafteten die Eltern einer dreijährigen Tochter einen Biobauernhof in Rebévelier im Berner Jura. Zu dessen Betriebszweigen gehören Mutterkuhhaltung, Fleischdirektvermarktung, Hühnermast, Getreideproduktion und Futterbau. «Dort gibt es gerade mal fünf Bauernhäuser und sonst gar nichts», sagt Magdalena Amstutz. «Es lief gut, doch wir waren etwas isoliert.»

Mehr Kontakt mit Menschen

Ihr Mann ist nicht nur gelernter Landwirt, sondern auch Landmaschinenmechaniker und hatte früher als Werkstattleiter und Aussendienstmitarbeiter viel Kontakt mit Menschen. Magdalena Amstutz ist ausgebildete Ergotherapeutin und arbeitete damals in einer sozialen Institution in Biel. «Wir suchten nach Möglichkeiten, wie wir unseren schon lange gehegten Traum von der Kombination unserer Berufe an ein und demselben Ort verwirklichen könnten», erzählt sie weiter. Während der Suche hängten sie unter anderem im Coop in Oberdiessbach ein Inserat mit ihren Wünschen auf. Daraufhin meldet sich der Vorbesitzer des Hofs im Haslifeld.

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Er hatte den Betrieb zwar verkauft, doch noch fehlten Pächter, die auch bereit waren, soziale Dienstleistungen anzubieten. Denn der neue Besitzer war die Georges-Avenue-Stiftung: Der Hof sollte zu einem Pilot- und Anschauungsbetrieb für «Landwirtschaft und Tagesbetreuung» werden, um dieses Modell in der Schweiz zu fördern. Das Ehepaar Amstutz war schnell von der Idee überzeugt. Sie suchten und fanden einen Mitarbeiter, der nun auf dem Hof in Rebévelier im Berner Jura arbeitet und wohnt. «Hier in Oberdiessbach können wir beide Berufe leben und sind ans Dorf angeschlossen», so Magdalena Amstutz.

Die Tagesbetreuung ist geeignet für erwachsene Menschen mit kognitiven, physischen und/oder psychischen Beeinträchtigungen, etwa Männer und Frauen mit Einschränkungen nach einem Schlaganfall oder einer Hirnverletzung, mit Demenz, dem Down-Syndrom, Autismus, Depressionen, Angst- oder posttraumatischen Belastungsstörungen.

In kleinen Gruppen

Auf dem Hof können die Frauen und Männer in Kleingruppen etwa bei der Obst- und Beerenernte helfen oder bei der Pferdepflege, beim Eiersammeln und beim Hühnerfüttern. Sie können jetzt im Herbst Zwetschgen und Kürbisse verarbeiten oder Vogelhäuschen für den Weihnachtsmarkt zimmern und bemalen. «Die Menschen können bei uns etwas Sinnvolles tun, am Bauernalltag mitwirken, die Natur spüren. Jede und jeder hat seine Stärken», erklärt Magdalena Amstutz. Ihr Mann bereitet jeweils alles gut vor und ist ständig dabei.

«Es ist ein anderes Arbeiten als auf dem Hof im Jura», bestätigt Manuel Amstutz, der im Frühling am Inforama die Ausbildung «Betreuung im ländlichen Raum» abgeschlossen hat. «Hier habe ich viel Kontakt und es ist schön, zu sehen, wie viel Freude die Menschen bei uns haben.»

Seine Frau bietet auf dem Hof Ergotherapie an, je nach ärztlicher Verordnung auch für die Menschen in der Tagesstruktur. Dabei werden Alltagsfertigkeiten trainiert, die zum Beispiel als Folge eines Unfalls, einer Krankheit oder aus anderen Gründen beeinträchtigt sind. Ein Landwirtschaftsbetrieb bietet dazu eine Vielzahl an Möglichkeiten, um gezielt verschiedenste Fähigkeiten und Fertigkeiten zu trainieren.

Traumberuf seit Kindertagen

Ergotherapeutin sei immer ihr Traumberuf gewesen, erzählt Magdalena Amstutz, «ich wollte nie etwas anderes werden.» Ihr Vater hatte einen schweren Velounfall, als sie acht Jahre alt war. Anziehen, laufen, essen – er musste alles neu lernen. «Ich habe ihn oft in die Ergotherapie begleitet.» Auch er kommt nun regelmässig auf den Hof und hilft mit. «Seither ist er selbstständiger geworden, braucht seine Gehstöcke weniger.» Da die Nachfrage gross ist, arbeitet eine zweite Ergotherapeutin einen Tag pro Woche auf dem Hof.

Zu den weiteren Betriebszweigen des Hofs Oasis gehören eine Alterspension für Pferde, ein Hofladen mit Café und etwas Wald. «Wir haben kaum Maschinen und die fünf Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche sind alles Weiden», sagt Manuel Amstutz. Einen Tag pro Woche arbeitet er aber auch gern auf dem abseits gelegenen Biobetrieb im Jura, «Der ist mehr auf Produktion ausgerichtet, das ist ein guter Ausgleich.»

Noch in der Aufbauphase

Die Tagesstruktur wird derzeit an zwei Tagen angeboten. Die Betreuung kostet inklusive Znüni, Mittagessen und Zvieri 90 Franken pro Tag. Das müssen die Klientinnen und Klienten derzeit selbst bezahlen, doch man sei mit Behörden, der IV und Krankenkassen im Gespräch. «Wir sind am Aufbauen von Beziehungen», erklärt Magdalena Amstutz, auch mit Organisationen wie Fragile Suisse oder Alzheimer Bern. Noch seien sie in der Start- und Aufbauphase. Ab Januar 2025 übernehmen sie den Hof offiziell als Pächter.

Der Tag beginnt für die Klientinnen und Klienten um 9 Uhr mit dem Znüni und endet um 16.30 Uhr nach dem Zvieri, zu dem es heute eine selbst gebackene Apfelwähe mit Früchten vom Hof gab. «Die war im Nu weg», sagt Manuel Amstutz schmunzelnd. Die drei älteren Männer der Gruppe sind jede Woche auf dem Hof, sie kennen sich. Eine jüngere Frau kam zu einem Schnuppertag dazu. «Die Menschen bekommen einen anderen Fokus auf dem Hof.» Es gebe für alle etwas zu tun. «Denn jeder Mensch hat das Bedürfnis, dazuzugehören und etwas Sinnvolles zu bewirken.»

Weitere Informationen: www.haslifeld.ch