Jammertal. Eine auffällige Bezeichnung für ein normales Tal hinter einem normalen Dorf. Es geht um die Dorfmatten, welche sich südlich der Berner Ortschaft Schwarzenburg in Richtung Guggisberg erstreckt. Eine schöne Gegend, aber angesichts der Bezeichnung der Region war offensichtlich irgendeine Bevölkerungsgruppe mit irgendetwas nicht zufrieden, sonst hätte die Dorfmatte diesen markanten Übernamen nicht erlangt.

Auf der Suche nach den Gründen stösst man auf den 38-jährigen Gemeindepräsidenten von Schwarzenburg, Urs Rohrbach, der seit diesem Jahr im Amt ist. Der junge Archäologe weiss viel über die Geschichte seiner Heimat. Im Gespräch mit dem begeisterten Politiker und Kunsthistoriker lernt man schnell, dass der Ursprung des Gejammers wahrscheinlich im Dorfbach liegt. Das Rinnsal, welches beim Spüelibachfall entspringt, fliesst durch ebendiese Dorfmatten. Eine früher flache und sumpfige Landschaft, wo nichts darauf wachsen konnte, weiss Urs Rohrbach.

Ein früheres Sumpfgebiet

«Bevor die Flurgenossenschaft das Land rund um die Jahre 1870/ 1880 reorganisierte, drainierte und somit bebaubar gemacht hatte, war die Dorfmatte ein Sumpfgebiet», erzählt der Gemeindepräsident. Alte Karten lassen vermuten, wann die Flurgenossenschaft den Dorfbach schliesslich kanalisierte. «Das muss um 1900 gemacht worden sein», eruiert Urs Rohrbach aus den alten Aufzeichnungen. Und genau daran entzündete sich der soziale Konflikt zwischen den kleinen Bauern aus den Dorfmatten und den grösseren, reicheren Bauernhöfen aus dem Dorf oder dem Niederteil, welches das heutige Lanzenhäusern umfasst.[IMG 2]

Ein kleiner Einschub: Bis zur Gemeindezentralisation im Jahr 1969 war die ehemalige Gemeinde Wahlern in sogenannte Viertel organisiert. Die ehemaligen Kirchbezirke waren in Nieder-, Ober-, Unter- und in den Dorfteil aufgeteilt. Wobei jeder Bezirk eine eigene Behörde und eigene Schulbezirke unterhielt. Im Jahr 2011 fusionierten Wahlern und Albligen zur Einwohnergemeinde Schwarzenburg. Die Kanalisierung des Dorfbaches brachte also nicht nur bebaubares Land, sondern eben auch Konflikte und vor allem Hochwasser: Vom gelegentlichen Hochwasser waren vor allem kleine – und meist auch ärmere – Bauernhöfe respektive Bauernfamilien betroffen. Wer kein erhöhtes «Heimetli» besass, verlor teils viel Land und somit Geld. Die grösseren Bauernbetriebe aus sicheren Teilen der Region konnten von dieser Situation profitieren: Sie kauften den kleineren Betrieben das Land ab – oder nahmen es ihnen weg – je nach dem, wer die Geschichte erzählt. [IMG 3]

Die kleinen werden kleiner

Die Drainierung und Kanalisierung des Dorfbaches erforderten viel Geld und Aufwand, wofür mehrheitlich die finanzkräftigen Betriebe aus dem Niederteil und dem Dorf aufkamen. Dies erlaubte ihnen dann eben auch, dass neu gewonnene Land in Beschlag zu nehmen und zu bewirtschaften. So wurden die ärmeren Betriebe ärmer und die reicheren Familien reicher.

Auch Walter Hostettler erinnert sich an die schwierigen Zeiten im Schwarzenburgerland. Der Senior, der in Schwarzenburg aufgewachsen ist, erlebte, wie man auf dem erhöhten Wasserreservoir, – dem Almithölzli – Pflanzplätze anlegte, um dem Hochwasser zu entkommen. Und Walter Hostettler bestätigt die Ungewöhnlichkeit, dass Bauern aus dem Niederteil Land im sogenannten Hinterteil besassen. Peter Zbinden, der einheimische Dorf-Fotograf, bestätigt dies ebenfalls: «Bauern aus dem Ausser- und Niederteil besassen Land in den Dorfmatten, obwohl das eigentlich nicht ‹ihre› Region war», weiss der Schwarzenburger, der 30 Jahre lang in der Dorfmatte gewohnt hat. Die kleineren Bauern waren somit gezwungen, das steile und unwegsame Land zu bewirtschaften.

Armut in der Region

Die Gründe für das Jammern in der Dorfmatte waren aber nicht nur landrechtlicher Natur, sondern auch wetterbedingt.

1697: Unter anderem erfasste 1697 ein Unwetter die Region, welches deren landwirtschaftliche Produktion schwächte und viele Häuser mitriss.

