Es war einmal vor gut zweitausend Jahren in Betlehem: Viele Menschen lebten damals von der Landwirtschaft. Es gab einige, die mehr hatten. Doch die meisten besassen ein paar Ziegen und Schafe, vielleicht noch einen Esel. Sie pflanzten Getreide an und kultivierten Oliven und Feigen sowie einen Gemüsegarten. Sie lebten vorwiegend im Dorf und bewohnten ein Haus mit einem einzigen Raum, den sie mit ihren Tieren teilten.

Meist war der Teil, den die Menschen bewohnten, ein wenig höher gelegen. Dort wurde gekocht, gegessen, geschlafen und Handarbeiten verrichtet. Daneben, ein oder zwei Stufen tiefer, lebten die Tiere. So wurde der Raum für die Menschen von den Tieren gewärmt und zugleich gab er den Nutztieren Schutz vor der Witterung und den Wildtieren. Als Win-win-Situation würden wir dies heute bezeichnen. Wer konnte, baute an sein Haus noch einen zweiten kleineren Raum an, der an Reisende vermietet wurde.

In dieser Zeit geschah es, was uns der Evangelist Lukas überliefert hat. Josef musste mit seiner Verlobten Maria aufgrund einer Volkszählung in seine Heimatstadt Betlehem reisen. «Während sie dort waren, kam die Zeit der Geburt. Maria brachte ihren ersten Sohn zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe. Denn sie hatten in der Herberge keinen Platz gefunden.» (Lk 2,6–7)

Maria und Josef wurden nicht in ein «Weidschürli» geschickt

Kurz und bündig: Es gibt keinen Hinweis auf geldgierige Wirtsleute, die vor dem eine Herberge suchenden Josef und seiner schwangeren Verlobten Maria herzlos die Türen zugeschlagen haben; es gibt keinen Hinweis auf einen windschiefen Stall, durch den der kalte Wind zieht. Diese Interpretation wurde erst im europäischen Kontext, viele Jahrhunderte nach der Geburt von Jesus, durch die eigene Erfahrung und Lebensweise auf die Zeit Jesu projiziert. Sie hat mit der ursprünglichen Geschichte herzlich wenig gemeinsam.

Es stimmt zwar, dass in der Herberge kein Platz war. Doch die «Herberge» ist nicht mit einem Hotel oder einer Pension unserer Zeit zu vergleichen. Es war dieser zusätzliche Raum, der angebaut war, um bei Bedarf an Reisende vermietet zu werden. Dieser Raum war besetzt und so wurden Maria und Josef nicht in irgendein «Weidschürli» auf dem Feld geschickt, sondern im «Wohn- und Lebenszimmer», im Zentrum der Familie aufgenommen. Und in der Futterkrippe in der Mitte fand der Säugling einen Ort, welcher sicher vor den Hufen der Tiere war.

Die Geburtsgeschichte von Jesus erzählt uns somit schon am Anfang die Kernbotschaft. Es ist vom Beginn weg eine Geschichte von Solidarität und Achtsamkeit. Die Familie rückt zusammen, damit auch die Gäste Platz haben. Sie teilen ihr einfaches Ein-Raum-Haus mit denen, die keinen Platz haben.

Weihnachten muss immer wieder neu geschehen

Heute ist Betlehem hier – bei dir und mir. Die Weihnachtsbotschaft ist keine Botschaft unter dem Titel «Es war einmal …»! Weihnachten kann nur sein, wenn es immer wieder neu geschieht – sonst bleibt es eine Geschichte.

An Weihnachten wird ein Kind geboren. Und in jedem Kind ist das Wachstum, die Kraft und das Neue schon grundgelegt. Weihnachten geschieht, wenn Solidarität gelebt wird, sei es innerhalb der Gemeinschaft der Bäuerinnen und Bauern, sei es im Zusammenleben und in der gegenseitigen Achtung von Menschen aus der Landwirtschaft und aus anderen Bereichen.

Weihnachten muss werden – immer wieder neu – im Miteinander und Zueinander. Und in Weihnachten sagt Gott – ich bin bei dir im Neuen, im Kind – und ich stärke dich für das Neue, für das Kind, damit es auch durch dich weihnachten kann.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, frohe, lichtvolle und stärkende Weihnachten für das ganze Jahr.