Sandra Hänni lacht. Ihre kraftvolle Stimme durchdringt den Raum: «Wosch es Kafi?», fragt sie. Beim Besuch der BauernZeitung hütet sie das Wohnhaus ihrer Eltern in Allmendingen bei Bern, während die beiden einige Tage Skiferien im Wallis verbringen. Sandra Hänni setzt sich an den grossen Tisch in der Küche, auf dem Schoss sitzt ihr alter Hund. «Ein Zwergpudel?», fragen wir. «Keine Ahnung», sagt sie liebevoll. Ebenso wenig wisse sie, wie alt der Kleine sei. «Einfach ein Hund», ergänzt die 35-Jährige. Aber ein wichtiger – wie sich sogleich herausstellt.
«Vielleicht sollten wir der Natur wieder mehr Vertrauen schenken.»
Sandra Hänni hat ihr einziges Kind verloren.
Denn Juri war immer da. Auch in jener Zeit, als sich Sandra Hännis Leben von der brutalsten Seite zeigte. Im November 2022 verlor sie ihr Baby. Der kleine Kian Noa starb nur zehn Stunden nach seiner Geburt. «Es gibt keine Spuren, die zu klein sind, um Eindruck auf dieser Welt zu hinterlassen.» Mit diesem Satz verabschiedete sie zusammen mit ihrem Partner Roger das Neugeborene.
Mutter ohne Kind
Diese Spuren begleiten Sandra Hänni auch heute noch. «Er hat mich zur Mutter gemacht, auch wenn ich heute kein lebendes Kind habe», sagt sie. Für die junge Frau, die auf einem typischen Milchwirtschafts- und Ackerbau-Betrieb im Berner Mittelland aufgewachsen ist, folgte auf den Tod ihres einzigen Kindes eine schwere Zeit. Der Verlust lastete schwer auf ihr. Hinzu kam, dass viele im Dorf nicht wussten, wie sie ihr begegnen sollten. «Mit so etwas sind viele einfach überfordert», sagt sie. Dass man es den Menschen, die von einem solchen Schicksal betroffen sind, aber nur noch schwerer macht, sei vielen nicht bewusst.
Für die junge Frau, die den Künstlernamen Sandra Leon trägt, war alsbald klar: «Das Leben geht weiter. Es muss weitergehen.» Der Kindstod sei eine Tatsache, die zu ihrem Leben gehöre – ab jenem Zeitpunkt, als Kian leblos in ihren Armen lag.
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Erste Bühne in der Küche
So rasch als möglich versuchte Sandra Leon in den Berufsalltag zurückzukehren. Und dieser ist die Musicalbühne. «Ich habe schon immer gesungen und getanzt», sagt die ausgebildete Schauspielerin und Sängerin und zeigt schmunzelnd auf ihre erste Bühne – die Bauernhausküche. So manchen Lehrling habe sie mit ihren Liedern «genervt», meint sie und erinnert sich an die Zeit, als sie noch ein Mädchen im Bauerndorf nahe der Stadt Bern war.
«Schliesslich haben sie mich dann aber immer an ihren Hochzeiten engagiert», erzählt sie. Und genau dort singt sie ebenso gerne wie auf den Bühnen der grossen Städte; an Hochzeiten, an Geburtstagen, aber auch an Trauerfeiern. «Das gehört alles zu unserem Leben», weiss sie.
Teure Ausbildung
Dass Sandra Leon einmal bei Musicals wie «Mamma Mia», «Ewigi Liebi», «Aida» oder aktuell «Sister Äct» (siehe Kasten) auf der Bühne stehen wird, ist alles andere als selbstverständlich. Die Ausbildung, zu der sie nur sehr zufällig kam, weil ihre gewünschte Lehrstelle nicht frei war, verursachte entsprechend hohe Kosten. «Das ist für Schauspielschulen normal», weiss sie. Viele, die diese besuchten, seien aus «besseren Verhältnissen», wo das Einkommen nicht mit jenem einer Bauernfamilie zu vergleichen sei. Viele, die mit der Bauerntochter die Schulen besuchten, stehen aber mittlerweile nicht mehr auf der Bühne. Doch für Sandra Leon ist genau das zum Berufsalltag geworden.
