Warum tun sich viele Betroffene und ihre Angehörigen schwer, über psychische Erkrankungen zu sprechen? «Erschwerend wirken hier unter anderem die gesellschaftliche Akzeptanz und das Ansehen psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung», weiss Sabine Iseli, Oberpsychologin auf der Station Integrierte Depressionsbehandlung am Psychiatriezentrum Münsingen BE. «In vielen Kontexten ist es nach wie vor ein Tabu, über psychische Erkrankungen zu sprechen, und es fehlt das Verständnis für Betroffene.»

Das gilt nicht nur für Krankheiten wie Depressionen oder bipolare Störungen, sondern auch für Burn-outs, die in der Landwirtschaft überdurchschnittlich oft auftreten. Daher förderte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ein zweijähriges Forschungsprojekt der Fachhochschule Ost in Rapperswil SG.

Konkrete Fragen

In Zusammenarbeit mit vier Ostschweizer Bauernverbänden, dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband und weiteren Akteuren in der Landwirtschaft wurden folgende Fragen untersucht:

  • Wie können Bäuerinnen und Bauern gesundheitsgefährdende Belastungen selbst frühzeitig erkennen und im besten Fall verhindern?
  • Wie erreicht man Betroffene schnell und wirksam?
  • Wie müssen regionale Beratungsangebote aussehen, damit sie auch genutzt werden, um die Gesamtsituation der Betroffenen zu verbessern?

«Das Projekt ist in der Abschlussphase», sagt Projektleiter Stefan Paulus, Dozent am Institut für Soziale Arbeit und Räume an der Fachhochschule Ost. «Wir haben den Schlussbericht letzte Woche ans BLW geschickt. Jetzt beginnt die zweite Phase, in der wir mit den Verbänden die entwickelten Ideen umsetzen möchten.»

Scham hindert

Die Ausgangslage war, dass es zwar Angebote zur Burn-out-Prävention gibt, diese aber nicht in Anspruch genommen werden, teils aus Scham. Manche Männer wollen zudem nicht von Frauen beraten werden.

«Viele Bäuerinnen und Bauern würden auch nie in der Nachbarschaft in eine psychosoziale Beratung gehen», weiss Stefan Paulus. Dazu komme, dass viele Coaches nicht «vom selben Schlag» seien: Sie wissen nicht, wie es in der Landwirtschaft tatsächlich zu und her geht. «Es braucht daher Personen, welche die gleiche Sprache sprechen.»

Neue Wege gesucht

Gefragt sind daher neue Wege in der Burn-out-Prävention, um den Betroffenen Brücken zu professionellen Beratungsangeboten zu bauen. Eine Möglichkeit wäre, so genannte «Peers» in die Prävention mit einzubeziehen: ehemals Betroffene aus der Landwirtschaft, die bereit sind, über ihre Belastungen und Erkrankungen zu sprechen.

Zusätzlich könnten «Sentinels» zum Einsatz kommen. Das sind Menschen, die regelmässig auf die Höfe kommen, wie Tierärztinnen, Treuhänder oder Besamungstechnikerinnen. «Sie kennen die Umstände auf den Höfen und könnten als eine Art Frühwarnsystem fungieren.» Zuvor müssen Peers und Sentinels geschult werden und es braucht Qualitätsstandards und ein Netzwerk.

Im Kanton Waadt läuft bereits seit 2015 ein entsprechendes Pilotprojekt, das vom Waadtländer Bauernverband, dem Amt für Landwirtschaft und Weinbau sowie den Landeskirchen aufgebaut wurde. Ursprünglich stammt das Suizid-Präventionskonzept aus Kanada. Es gab mehrere Bestrebungen, das System auf die Deutschschweiz auszudehnen, wie das BLW auf Anfrage antwortete. Doch in der Praxis umgesetzt wurde bisher noch nichts.

Charta für bessere Prävention

Bereits unterschrieben haben verschiedene landwirtschaftliche Organisationen eine «Charta zur Konstituierung einer überkantonalen ostschweizerischen Plattform zur Burn-out-Prävention in der Landwirtschaft».

Zu den Zielen gehört unter anderem, dass die Mitgliederorganisationen ein «verbindliches Netzwerk» bilden, «welches sich gemeinsam zum Wohle des betroffenen Menschen und seines familiären Umfelds einsetzt».

«Es braucht weitere Forschungen und dann Gegenmassnahmen», sagt Stefan Paulus. Auch würden die Besonderheiten in der Landwirtschaft von den psychiatrischen Diensten der Spitäler heute noch zu wenig beachtet, erklärt der Forscher weiter. «Bauern und Bäuerinnen haben eine bestimmte Haltung zum Leben und zu ihrem Körper. Sie brauchen branchenspezifische Unterstützung.»