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Nach einem Austausch via Leserbriefe im «Schweizer Bauer» lädt die BauernZeitung Anne Challandes, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV) und Claudia Capaul, pensionierte Biobäuierin, zu einem Treffen zu sich auf die Redaktion ein. Es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch zweier engagierter Frauen. Beide wollen sie dasselbe: emanzipierte Bäuerinnen, die wertgeschätzt werden. Einer Meinung sind sie trotzdem nicht: Claudia Capaul findet, dass der SBLV zu wenig eigenständig ist und vor allem zu langsam agiert. Anne Challandes ist überzeugt, dass schon einiges erreicht wurde und man auf gutem Weg sei.
Anne Challandes und Claudia Capaul sind die Bäuerinnen sowie deren Rolle und Rechte ein grosses Anliegen. Um dieses Ziel zu erreichen, gehen sie aber verschiedene Wege. Die BauernZeitung hat die beiden Bäuerinnen zu einem direkten Austausch auf die Redaktion eingeladen. Challandes und Capaul kannten sich davor nicht persönlich. Die Stimmung während des Gesprächs war entspannt, der Umgang untereinander sehr respektvoll.
Die Gesprächspartnerinnen
Anne Challandes
Sie ist Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV). In dieser Funktion hat sie das das Amt der Vizepräsidentin des Schweizer Bauernverbands (SBV) inne. Ihre Mutterkühe sind genetisch hornlos.
Anne Challandes ist der Meinung: Steter Tropfen höhlt den Stein. Der SBLV setzt sich denn auch seit Jahren für eine Besserstellung der Bäuerinnen ein. Die Botschaft zur Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) trägt dem zum ersten Mal Rechnung, in dem die soziale Absicherung der Ehepartner und der eingetragenen Partnerinnen und Partner verankert werden soll.
Claudia Capaul
Sie ist pensionierte Biobäuerin und präsidierte neun Jahre lang den Verein Schweizer Bergheimat. Als Märchenerzählerin erzählt sie gerne Geschichten, die Frauen stärken. Ihr Mann ist Armin Capaul, der Initiant der Hornkuhinitiative. Sie ist nicht Mitglied eines Bäuerinnen- und Landfrauenverbands.
Claudia Capaul geht es in Sachen Frauenfragen zu langsam vorwärts. Der SBLV hat ihrer Meinung nach zu wenig Bewusstsein für die Gleichberechtigung und ist vom SBV abhängig. Sie anerkennt jedoch, dass Anne Challandes eine schwierige Aufgabe zu lösen hat.
In der Zeitschrift «Kultur und Politik» des Bioforums erschien Anfang Sommer ein Text von Claudia Capaul mit dem Titel «Bäuerinnen und das Patriarchat». Sie schrieb darin nieder, was ihr schon lange auf der «Leber brennt».
BauernZeitung: Claudia Capaul, was prangern Sie in diesem Artikel an oder anders gesagt, was «brennt Ihnen auf der Leber»?
Claudia Capaul (CC): Die ganze Bauernszene und der Bauernverband funktionieren sehr, sehr patriarchal und das auf so starke Weise, dass die Frauen nichts zu sagen haben. Mit kommt es so vor, als seien die Frauen in der Landwirtschaft Dekoration, und man nehme sie noch etwas mit. Das muss man in der heutigen Zeit ja fast: Vor 40 Jahren wurde der Gleichstellungsartikel in der Verfassung verankert, vor 50 Jahren bekamen wir das Frauenstimmrecht. Wie wir Frauen offiziell über das Landwirtschaftsgesetz und die übrigen Gesetze behandelt werden, das geht heute einfach nicht mehr. Ich finde, da muss etwas gehen! Im Artikel habe ich auf die Wurzel des Problems zurückgeschaut. Die Wurzel liegt in der Tradition und der Verhaftung der Bauern darin. Da bewegt sich nicht viel. Leider!
Fordern Sie etwas Konkretes dagegen?
CC: Entweder sind die Bäuerinnen im Bauernverband gleichwertig vertreten, oder man kann es schlicht und einfach vergessen. Noch besser wäre es, einen neuen Bauernverband zu gründen. Einen, in den keine Verbände und deren Interessen eingebunden sind. Einen, der sich nur um Politik kümmert, und in dem Frauen und Männer gleichwertig vertreten sind.