1766: Im Jahr 1766 sprechen die historischen Quellen der Gemeinden Wahlern und Guggisberg von einer «grossen Armut» in der Region. In dieser Zeit protestierten 60 arme Allmendsiedler vor dem Rathaus in Bern – wurden dann aber in das Elend zurückgeschickt.

1816: Das Jahr 1816 wurde zum Katastrophenjahr, weil der Vulkan in Indonesien ausgebrochen ist. «Das Getreide verfaulte im Spätsommer, die Kartoffeln im Herbst», wie es auf der Internetseite der Gemeinde Schwarzenburg heisst. Ab Neujahr hatten viele Familien bereits keine Vorräte mehr. Der Brotpreis stieg sogar um das Vierfache. Viele Leute mussten Schulden machen und verarmten dadurch – somit stieg dann auch die Armenlast im Schwarzenburgerland gewaltig an. Die Stadt Bern schickte zwar Saatkartoffeln oder Getreide in das sogenannte «Bernische Irland» und Wahlern organisierte «Suppen- und Muesanstalten» und Verpflegungsanstalten für die Ärmsten, um dem schlimmsten Hunger zu wehren, heisst auf der Internetseite.

Phytophthora und Ernteausfall

1845: Auch die Jahre 1845 und 1846 waren für das Dorf und dessen Lebensmittelversorgung verheerend. Grund dafür war die Kraut- und Knollenfäule Phytophthora infestans, welche komplette Ernteausfälle von Kartoffeln zur Folge hatte. Die Leute verschuldeten sich noch mehr und die Armen wurden von der Regierung teils angehalten, nach Amerika auszuwandern.

1850: Besser wurde es in den Folgejahren nicht; Die Lokalhistoriker betiteln die Jahre 1850 bis 1856 als «totalen Niedergang». Die Gemeinderechnungen waren teilweise drei bis sechs Jahre im Verzug, so musste das Dorf historische Gebäude wie die Wahlernkirche oderdas «Käppeli» zur Pfändung freigeben.

Strassen brachten Stabilität

1860: Nach 1860 ging es im Schwarzenburgerland aber allmählich bergauf. Der Kanton liess breitere und stabile Strassen erbauen und viele Schwarzenburger fanden durch die Juragewässerkorrektion, welche im 1896 startete, oder den Bau von Eisenbahnstrecken Arbeit.

Die Agrarmodernisierung verhalf der Region ebenfalls zu mehr Wohlstand, da die Leute auf mehr Handwerker angewiesen waren und auch diese so Verdienstmöglichkeiten fanden.

Dorfbach bleibt ein Problem

1985: Der Dorfbach stellte für Schwarzenburg aber weiterhin ein Problem dar. 1985 überschwemmte er weite Teile des Dorfes und der Gemeinde. Gemäss alten Zeitungsartikeln betrug die Schadensbilanz rund60 Millionen Franken. «Es ist Melkenszeit geworden. Meine Gedanken; Ist der kürzlich revidierte Kanal wohl in der Lage, das Wasser aufzunehmen? Der Bach füllt sich, und einige Minuten später ist die Katastrophe da. Das ganze Gebiet wird in einen braunen, laufenden See verwandelt. Die Kulturen werden vom Morast verwüstet. Was nicht niet- und nagelfest ist, wird mitgerissen», hält das Sturmarchiv eine Beobachtung des ehemaligen Gemeindepräsidenten Ruedi Flückiger aus dem Jahr 1985 fest.

2005: Trotz der im 2005 vollendeten Verbreiterung und des Baus des Auffangbeckens kommt es immer wieder zu Überschwemmungen. Erst 2015 konnte das Dorf ein aufwendiges Hochwasserschutzprojekt beenden. Dabei wurde der Dorfbach renaturiert und ein Rückhaltebecken im Landwirtschaftsgebiet realisiert. Zudem wertete man den Bach entlang des Siedlungsgebiets ökologisch auf und baute ihn auch nochmals aus.

Schwarzenburg hat wenig mit "Schwarz" und "Burg" zu tun

Gemäss Texten aus dem Archiv wurde Schwarzenburg im Jahr 1025 erstmals urkundlich erwähnt. Laut einer Sage soll hier einst ein blühendes Dorf gestanden haben, das in früheren Kriegen vollständig zerstört worden ist. Nur eine verkohlte schwarze Burg sei übrig geblieben und habe dem neu entstandenen Dorf den Namen gegeben. Eine schwarze Burg wurde aber nie gefunden, vielmehr setzt sich der Name Schwarzenburg aus den Wortteilen Schwarz (früher die Bezeichnung von Wald oder waldreiches Gebiet) und Burg lat. burgum (Marktflecken) zusammen. Der Name Schwarzenburg bedeutet demnach «Marktflecken im Wald». 

Die Autorin mit Jahrgang 1995 ist bis zu ihrem 12. Lebensjahr in einem Bauernhaus zuhinterst im Jammertal aufgewachsen.