Sich immer wieder beweisen
Herausfordernd sei, dass man in ihrem Beruf kaum langjährige Sicherheiten habe und immer wieder Arbeit suchen müsse und sich vor den Verantwortlichen der Regie, die einen aus früheren Stücken bestens kennen würden, immer wieder behaupten müsse. «Aber das gehört einfach dazu», weiss die junge Frau. «Wir hadern doch viel zu oft mit Dingen, die wir nicht ändern können», meint sie.
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«Das konnte sich niemand merken.»
Der Nachname Hänni wich dem Künstlernamen Leon.
«Ich glaube, ich bin nicht die Beste», ergänzt sie nach einer kurzen Pause. «Was den Leuten beim Musical an mir gefällt, ist das Bodenständige, das Zuverlässige und vermutlich auch das Bescheidene», glaubt sie und ist sicher, dass dies alles Werte sind, die sie ihren Eltern und dem Leben auf dem Hof zu verdanken hat. «Dass ich vom Bauernhof komme, kommt gut an, auch wenn man anfänglich darüber gelacht hat», sagt sie.
Der Name Hänni musste dann aber doch weichen. «Das konnte sich niemand merken», erinnert sich die Sängerin. Den Vornamen ebenfalls in einen Künstlernamen umzuwandeln, wäre aber nicht infrage gekommen. «Das hätte meine Mutter nicht geschätzt», weiss sie und lacht.
Erster Gedanke: Kian
Alles macht die bodenständige Frau vom Lande nicht mit. Schönheitseingriffe gehörten in ihrem Beruf zwar fast dazu – für Sandra Leon sind sie aktuell aber ein Tabu. «Ich bin, wie ich bin und wie ich irgendwann sein werde», sagt sie. Gelernt habe sie das nicht zuletzt von ihrem verstorbenen Sohn. «Die Menschen glauben irgendwie, dass sie alles flicken können. Aber das können wir eben nicht», ist sie sicher. Sie vermisst ihren Kian, dem immer der erste und der letzte Gedanke ihres Tages gehören. «Vielleicht sollten wir der Natur wieder mehr Vertrauen schenken, als das Gefühl zu haben, alles selbst regeln zu wollen», glaubt sie.
Das Lachen wiederfinden
Viel wichtiger, als einem Schönheitsideal zu entsprechen, war es Sandra Leon denn auch, dass sie nach dem Tod ihres Kindes irgendwann das Lachen wiederfand – und damit das Vertrauen ins Leben.
Sandra Leon in «Sister Äct»
Sandra Leon ist bis am 28. April 2024 noch im Mundartmusical «Sister Äct» zu sehen, das in der Maag-Halle in Zürich aufgeführt wird. Es handelt sich laut Organisation um die letzte Verlängerung des Musicals, das bereits 110 000 Personen gesehen haben. «Grandioser Humor und mitreissende Musik vom achtfachen Oscar-Gewinner Alan Menken, bekannt von ‹The Beauty and the Beast› oder ‹Aladdin›, machen dieses Feel-Good-Musical in der Schweizer Inszenierung von Dominik Flaschka zum grossen Bühnenspass für alle Generationen», heisst es auf der Website der Maag-Halle. In der Hauptrolle ist Fabienne Louves zu sehen und zu hören. Auf der Bühne stehen aber auch Sandra Studer und Walter Andreas Müller.
Die Handlung des Musicals basiert auf dem Kino-Hit «Sister Act» aus den Neunzigerjahren. Die erfolglose Nachtklubsängerin Deloris van Cartier wird Zeugin eines Mordes. Von der Polizei wird sie an den vermeintlich sichersten Ort gebracht: ein Kloster.
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