Das sind sehr klare Worte einer Bäuerin. Dem Fachblatt «Schweizer Bauer» waren sie eine Meldung wert, in der die Aussagen kurz zusammengefasst wurden. Anne Challandes wollte diese Meldung und den Artikel von Claudia Capaul nicht unkommentiert lassen.
Anne Challandes, wie war Ihre Reaktion?
Anne Challandes (AC): Ich dachte mir: Es ist gut, wenn ich antworte. Und da diese Zusammenfassung des Textes im «Schweizer Bauer» erschien, entschied ich mich für einen Leserbrief. Dass sich etwas ändern und wir Fortschritte machen müssen, darin bin ich mit Claudia einer Meinung. Wir Frauen haben teilweise nicht die Stellung, die wir verdienen. Wir sollten mehr Raum bekommen. Die Höfe gehören grösstenteils den Männern, und viele Bäuerinnen werden für ihre Mitarbeit auf dem Betrieb nicht entlöhnt.
Wo waren Sie anderer Meinung?
AC: Nicht einverstanden bin ich mit der Realität, wie Claudia die Rolle des SBLV schildert: Wir haben sicher keine Mehrheit im SBV, aber wir können unseren Anliegen Gehör verschaffen. Wir sind mit zwei Frauen vertreten, seit 2011 auch mit einer Vizepräsidentin. Ausserdem engagieren wir uns in Projekten, in denen der Anteil an Frauen in landwirtschaftlichen Organisationen erhöht werden soll, und erzielen dabei Fortschritte.
Claudia Capaul sagt, der SBLV sei dem SBV untergeordnet.
AC: Das stimmt nicht. Wir sind ein eigenständiger Verband und haben unsere eigene, starke Stimme. Wir fassen unsere Parolen unabhängig. Das war schon immer so und wird auch in Zukunft so sein.
Bäuerinnen fassen eigenständige Parolen
| Geschäft | Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) | Schweizer Bauernverband (SBV) |
| Hornkuh-Initiative | Nein-Parole | Stimmfreigabe |
| Initiative für Ernährungssouveränität | Ja-Parole | Ja-Parole |
| Fairfood-Initiative | Ja-Parole | Stimmfreigabe |
| AP 22+ | Eintretem | Sistierung |
| Revision Jagdgesetz | Ja-Parole | Ja-Parole |
| Vaterschaftsurlaub | Ja-Parole | keine Empfehlung |
| Trinkwasser-Initiative | Laut Verbandsflyer: zu radikal | wird bekämpft |
| Pestizidverbots-Initiative | Laut Verbandsflyer: zu radikal | wird bekämpft |
(Quelle BauZ)
CC: Formell vielleicht. Meine Aussenwahrnehmung ist eine andere. Der Bäuerinnenverband ist viel zu nett, zu brav und zu unterwürfig.
AC: Ich bin nett, aber ich spreche sehr bewusst. Oder anders gesagt: Ich mag es, nett zu sein in der Form, aber stark zu sein, in dem, was ich sage.
Bäuerin zu sein ist ein Spagat zwischen Tradition und Modernität. Wir sollten ein Gleichgewicht finden zwischen diesen beiden Polen: Einerseits das traditionelle Wissen bewahren und andererseits unseren Platz einnehmen. Wir sind auf dem Weg in die richtige Richtung.
Anne Challandes erläutert Claudia Capaul, was ihr Verband unternimmt, damit eben diese Balance erreicht werden kann. Als ein Beispiel nennt sie den Kurs «Kompetent engagiert». In diesem Kurs werden Frauen gestärkt und ermutigt, sich öffentlich zu zeigen und zu engagieren. Ebenfalls unterstützte der SBLV mit seinem Projekt «Mehr Frauen in die Politik!» bei den vergangenen Parlamentswahlen weibliche Kandidatinnen. Man habe nun 17 Parlamentarierinnen, mit denen man gut vernetzt sei.
CC: Ich stelle nicht die Rolle der Bäuerin infrage. Würde ich das tun, entwertete ich meine Rolle ja auch. Mir geht es darum, dass die Rolle der Bäuerin geleichwertig ist mit der Rolle des Bauern. Dass die Arbeiten wie Haushalt, Garten, Kindererziehung, Pflege – alles Dinge, die Frauen durchschnittlich besser machen als Männer –, ihre Anerkennung finden. Denn gegen aussen glänzt nur der Bauer mit seinen Maschinen, seinen Äckern, mit seiner Leistung. Daneben wirkt die Bäuerin wie die Hüterin der kleinen Dinge. Dabei ist sie das Herzstück des Bauernhofs. Dieses Herzstück wird heute zu wenig anerkannt. Doch wenn das Herzstück wegfällt, fällt der Bauernhof auseinander. Und das geschieht ja so häufig bei Scheidungen.
Wie soll dieses Herzstück gestärkt werden?
CC: Ich finde die von Anne erwähnten Kurse sehr gut. Sie stärken die Frauen und geben ihnen Selbstvertrauen, damit sie den Männern gegenübertreten und sagen können: «Du, so nicht!»
AC: Das kann ich nur unterstützen. Die unsichtbare Arbeit, sie müsste eine echte Wertschätzung erfahren.
Du hast vorher gesagt, wenn die Frau geht, ist eine wichtige Säule des Betriebs weg.
CC: Ich sagte nicht Säule. Die Bäuerin ist das Herzstück. Denn wenn sie nur eine Säule wäre, wären noch eine zweite oder dritte Säule da, die halten würden. Aber wenn das Herz versagt, ist fertig.
AC: Immer sagte man uns Bäuerinnen: «Ihr seid wichtig!» und dann kam nichts Konkretes. Nun sind wir dran, dieser Wichtigkeit einen Wert zu geben. Es gibt Betriebe, die zahlen der Bäuerin einen Lohn oder splitten das Einkommen unter den Ehepartnern. Diese Entlöhnung ist ein Fortschritt, damit die Frau zum Beispiel eine zweite Säule haben kann oder bezahlte Mutterschaft bekommt.
Eine Woche vor diesem Gespräch verlangte am 21. August die WAK-S die Sistierung der AP 22+. Der SBLV reagierte in einer Medienmitteilung wie folgt: Man erachte die Vorgehensweise als Chance, wichtige Mängel in der Botschaft zu korrigieren. Vor allem in folgenden Punkten sieht der Verband Nachbesserungspotenzial:
- landwirtschaftliches Einkommen
- Höhe Selbstversorgungsgrad
- wachsende administrative Belastung
- berufliche Ausbildung (wir berichteten)
Ganz zum Schluss hiess es, man begrüsse hingegen die vorgesehenen Massnahmen im Bereich soziale Absicherung.
Die soziale Absicherung und die AP 22+
Um die soziale Absicherung des mitarbeitenden Ehepartners zu verbessen, soll die Ausrichtung von Direktzahlungen neu an das Vorliegen eines Sozialversicherungsschutzes geknüpft werden.
Der Sozialversicherungsschutz muss die Risikovorsorge bei Invalidität und Tod sowie den Verdienstausfall in Form von Taggeldern bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und Unfall abdecken.
Weil Versicherungen jemanden aufgrund seines Gesundheitszustands ablehnen und weil Prämien bei älteren Personen unverhältnismässig hoch sein können, sind für diese Fälle Ausnahmebestimmungen vorgesehen.
Nach der zweijährigen Einführungsphase wird der Sozialversicherungsschutz kontrolliert. Bei fehlendem Nachweis folgen Kürzungen der Direktzahlungen, analog der ÖLN-Richtlinien.
Das wäre das Stichwort, um über die angekündigten Sistierung der AP 22+ zu sprechen. Wieso kommt statt eines lauten Aufschreis nur eine brave Medienmitteilung?
AC: Der Entscheid der Sistierung war für uns eine Überraschung. Der SBLV plädierte ganz klar für ein Eintreten, denn die AP 22+ gibt Antworten auf offene Fragen. Trotzdem standen in der Botschaft einige Dinge, die ich als Vertreterin der Bauernfamilien und Bäuerinnen nicht vertreten kann.
Sie werden also vier weitere Jahre auf die soziale Absicherung warten?
AC: Die soziale Absicherung des Ehepartners ist ein Teil der AP 22+. Sie ist ein erster Schritt mit einer minimalen Lösung. Wir unterstützen dies. Die AP 22+ soll aber ebenfalls für die Betriebe gute Perspektiven schaffen, damit ein angemessenes und ausreichendes Einkommen gewährleistet ist.
Im Zusammenhang mit der Hornkuh-Initiative war Claudia Capaul der Meinung, dass die Bäuerinnen, damals noch mit Christine Bühler an der Spitze, mittels eines unfairen Deals ausgehebelt wurden. Die Bäuerinnen hätten die Vorlage nicht genau studiert und den Männern zuliebe die Nein-Parole herausgegeben. Als Gegenleistung erwarteten sie dafür die Unterstützung bei der sozialen Absicherung.
Anne Challandes widerspricht vehement. Bei der Hornkuh-Initiative sei die Sicherheit im Vordergrund gestanden. Die Parolenfassung sei ein eigenständiger Entscheid der Bäuerinnen gewesen. Noch bei Gesprächsende ist Claudia Capaul vom Gegenteil überzeugt. Sie kann nicht begreifen, wie man als Frau und Bäuerin der Kuh gegenüber so gar kein Einfühlungsvermögen hat und nichts gegen eine Verstümmelung unternehmen will.
Claudia Capaul, werden hier die Bäuerinnen wieder ausgehebelt?
CC: Ich habe die AP 22+ zu wenig verfolgt. Ich interessiere mich eher für grundlegende Dinge. Wie zum Beispiel die Besitzverhältnisse. Auch wenn die Bäuerin einen Lohn hat, gehört der Betrieb ja noch immer dem Bauern.
AC: Das ist sehr, sehr kompliziert: Die Entlöhnung ist eine Sache, der Besitz eine andere und die Versicherungen sind eine dritte Sache. Jeder Betrieb bräuchte eigentlich eine individuelle Lösung.
Zurück zur AP 22+: Gefährdet die Sistierung nicht den ersten Schritt in Richtung soziale Absicherung?
AC: Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, dass sich die soziale Sicherheit verbessert. Ich denke, ein solcher Schritt ist dringend notwendig und zeitgemäss. Ich glaube, der Schritt muss jetzt kommen. Es ist beinahe unmöglich, die Situation, wie sie heute ist, im Jahr 2020 zu rechtfertigen. Es muss sich etwas ändern. Ich glaube, das haben die anderen Organisationen nun auch verstanden.
Der SBV hat seine Meinung zum Thema soziale Absicherung geändert. Wir sind dran, konkrete Lösungen zu finden. Vielleicht bietet sich sogar die Chance, nicht nur über eine Taggeldversicherung zu diskutieren, sondern sogar über eine Einkommensteilung. Dies wäre eine gute Lösung im Falle einer Scheidung. Da müsste niemand mehr ohne etwas den Hof verlassen.
CC: Das wäre eine grundlegende Forderung. Gleiche Arbeit, gleiche Löhne.
AC: Ich bin eine hartnäckige Person und werde bei diesem Thema keine Ruhe geben.
Claudia Capaul, was möchten Sie Anne Challandes mit auf den Weg geben?
CC: Mein Wunsch wäre, dass der Bäuerinnen- und Landfrauenverband in Zukunft unabhängige Parolen herausgibt. Auch bei der Trinkwasser-Initiative und der Pestizidverbots-Initiative. Der Verband sollte die Themen, unabhängig von den Männern, von einer weiblichen Seite her beleuchten. Was tun wir mit dieser Giftmischerei der Mutter Erde an?
AC: Ich höre deinen Wunsch. Doch er ist schon Realität. Wir agieren seriös und unabhängig vom SBV. Wir haben eine eigene Kommission Agrarpolitik, die studiert die Vorlagen genau und bildet sich eine Meinung. Von dort geht diese über den Vorstand in die Präsidentinnenkonferenz, wo schliesslich die Parole gefasst wird, die dann als Medienmitteilung verschickt wird.
Anne Challandes, was geben Sie Claudia Capaul zum Gesprächsende mit?
AC: Ich würde mich über einen weiteren Austausch freuen und lade dich ein, unsere Website und den Jahresbericht zu studieren, damit du siehst, was wir alles machen. Eventuell möchtest du sogar Mitglied bei uns werden?
CC: Das muss ich mir noch überlegen (lacht).
Wer weiss, eventuell gibt es also eine Fortsetzung dieses Gesprächs. Claudia Capaul ist dann vielleicht Mitglied beim SBLV und der Verband hat die soziale Absicherung durchgebracht.